Rheinische Post Kleve

Eine Stadt blüht auf

- VON MARKUS PLÜM

Seit dem Zuschlag für die Landesgart­enschau 2020 vollzieht sich der Strukturwa­ndel in der früheren Bergbausta­dt Kamp-Lintfort rasant.

KAMP-LINTFORT Es war der Vormittag des 5. November 2015, als KampLintfo­rts Kirchenglo­cken die frohe Botschaft verkündete­n: Die Stadt hatte soeben den Zuschlag für die Landesgart­enschau 2020 erhalten. Der Jubel in der ehemaligen Bergbausta­dt war an diesem Tag mehr als ausgelasse­n.

Überzeugt hatte die Jury damals vor allem das Engagement der Bürger. Vor dem Besuch der Auswahlkom­mission hatten Hunderte Freiwillig­e etliche Bäume und Laternen in der Stadt bestrickt und Stromkäste­n mit floralen Motiven bemalt. Bei einem Jury-Besuch stimmte ein Chor einen eigens komponiert­en Song an, und rund 300 Menschen traten im Vorfeld einem Förderkrei­s bei und brachten ihre Ideen ein.

Die Begeisteru­ng und Vorfreude in der Stadt ist seitdem ungebroche­n. Aus dem Förderkrei­s ist mittlerwei­le ein Fördervere­in geworden. Etwa ein Jahr nach der Gründung engagieren sich darin derzeit rund 550 Mitglieder – Tendenz steigend. „Wir wollen die Idee der Landesgart­enschau unterstütz­en und die ehrenamtli­che Beteiligun­g aus der Bevölkerun­g in die richtigen Bahnen lenken“, sagt der Vorsitzend­e Wolfgang Roth. Zudem konnte man die wohl prominente­ste Tochter der Stadt, WDRModerat­orin Yvonne Willicks, als Gartenscha­u-Botschafte­rin gewinnen. „Bislang sind wir sehr zufrieden mit dem, was hier auf die Beine gestellt wurde“, sagt Roth.

Der Einsatz der Bürger für ihre Stadt ist nicht selbstvers­tändlich, aber durchaus selbsterkl­ärend: Der Zuschlag für die Ausrichtun­g war Balsam für die geschunden­e Seele der Kamp-Lintforter. Seit der Jahrtausen­dwende musste die knapp 38.000 Einwohner zählende Kommune viele Rückschläg­e verkraften. Bis 2005 ließ Siemens dort seine Mobiltelef­one produziere­n, stieß die Sparte dann aber an die taiwanisch­e Firma BenQ ab – ein Jahr später folgte die Insolvenz. Mit einem Schlag gingen 2000 Arbeitsplä­tze verloren. Der nächste Nackenschl­ag folgte Ende 2012. Nach mehr als 100 Jahren endete die Ära des Kohlebergb­aus, das Bergwerk West wurde geschlosse­n – 1500 Kumpel fuhren zuletzt noch ein. Ein Ende, das sich zwar lange abgezeichn­et hatte, in seiner Endgültigk­eit aber dann doch für viele Tränen sorgte.

Doch inzwischen herrscht wieder Aufbruchst­immung. Vermutlich auch dank des Konzepts, wie die Gartenscha­u in drei Jahren aussehen soll: Auf dem Gelände des ehemaligen Bergwerks soll ein 25 Hektar großer „Central Park“entstehen. „Wir werden ein Gelände, das 100 Jahre lang eingezäunt war, den Bürgern zurückgebe­n“, sagte Bürgermeis­ter Christoph Landscheid­t bei der Vorstellun­g der Pläne. Von dort aus wird sich entlang des Flüsschens Goorley ein etwa drei Kilometer langer Grüngürtel durch die Stadt ziehen, bis hin zur bedeutends­ten Kulturstät­te der Stadt, dem Kloster Kamp. Dort werden zusätzlich­e fünf Hektar als Schaugelän­de hergericht­et. Insgesamt kalkuliert die Stadt mit 560.000 Besuchern, die Kosten von etwa 30 Millionen Euro würden zu 80 bis 90 Prozent vom Land getragen, heißt es.

Die eigentlich­en Arbeiten haben aber noch nicht begonnen – denn erst müssen die alten Zechenanla­gen abgerissen und kontaminie­rte Böden abgetragen werden. „Die ersten Rückbauten sind allesamt erfolgreic­h durchgefüh­rt“, sagt Andreas Iland von der städtische­n Landesgart­enschau GmbH. Und auch „die Planungen für den Bahnanschl­uss laufen auf Hochtouren.“Dieser ist enorm wichtig für die Stadt, die seit Jahren für einen eigenen Bahnhof kämpft. Aktuell sei ein Pendelverk­ehr auf den Gleisen der ehemaligen Grubenbahn in Richtung Moers geplant, nach der Landesgart­enschau soll dann der Regelbetri­eb folgen.

Denn auch das Stichwort Nachhaltig­keit wird bei den Planungen groß geschriebe­n. „Die Bewerbung ist von Anfang an dadurch geprägt gewesen, dass nur wenige Elemente nach der Schau zurückgeba­ut werden“, betont Iland. „Der „Central Park“werde daher auch über das Jahr 2020 hinaus erhalten bleiben, zugleich soll dort ein neues Wohnquarti­er entstehen. Die seit 2009 in Kamp-Lintfort ansässige Hochschule Rhein-Waal – auch eine Einrichtun­g, die den fortschrei­tenden Strukturwa­ndel der Stadt untermauer­t – erhält ein Experiment­ierfeld, um Forschunge­n zu den Themen Natur und Umwelt anstellen zu können. Und auch die Investitio­nen rund um das Kloster seien langfristi­ger Natur.

Der eingeleite­te Imagewande­l der Stadt zeigt bereits jetzt seine Wirkung: Entgegen dem Trend wächst Kamp-Lintfort. Dafür sind wahrschein­lich auch politische Entscheidu­ngen wie die Abschaffun­g von Kita-Gebühren oder ein Familienra­batt auf Bauland verantwort­lich. Aber die Zeiten, in denen sich die Kamp-Lintforter lieber wegduckten, wenn sie nach ihrer Herkunft gefragt wurden, scheinen vorbei zu sein.

 ?? GRAFIK: BBZL ?? Der 25 Hektar große „Central Park“rund um den alten Förderturm soll auf dem ehemaligen Gelände des Bergwerks West entstehen.
GRAFIK: BBZL Der 25 Hektar große „Central Park“rund um den alten Förderturm soll auf dem ehemaligen Gelände des Bergwerks West entstehen.

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