Kuscheln auf dem Klimakiller
Der ehemaligen BayerTochter Covestro aus Leverkusen ist es gelungen, statt Erdöl Kohlendioxid in ein Vorprodukt für Schaumstoffe einzubauen.
Es klingt wie in einem ScienceFiction-Film: aus einem schädlichen Treibhausgas einen nützlichen Rohstoff zu machen und dabei auch noch Ressourcen zu schonen. Dem Leverkusener Kunststoff-Hersteller Covestro ist genau das gelungen. Jahrelang hatten die Experten der Bayer-Tochter gemeinsam mit der RWTH Aachen geforscht, vor kurzem haben sie der Fiktion zur Wirklichkeit verholfen. Sie haben es geschafft, Kohlendioxid (CO2) in ein Vorprodukt für Schaumstoffe einzubauen und damit einen Teil des knappen Erdöls zu ersetzen, aus dem dieses üblicherweise komplett besteht. Ende vergangenen Jah- res ging die erste Produktionsanlage am Standort Dormagen in Betrieb. Verwendung finden soll das neue Material namens cardyon zunächst für Matratzen. Die ersten Kunden würden schon beliefert, bestätigt Vertriebsmanagerin Dr. Berit Stange, die sich um die Vermarktung des Vorprodukts aus CO2 kümmert. Der Schaumstoff, der daraus hergestellt wird, heißt Polyurethan und wird für viele Dinge des täglichen Lebens benötigt - neben Matratzen beispielsweise für Möbel und Autoteile oder als Dämmstoff für Gebäude und Kühlgeräte.
Das neuartige Vorprodukt – ein so genanntes Polyol – enthält bis zu 20 Prozent CO2. „Polyole können nicht vollständig aus CO2 hergestellt werden“, schränkt Stange ein. Dennoch habe man mit dem neuen Verfahren einen weiteren wichtigen Schritt in eine nachhaltige Zukunft getan. Covestro hat rund 15 Millionen Euro in die Anlage in Dormagen investiert, bis zu 5000 Tonnen CO2-haltiges Polyol pro Jahr können dort hergestellt werden. Das benötigte Kohlendioxid kommt als Abfallprodukt aus einer Anlage eines anderes Unternehmens im Chemiepark, in der Ammoniak hergestellt wird.
Der besondere Kunstgriff ist ein unscheinbares weißes Pulver, das als Katalysator die chemische Reaktion mit CO2 erst sinnvoll möglich macht. „Mit ihm lässt sich das reaktionsträge Molekül Kohlendioxid end- lich effizient nutzen“, erklärt Dr. Christoph Gürtler, Leiter der Abteilung Katalyse-Forschung bei Covestro.
Kuscheln auf dem Klimakiller – ist das nicht bedenklich? „Überhaupt nicht“, versichert Gürtler. „Das Kohlendioxid ist im Polyol und später im Polyurethan chemisch fest eingebunden und wird nicht wieder freigesetzt.“Die CO2-basierten Schaumstoffe seien gesundheitlich völlig unbedenklich und hätten die gleichen Eigenschaften wie solche, die komplett auf Erdöl beruhen.
Damit nicht genug: Covestro arbeitet bereits an der nächsten Revolution. Wiederum mit Partnern ist es den Forschern im Unternehmen gelungen, die wichtige Grundchemikalie Anilin zu 100 Prozent aus Biomasse zu gewinnen. Bisher wird Anilin weltweit ausschließlich aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl hergestellt.
Covestro benötigt Anilin als Vorstufe für Polyurethan-Hartschaum, einen hocheffizienten, vielfach verwendeten Dämmstoff. Nach dem Erfolg im Labor will Covestro das neue Verfahren nun zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft weiterentwickeln. Ziel ist, die Herstellung von biobasiertem Anilin im Industriemaßstab zu ermöglichen. „Das wäre ein absolutes Novum in der Kunststoffbranche“, betont Projektleiter Dr. Gernot Jäger. Derzeit werden weltweit rund fünf Mil- lionen Tonnen Anilin produziert. Covestro zählt mit einer Produktionskapazität von etwa einer Million Tonnen zu den führenden Herstellern. „Es besteht am Markt ein hohes Interesse an ökologisch vorteilhaften Produkten auf Basis nachwachsender Rohstoffe“, sagt Dr. Markus Steilemann, im Covestro-Vorstand zustän- dig für Innovation, Marketing und Vertrieb. „Anilin aus Biomasse zu gewinnen, ist ein weiterer wichtiger Schritt, um die Chemie- und Kunststoffindustrie unabhängiger von den knappen fossilen Rohstoffen und den Marktschwankungen zu machen. Wir folgen damit unserer Vision, die Welt lebenswerter zu machen.“Die Nahrungsmittelproduktion wird durch biobasierte Rohstoffe für Kunststoffe wie BioAnilin übrigens nicht beeinträchtigt. Nach einer Analyse des Verbandes European Bioplastics Association wurden 2014 lediglich 0,01 Prozent der global verfügbaren Ackerfläche für biobasierte Kunststoffe verwendet. Im Jahr 2019 be- trägt der Anteil voraussichtlich erst 0,02 Prozent. Würden alle global hergestellten erdölbasierten Kunststoffe, rund 300 Millionen Tonnen pro Jahr, durch biobasierte Varianten ersetzt, beliefe sich die erforderliche Anbaufläche auf 0,9 Prozent der global verfügbaren Ackerfläche. Der Anteil sei also sehr gering, so Jäger.
Die Grundchemika
lie Anilin kann zu 100 Prozent aus Biomasse gewonnen
werden