Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland steigt
Ein Grund dafür dürften die hohen Ausgleichszahlungen sein. Denn die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung hinkt der des Westens weiter hinterher.
BERLIN Trotz des noch immer deutlichen Rückstands bei Wirtschaftskraft und Einkommen gegenüber Westdeutschland hat sich die Lebenszufriedenheit der Ostdeutschen in den vergangenen zehn Jahren spürbar verbessert. Sie habe inzwischen fast zum höheren WestNiveau aufgeschlossen, sagte die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), gestern bei der Vorlage des Jahresberichts zur deutschen Einheit. „Maßgeblich dazu beigetragen hat die Tatsache, dass sich die Lebensverhältnisse in Ost und West über die vergangenen
Nun ist das Politainment überstanden. Das Kanzlerduell hat sich als Kanzlerduett erwiesen, die kleineren Parteien haben am Folgetag vorgemacht, dass sich über viele Themen durchaus streiten lässt, und das Land ist nicht aufgeschreckt worden. Von Populistengezänk wurde es verschont. Von vielen Zukunftsfragen auch. Man hätte es erwarten können. Die Große Koalition prägt eben auch den Ton in diesem Wahlkampf. Und den Kontrahenten haben die Berater anscheinend wirkungsvoll eingeimpft, dass auf deutsche Wähler nichts abschreckender wirkt, als offensichtliche Aggressivität, Süffisanz, mangelnder Respekt.
Doch mit Frieden an der Oberfläche ist es so eine Sache. Er stellt sich oft gerade dann ein, wenn es darunter eigentlich brodelt, aber niemand den Mut hat, hinzusehen und Konflikte zu riskieren. Näher betrachtet sind die Kanzlerin und ihr 27 Jahre deutlich angenähert haben“, heißt es in dem Bericht.
Allerdings kommt die Angleichung der Wirtschaftskraft Ost an West seit 2010 kaum mehr voran. Im Jahr 2016 erreichte die Pro-KopfWirtschaftsleistung Ostdeutschlands weiterhin nur 73 Prozent des westdeutschen Niveaus. Dass die Zufriedenheit der Ostdeutschen dennoch zunahm, dürfte unter anderem auf hohe Ausgleichszahlungen aus den gesamtdeutschen Transfertöpfen zurückzuführen sein. Die verfügbaren Einkommen in Ostdeutschland erreichten 2016 pro Kopf immerhin gut 83 Prozent des westdeutschen Durchschnitts.
Ostdeutschland werde weiterhin auf „flankierende Maßnahmen“des Staates angewiesen sein – auch wenn Ende 2019 der Solidarpakt für die Ost-Länder ende, sagte Gleicke. Sie appellierte an die nächste Bundesregierung, ein bundesweites Fördersystem für strukturschwache Regionen zu entwickeln, in dem alle vorhandenen Förderprogramme verzahnt würden. Bund und Länder hätten zwar die Reform der BundLänder-Finanzbeziehungen ab 2020 vereinbart. Doch auf ein Fördersystem für schwache Regionen habe man sich nicht einigen können. Das müsse bald „on top“kommen. Im Unterschied zum Westen leide der Herausforderer zwar vernünftig miteinander umgegangen, aber sie haben fast ausschließlich über Migration und den Umgang mit den USA und der Türkei geredet. Fragen, die mit Bedrohungsgefühlen in der Gesellschaft zu tun haben, mit Ängsten, die viele Menschen vor allem gegenüber dem Einfluss von außen haben. Sei es nun in Gestalt von Migranten, die nach Deutschland kommen, oder bedrohlicher Staatschefs wie Erdogan und Trump.
Natürlich hat es auch an den Fragen der Journalisten gelegen, dass die bekannten Angstthemen derart großen Raum bekamen. Als gäbe es nicht andere Bereiche, die wahrscheinlich mehr über unsere Zukunft entscheiden, von der Bildung bis zum Umweltschutz. Doch auch den Politikern schien dieser Schwerpunkt recht. Der Umgang mit den Flüchtlingen scheint ein verführerisches Wahlkampfthema zu sein, weil sich darin vieles mischt: Fragen Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner, Ost-/Westdeutschland der Identität, der Einstellung zur Globalisierung, menschliche Schicksale, Bedrohungspotenzial, die Sehnsucht nach der brüchig gewordenen Stärke des Staates. All das erzeugt Befindlichkeiten, über die sich endlos streiten lässt – und die alles andere überlagern.
Dabei sind es womöglich Ohnmachtserfahrungen in anderen Lebensbereichen, die viele beim Thema Migration so verhärten lassen. Angst vor sozialem Abstieg ist ja kein Minderheitenproblem, sondern beschäftigt auch die, denen es heute gut geht.
Darum ist Gerechtigkeit kein Gähnthema. Abgehängtheitsgefühle und die Furcht davor bekämpft man nicht, indem man lieber nicht darüber redet. Auch wenn Wettern gegen Trump und die Türkei bessere Vorlagen für markige Worte liefert. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de Osten darunter, dass die Strukturschwäche bis auf wenige Ausnahmen in den Ballungsräumen Berlin und Leipzig ein flächendeckendes Phänomen sei.
Gleicke befürchtete, Ostdeutschland könne künftig weniger EU-Fördermittel erhalten, wenn Großbritannien aus der EU ausgetreten sei. Denn durch den Brexit wird die EU insgesamt ärmer – und Ostdeutschland fällt dadurch im Vergleich der EU-Regionen nicht mehr in die untersten Kategorien, die eine besondere Strukturförderung erhalten. Berlin müsse verhindern, dass die neuen Bundesländer dann schlechtergestellt würden, so Gleicke.
Seit 1991 habe Ostdeutschland etwa 15 Prozent seiner Bevölkerung verloren. Hinzu komme die Alterung. Heute bestehe in vielen Regionen die Gefahr, dass die öffentliche Daseinsvorsorge – Ärzte, Kitas, Schulen, Nahverkehr – nicht mehr aufrechterhalten werde. Der Staat müsse diesen „Albtraum“verhindern. Gleicke hatte im vergangenen Jahr vor Rechtsradikalismus und Rassismus vor allem in Ostdeutschland gewarnt. Das wollte sie jetzt nicht wiederholen, allerdings existiere das Problem weiter. Die Straftaten Rechtsradikaler in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern seien aber leicht rückläufig.
Verdächtiger Frieden im Wahlkampf Populistengezänk ist den Deutschen bei den Wahlkampfauftritten im TV erspart geblieben. Doch dass Flüchtlingsfragen dominierten, Zukunftsfragen dagegen nur von den kleinen Parteien behandelt wurden, ist ein Zeichen tief sitzender Angst.