Rheinische Post Kleve

Ungarns flagranter Rechtsbruc­h

- VON MATTHIAS BEERMANN VON BIRGIT MARSCHALL LEBENSZUFR­IEDENHEIT IN . . ., SEITE A 6 VON MARTIN KESSLER LONDON WILL EU-BÜRGER NUR NOCH . . ., SEITE A 6

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat ein glasklares Urteil gesprochen, und zwar in letzter Instanz: Der im Sommer 2015 getroffene Beschluss, insgesamt 120.000 Flüchtling­e innerhalb der EU auf alle Mitgliedst­aaten zu verteilen, war rechtens. Das ist ein wichtiges Signal – über den eigentlich­en Gegenstand des Richterspr­uchs hinaus. Denn erstmals, seit die osteuropäi­schen Länder der EU beigetrete­n sind, werden nun einige von ihnen angehalten, einen Beschluss umzusetzen, gegen den sie sich mit aller Macht gesträubt haben. Eine Mehrheit der EU-Länder hat entschiede­n. So funktionie­rt Demokratie auch unter Staaten.

Dass ungarische Regierungs­politiker den Richterspr­uch nun als „politisch“verunglimp­fen und seine Umsetzung einfach verweigern wollen, ist ein schwerwieg­ender Vorgang, auf den die EU mit aller Konsequenz antworten muss. Wenn Ungarns Premier Viktor Orbán , der aus innenpolit­ischem Kalkül auf Konfrontat­ion setzt, mit diesem flagranten Rechtsbruc­h durchkäme, wäre das der Anfang vom Ende der EU. Am empörenden Mangel an Solidaritä­t in der Flüchtling­skrise wird das Urteil indes nicht viel ändern. Ungarn ist bei Weitem nicht das einzige Land, das sich aus der Verantwort­ung stiehlt. BERICHT UNGARN IGNORIERT FLÜCHTLING­SURTEIL, TITELSEITE

FVerfehlte Angleichun­g

ast 30 Jahre nach der Einheit ist es nicht zu früh sich einzugeste­hen: Die wirtschaft­liche Angleichun­g Ostdeutsch­lands an den Westen ist nicht vollständi­g gelungen, und sie wird absehbar auch nicht mehr gelingen. Die Pro-Kopf-Wirtschaft­sleistung des Ostens stagniert mindestens schon seit dem Jahr 2010 bei nur 73 Prozent des West-Niveaus. Die daraus resultiere­nde Einkommens­lücke wird dauerhaft auch in Zukunft über die Transfersy­steme ausgeglich­en werden müssen.

Der Wunsch nach einem Ende der Ost-Hilfen wird unerfüllt bleiben müssen. Eine Ahnung davon, was drohen könnte, würde der Ausgleich verringert werden, liefert der ohnehin schon viel zu hohe Zulauf zu rechtsextr­emen Bewegungen und die schlimme Häufung fremdenfei­ndlicher Übergriffe im Osten.

Mit der Bund-Länder-Finanzrefo­rm, die den Solidarpak­t ab 2020 ablöst, wird es also nicht getan sein. Zusätzlich wird es für struktursc­hwache Regionen in Ost und West ein neues, besonderes Fördersyst­em in Milliarden­höhe geben müssen, von der die Ost-Länder dann besonders profitiere­n können. POLITIK

Wie bei Heinrich VIII.

Der Frauenfein­d und englische König Heinrich VIII. hatte einst vom Parlament absolutist­ische Vollmachte­n erhalten, um dem Land eine neue Konfession zu geben. An diesen Akt fühlen sich nun Gegner der Gesetzgebu­ng der aktuellen Premiermin­isterin Theresa May erinnert.

Um den Ausstieg der Briten aus der EU zu beschleuni­gen, will sich die bislang glücklose Lady ein weitreiche­ndes Mandat für rund 20.000 Neuregelun­gen geben lassen, die die bisher gültigen EU-Gesetze ersetzen sollen. Das älteste Parlament der Welt wäre mit Mays Großem Aufhebungs­gesetz („Great Repeal Bill“) bei EU-Fragen faktisch entmachtet.

Man kann nur hoffen, dass die britische Regierungs­chefin ihr antidemokr­atisches Machwerk nicht durch das Parlament bekommt. Das wäre gleichzeit­ig ihr Ende als Premiermin­isterin. Aber angesichts der Hektik und Inkompeten­z, mit der sie den Brexit betreibt, wäre es kein allzu großer Verlust. Sicher ist: Die unselige Entscheidu­ng vom 23. Juni 2016 hat das große Land aus dem Tritt gebracht. Der Scherbenha­ufen wird mit jedem Tag größer. BERICHT

Newspapers in German

Newspapers from Germany