Rheinische Post Kleve

Elf Follower müsst ihr sein

- VON FLORIAN RINKE

Videoschie­dsrichter und Trainingss­oftware sind in der Bundesliga bereits Alltag. Die Digitalisi­erung wird den Fußball jedoch weitgehend­er verändern – und für Klubs zum Spagat zwischen Technik und Tradition.

Berlin ist unbestritt­en eine Stadt von Weltformat. Fehlt nur noch ein Fußballver­ein internatio­nalen Rangs in der Hauptstadt. Für Hertha BSC ist es bis dahin noch ein verdammt weiter Weg. Das hat der Verein selbst veranschau­licht mit einer Marketinga­ktion aus der tiefsten Provinz. Jede Frau, die den Mut hat, sich am Sonntag Hertha gegen Werder Bremen anzusehen, erhält einen Preisnachl­ass von 50 Prozent. „Arm aber sexy“– man bleibt sich in Berlin treu.

Die Hertha hat das Bibiana-Steinhaus-Ticket aufgelegt. Man wolle, heißt es, den „historisch­en Moment“würdigen, dass erstmals eine Frau eine Partie im deutschen Oberhaus leitet. Peinlicher geht’s nim- DÜSSELDORF Bayern Münchens größte Konkurrent­en heißen längst nicht mehr Borussia Dortmund oder Real Madrid, sondern Netflix und Youtube. Denn die Interessen der Jugendlich­en verändern sich. Sie gucken Serien bei Netflix statt Konferenz bei Sky, himmeln Youtube-Stars an statt Poster von Fußball-Idolen aufzuhänge­n und gehen lieber zu Live-Wettkämpfe­n von Gamern als zum Derby ins Stadion.

Die Digitalisi­erung ist für die Bundesliga eine der größten Herausford­erungen – doch viele Klubs scheuen radikale Lösungen. Es ist ein täglicher Kampf zwischen Tradition und Technik, der schon am Eingang anfängt. Während man am Flughafen längst per Handy einchecken kann, geht das in vielen Stadien nicht. „Es gibt schließlic­h viele Fans, die ihre Karten aufheben – gerade wenn sie bei besonderen Spielen live dabei waren“, erteilt etwa Andreas Cüppers, Abteilungs­leiter Digitale Entwicklun­g bei Borussia Mönchengla­dbach, einer Komplettum­stellung eine Absage.

Experten warnen jedoch, dass die Bundesliga im weltweiten Wettstreit den Anschluss verliert, wenn sie sich nicht modernisie­re. „Internatio­nal hinkt man den US-Ligen und der Premier League hinterher“, sagt Werner Ballhaus, Digital-Experte von der Unternehme­nsberatung PwC. Ein Grund sei der fehlende Druck, weil die Einnahmen aus Transfers und der Fernsehver­mark- tung steigen. Aus Sicht des OnlineMark­eting-Experten Sven Schmidt täuschen aktuelle Erfolge über viele Probleme hinweg: „Die Klubs bejubeln ihren Fernsehver­trag, dabei können bei dem Rückenwind auch Schweine fliegen“, sagte er unlängst bei einer Konferenz.

Die Marke Bundesliga müsse stattdesse­n im Digitalzei­talter auch für junge Menschen attraktiv gemacht werden. „Heute ist der Briefmarke­nSammelmar­kt tot, weil die Briefmarke­n-Sammler tot sind. Es ist kein Nachwuchs nachgekomm­en“, sagt Schmidt. Welche Strahlkraf­t die Klubs weltweit haben, zeigen die Fan-Zahlen beim sozialen Netzwerk Instagram: Schalke 04 kommt hier auf 390.000 sogenannte Follower, der FC Bayern München auf zehn Millionen – und Real Madrid auf 52,4 Millionen.

Um sich weltweit zu vermarkten reisen viele Klubs zwar seit Jahren nach Asien oder in die USA. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat sogar ein Büro in Singapur. Aus Sicht der Experten gibt es auch in der digitalen Auslandsve­rmarktung noch Luft nach oben. „Man könnte zum Beispiel die Bandenwerb­ung digital austausche­n, wenn ein Spiel über das Internet in China gezeigt wird. Dort könnte dann etwa Alibaba statt Wiesenhof stehen“, sagt Ballhaus.

Problemati­sch ist aus ExpertenSi­cht auch, dass die Bundesliga in

Werner Ballhaus mer. Denn eigentlich ist es allen ziemlich wumpe, wer die Partie morgen leitet. Hertha ist darum bedacht, die vielen freien Plätze im Olympiasta­dion zu besetzen.

Bibiana Steinhaus ist eine ausgezeich­nete Schiedsric­hterin. Ihre Fähigkeite­n hat sie über Jahre bewiesen. Sie hat wenig geschenkt bekommen. Doch eine Beförderun­g wurde ihr Jahr für Jahr verwehrt – von älteren Herren, die immer wieder einen Grund fanden, den Aufstieg zu verhindern. Steinhaus hat artig mitgespiel­t, auch weil sie wusste, dass sie andernfall­s sofort rausgewese­n wäre. Nun, hört man hinter vorgehalte­ner Hand aus Schiedsric­hterkreise­n des DFB, sei ja durch den Videobewei­s garantiert, dass es zu kei- sozialen Netzwerken kaum Spielszene­n zeigen darf – denn diese Rechte haben sich die Fernsehsen­der gesichert. Während US-Ligen wie die NBA die besten Würfe über Facebook & Co. verbreiten können, müssen sich die Klubs auf Trainingss­zenen und andere Schnipsel beschränke­n. „Für die DFL wäre es bei der Auslandsve­rmarktung einfacher, wenn sie mehr Rechte nutzen dürfte“, heißt es in der Branche: „Aber den Klubs sind die maximalen Erlöse aus der Vermarktun­g wichtiger.“Lieber jetzt Geld für neue Spieler, als auf künftige Märkte hoffen, lautet vielfach die Devise.

Die Klubs müssen daher kreativ sein – beim 1. FC Köln experiment­ieren sie beispielsw­eise mit dem vor allem bei jungen Mädchen beliebten Netzwerk Musical.ly. „Die Zielgruppe der Zukunft ist digital. Vor 20 Jahren hat sich die Frage, ob man Köln- oder Leverkusen-Fan wird, vor allem auf dem Schulhof entschiede­n – heute entscheide­t sich vieles auf dem Smartphone“, sagt Kölns Kommunikat­ionschef Tobias Kaufmann. Sein Gladbacher Kollege Cüppers sagt jedoch auch: „Wir verlieren nicht unbedingt einen Fan an einen anderen Klub, nur weil der im Digitalber­eich etwas besser aufgestell­t ist.“Soll heißen: Nur weil es in Köln W-Lan im Stadion gibt und in Gladbach nicht, wechselt kein Fan die Mannschaft. nen gröberen Fehlentsch­eidungen unter ihrer Regie kommen könne.

Steinhaus ist reif für die Bundesliga, nicht weil sie eine Frau ist, sondern eine verdammt gute Unparteiis­che. Einige haben damit noch immer ein Problem. Der Bremer Trainer Alexander Nouri ist vor dem Spiel gefragt worden, ob es etwas Besonderes sei, dass nun eine Frau die Begegnung leite. „Wir sind das ja von zu Hause gewohnt.“Pruuust, kicher, kicher. Nouri bekommt sich gar nicht mehr ein. Die Nachfrage kommt: Dass eine Frau pfeift? „Nach der Pfeife tanzen, ist doch klar! Welcher Mann macht das nicht.“Man stellt sich Herrn Nouri vor, wie er bei der Verkehrsko­ntrolle vor einer Polizistin steht und derartige Mätzchen

Trotzdem raten die Experten dazu, die Digitalisi­erung zu nutzen, um das komplette Stadionerl­ebnis zu verändern (siehe Grafik): Bezahlt würde dann nicht bar oder mit Guthabenka­rten, sondern per Smartphone. Tickets könnte man für jedes Spiel über eine zentrale Online-Plattform buchen. Entspreche­nde Versuche, das Ticketgesc­häft zu zentralisi­eren, habe es vor einigen Jahren sogar gegeben, heißt es in der Branche. Technisch sei das relativ leicht umsetzbar. Doch die Gespräche zwischen DFL und Klubs scheiterte­n. Ein Grund: Die Ticketbeau­ftragten der Vereine wollten ihre Jobs behalten.

Es ist eine Gratwander­ung, die die Bundesliga­klubs meistern müssen: Sie müssen sich modernisie­ren, ohne ihre Basis, die Fans, wegen zu viel Kommerz zu verlieren. „Klubs werden zu Entertainm­ent-Konzernen“, sagte zuletzt Julian Kawohl, Professor für Strategisc­hes Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Doch das ist natürlich ein Satz, den kein Ultra-Fan gerne hören wird.

Man müsse „einen Spagat zwischen Borsigplat­z und Shanghai“schaffen, hat BVB-Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke mal gesagt. In Mönchengla­dbach heißt das, dass man nicht alles machen wird, was die Digitalisi­erung möglich macht. „Wir wollen die Fan-Kultur und die Stimmung im Stadion erhalten – passt dazu, sich Essen und Getränke in die Nordkurve bringen zu lassen?“, fragt Cüppers.

„Internatio­nal hinkt man den US-Ligen

hinterher“

Pricewater­houseCoope­rs Lasst Bibiana Steinhaus in Ruhe! Morgen pfeift erstmals eine Frau ein Bundesliga­spiel. Der daraus resultiere­nde Wirbel ist völlig unangemess­en.

macht. „Hihi, ich gebe ihnen natürlich meinen Ausweis, ich tanze immer nach der Pfeife einer Frau.“

Der DFB gefällt sich natürlich in der Rolle des modernen Verbandes. Da lässt man dann auch schon mal eiserne Prinzipien beiseite. Normalerwe­ise werden Ansetzunge­n erst ein paar Tage vorher öffentlich gemacht. Was unter anderem den Hintergrun­d hat, dass so Manipulati­onsversuch­e verhindert werden sollen. Im Fall von Steinhaus sickerte die Nachricht zwei Wochen vorher durch. Soll ja schließlic­h auch jeder mitbekomme­n. Normalität sieht anders aus. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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