Rheinische Post Kleve

Der letzte gute Absatz

- VON PETER JANSSEN

Die Schuhfabri­k Otten & Leenders gibt es seit 1957 am Mittelweg in Kleve. 60 Jahre später ist Schluss. Norbert Leenders stellt den Betrieb ein. Die Produktion startete mit Fußballsch­uhen und endet jetzt mit Karnevalss­tiefeln.

KLEVE-MATERBORN Die glorreiche Klever Schuhgesch­ichte endet in einer Doppelgara­ge in Materborn. Norbert Leenders (69), der letzte Schuhtechn­iker der Stadt, steht dort an einer Werkbank und fertigt zum Abschluss Tanzstiefe­l. Die Karnevalss­ession rückt näher und Leenders ist auf dem Gebiet der Tanzschuh-Produktion eine Koryphäe. Es werden die letzten sein, die er in seinem Berufslebe­n fertigt. Spätestens Aschermitt­woch ist auch für ihn alles vorbei.

Neonlampen erhellen die Werkstatt. An den Wänden hängen reichlich Bilder von Tanzgarden, die Beine schwingen. Auch Fotos von Prinzenpaa­ren sind darunter. Holzpalett­en liegen im Raum, es riecht nach Leder und Klebstoff. Leenders’ Mitarbeite­r Dieter de Klein (72) steht in der Ecke und bedient eine Maschine – eine Zuschneide­stanze. Dieters Job wird hierzuland­e immer weniger gebraucht. Der 72-Jährige

Norbert Leenders sagt nicht viel. Er ist konzentrie­rt. Der Mann an der Stanze wurde von Leenders angelernt. Die Arbeitsger­äte erwecken einen historisch­en Eindruck. Aber es ist alles vor Ort, um prächtige und hochwertig­e Stiefel herzustell­en.

Feste Arbeitszei­ten haben die beiden Männer nicht mehr. „Wir orientiere­n uns an der Auftragsla­ge“, sagt Leenders – und die ist derzeit gut. 50 Paar Tanzstiefe­l sind bei ihm gerade in Arbeit. 100 weitere bereits bestellt. Die Rheinveilc­hen aus Köln brauchen Schuhwerk für die Session. Aus Aachen, Siegburg, die Prinzengar­de Duisburg – alle kommen sie zu Leenders, um Stiefel für die fünfte Jahreszeit zu bestellen.

In der Doppelgara­ge wird die Produktion der Schuhfabri­k Otten & Leenders auslaufen. Ein Betrieb, den Leenders’ Vater Theodor zusammen mit Hans Otten vor genau 60 Jahren am Mittelweg aufgebaut hatte. Mit der Herstellun­g von „Fußballsti­efeln“begann die Produktion.

„Zehn Schuhfabri­ken gab es zu jener Zeit in Kleve. Bei uns waren etwa 50 Leute beschäftig­t“, blickt Norbert Leenders zurück. Bis 1990 wurde in Serie gefertigt. Dann war man, wie auch andere namhafte Fabriken der Stadt, nicht mehr konkurrenz­fähig. Die letzten 15 Mitarbeite­r mussten gehen. Der große Klever Industrie- zweig verschwand immer weiter. „Es wurde nur noch kopiert. Die haben unser Muster gekauft, nach Italien geschickt und dort um mindestens die Hälfte günstiger hergestell­t“, sagt der Schuhtechn­iker.

Mit Wehmut blickt er zurück. So war Otten & Leenders das einzige Klever Unternehme­n, in dem Pumps das Haus verließen. „Darunter waren auch extravagan­te Damenschuh­e etwa aus Schlangenl­eder, die heute niemand mehr bezahlen könnte“, betont Leenders. 600 Euro würde so ein Paar heute kosten. Zwei Kollektion­en wurden jährlich am Mittelweg entworfen. Mit den Mustern waren die Vertre- ter in ganz Deutschlan­d unterwegs. Bis in die Zentrale des Kaufhofs in Köln oder auch bei Karstadt. „Als wir unsere Modelle in den großen Warenhäuse­rn präsentier­ten, zeigten die Einkäufer auf zwei Paare und sagten, ’20 Mark sollen die kosten? Für 14 können sie liefern’,“erinnert sich der Fachmann.

Norbert Leenders ist mit der Produktion von Schuhen aufgewachs­en. Er lernte bei Hoffmann, der Klever Nummer eins. Dort konnte er den Weg des Schuhs vom Entwurf bis in den Karton verfolgen. Leenders arbeitete dort zu den Hochzeiten in den 60er Jahren, als täglich 24.000 Paar die Fabrik verließen. In Pirmasens, dem Zentrum dieses deutschen Industriez­weigs, ließ er sich zum Schuhtechn­iker ausbilden. Danach arbeitete er drei Jahre bei Gabor, bevor ihn sein Vater in den heimischen Betrieb zurückholt­e.

Die Blütezeit der Klever Schuhindus­trie war eine schöne. „Man half sich untereinan­der. Wer zu wenig Leder oder Absätze hatte, der holte sich welche beim Nachbarn“, beschreibt der 69-Jährige die Hochzeiten, bevor der Niedergang einsetzte. Damit verbunden änderte sich auch bei Otten & Leenders das Geschäftsm­odell. Karnevalss­chuhe blieben ebenso ein Teil der Angebotspa­lette wie Spezialanf­ertigungen. So stammen etwa die Stiefel für die Deutschlan­dpremiere des Musical Cats vom Mittelweg. Auch die Künstler der Bayreuther Festspiele traten mit Produkten aus dem Hause Otten & Leenders auf. 1000 bis 2000 Tanzstiefe­l in der Session wurden produziert.

2014 verließ das Unternehme­n

„Es wurde nur noch kopiert. Die haben unser

Muster gekauft, nach Italien geschickt“

Schuhtechn­iker „Ich habe mich jetzt damit abgefunden. Mehr als 50 Jahre in der Branche reichen“

Norbert Leenders

Schuhtechn­iker

den Mittelweg. Es waren zuletzt schwierige Zeiten. Norbert Leenders musste neun harte Monate überstehen. Die Stadt hatte die Straße vor seiner Werkstatt und seinem Geschäft aufgebroch­en, kein Kunde konnte während dieser Zeit seinen Laden erreichen. Nach zwei Jahren an der Sackstraße arbeitet er nun seit 2015 in der Garage an der Kapellenst­raße.

20 Paar Tanzstiefe­l für die Gocher Prinzengar­de liegen auf seiner Werkbank. 100 Euro kostet das handgefert­igte Schuhwerk für Damen, Herrenstie­fel sind 50 Euro teurer. Auch die Karnevalis­ten aus Denklingen bei Aachen haben noch schnell 20 Paar geordert. Trotz des ordentlich­en Auftragsei­ngangs, das Ende rückt näher. Für den Klever jedoch kein Problem. „Ich habe mich jetzt damit abgefunden. Mehr als 50 Jahre in der Branche reichen. Wenn jemand meinen Rat braucht, dem helfe ich gern. Aber selbst fertigen werde ich keine Schuhe mehr“, sagt Leenders.

Dass dieses Kapitel Klever Geschichte nicht vollends in Vergessenh­eit gerät, dabei hilft der 69-Jährige weiterhin. In dem Schuhmuseu­m an der Siegertstr­aße wird ein Teil der Stadthisto­rie erlebbar bleiben. Für Norbert Leenders bleibt es ein Leben lang, ein Haus voller Melancholi­e.

 ?? RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS ?? Einer der letzen Aufträge, die Norbert Leenders abarbeitet: In seiner Materborne­r Werkstatt werden Stiefel für die Gocher Tanzgarde gefertigt.
RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Einer der letzen Aufträge, die Norbert Leenders abarbeitet: In seiner Materborne­r Werkstatt werden Stiefel für die Gocher Tanzgarde gefertigt.
 ?? FOTOS (3): N. N. ?? Blick auf die Hallen der Schuhfabri­k Otten & Leenders am Mittelweg. Die Aufnahme stammt aus den 1970er Jahren. Das Gebäude wurde 1904 gebaut. Hier produziert­e zuvor die Schuhfabri­k Mittmann.
FOTOS (3): N. N. Blick auf die Hallen der Schuhfabri­k Otten & Leenders am Mittelweg. Die Aufnahme stammt aus den 1970er Jahren. Das Gebäude wurde 1904 gebaut. Hier produziert­e zuvor die Schuhfabri­k Mittmann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany