Laschets fröhliches Ungefähr
Als „freundlich, aber unorganisiert“beschreibt die Opposition Armin Laschets Regierungsstil. Das erste Amtsjahr ist dem Ministerpräsidenten weitgehend geglückt. Wenn da nicht die Umweltministerin wäre.
DÜSSELDORF Es ist ein kurzer Moment der Irritation: Nach seiner Antrittsrede als CDU-Ministerpräsident vor dem Landtag lenkt die Routine Armin Laschet erst einmal wieder zurück auf den alten Drehstuhl in der Fraktionsecke. Der Landtagspräsident sucht Laschets Blick und macht ihn mit schmunzelnder Geste auf den Fauxpas aufmerksam. Laschet nickt, geht wieder nach vorne und setzt sich dorthin, wo nun seit fast einem Jahr niemand mehr außer ihm sitzen darf: auf den ersten Platz der Regierungsbank.
Sein manchmal etwas unsortiert wirkendes Wesen hat Laschet auch als Ministerpräsident nicht abgelegt. Noch immer prescht der gelernte Journalist gelegentlich allzu optimistisch nach vorne, ohne es ausreichend vorbereitet zu haben.
So geriet seine erste Auslandsreise nach Belgien kurz nach seinem Amtsantritt zur Schlappe mit Ansage: Er selbst hatte zuvor die Erwartung geschürt, eine vorzeitige Abschaltung des Pannenreaktors Tihange zu erreichen. Der Spott, der ihm entgegenschlug, als er mit leeren Händen zurückkam, war vermeidbar.
Als er vor wenigen Wochen dem Landtag mit großem Furor seine Pläne für eine neue Ruhrgebietskonferenz vorstellte, war er sichtlich beleidigt, als die Opposition die gut gemeinte Idee zerpflückte. Auch das war absehbar. Denn im Kern besteht die Idee bislang nur aus ein paar Gesprächsrunden. „Unorganisiert“, sagt Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD), wenn er Laschets Politikstil beschreiben soll. „Freundlich, aber unorganisiert. Manchmal auch etwas flapsig.“
Zu Oppositionszeiten verzettelte sich Laschet noch als Gastdozent in Aachen mit der improvisierten Benotung von Uni-Klausuren, die niemand geschrieben hatte. Heute hat er einen großen Stab, der ihm Unterlagen, Termine und wohl auch einen guten Teil der Strategie vorsortiert. Allen voran der akribische Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU).
Nichts charakterisiert die Zusammenarbeit der beiden besser als dieses Bild: Wenn im Plenum mal wieder die Fetzen fliegen, ist Laschet voll konzentriert bei der Sache. Sein Schreibtisch auf der Regierungsbank ist fast immer leer. Hinter ihm sitzt Liminski, verschanzt hinter einem Berg von Akten. Ab und zu bekommt Laschet von seinem Intimus ein Blatt nach vorne gereicht. Mal nickt der Ministerpräsident, mal schüttelt er den Kopf. Und wenn er seine Unterschrift auf das Blatt setzt, steht Liminski oft mit dem Papier in der Hand auf und verlässt kurz den Saal.
Das aufmerksame Zuhören, auch wenn die Opposition polemisch wird, ist ein weiteres Merkmal von Laschets Regierungsstil. Nicht nur im Plenum, auch im direkten Kontakt mit Bürgern. Selbst dann, wenn wie nach dem Kiepenkerl-Attentat von Münster eine Harlekin-Hosenträgerin in Birkenstock-Schuhen ihren Unmut über Gott und die Welt in eine Schweigeminute hineinbrüllt. Laschet löst sich aus der trauernden Runde, geht auf die Mittfünfzigerin zu, blickt ihr direkt in die Augen und lässt den kaum nachvollziehbaren Redeschwall über sich ergehen. Erst nach einer halben Minute hebt er beschwichtigend die Hände: „Das ist jetzt nicht der richtige Moment“, sagt er dann in leisem Tonfall. Und bittet selbst sie, die gar nichts verstehen will, um Verständnis: „Heute ist der Tag, an dem wir uns auf die Opfer und deren Angehörige konzentrieren.“
Hochmut oder Arroganz, wie sie gelegentlich bei seinen Amtsvorgängern Wolfgang Clement (damals noch SPD) und Peer Steinbrück (heute immer noch SPD) zu beobachten waren, sind Laschet fremd. Mit keiner noch so kleinen Geste ließ er nach der Wahl die Genugtuung durchblicken, die er empfunden haben muss. Denn sie alle hatten ihn unterschätzt.
„Wir haben keinen anderen“, moserte man in der CDU-Fraktion selbst dann noch, als die Partei den kaum 1,75 Meter großen Bergmannssohn längst zum Spitzenkandidaten für den Landtagswahlkampf 2017 ausgerufen hatte. Nach zwei Niederlagen im Ringen um parteiinterne Spitzenämter galt der joviale Rheinländer aus Burtscheid, dem wohl beschaulichsten Stadtteil von Aachen, als Verlegenheitslösung. Auch die Demoskopen sahen den Herausforderer bis kurz vor der Wahl bestenfalls auf Augenhöhe mit der damaligen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die Laschets Wahlkampf-Team als „WackeldackelTruppe“abtat.
Doch dann kam der Wahlabend. Am 14. Mai 2017 lag Laschets CDU plötzlich vorne. Mit seinem Wunschpartner FDP schmiedete der überraschende Wahlsieger in nur sechs Wochen eine schwarzgelbe Koalition. „Zuvor waren mir von ihm nur die Kernpositionen bekannt“, erinnert sich FDP-Fraktionschef Christof Rasche. Erst in den Koalitionsverhandlungen habe er Laschet als Polit-Manager kennengelernt, der „bestens vorbereitet und mit tiefen Detailkenntnissen“die Diskussionen gesteuert habe. Rasche sagt über Laschet: „Ich glaube, er ist mit der Aufgabe nochmals gewachsen.“
Wer persönlich mit dem Ministerpräsidenten zu tun hat, weiß seine kleinen Gesten zu schätzen. Zum
Monika Düker Beispiel, wenn er selbst im entfernteren Umfeld erstaunlich individuelle Geburtstagsgrüße verschickt. Die Opposition kauft ihm die offenherzige Art aber nicht ab. „Nach knapp einem Jahr im Amt weiß man beim Ministerpräsidenten immer noch nicht, woran man ist“, schimpft Grünen-Fraktionschefin Monika Düker. Eigentlich müsste sie es wissen, denn die beiden kennen sich besser, als viele vermuten. Trotzdem hält Düker Laschets Gestus „des weltoffenen und jovialen Landesvaters“für eine Fassade.
Tatsächlich musste Laschet schon etliche selbstgebaute Kulissen wieder einreißen. So erwies sich die Ernennung des Medienmanagers Ste- phan Holthoff-Pförtner zum Medienminister als untragbar. Wegen des unübersehbaren Interessenkonflikts musste Laschet dem Verleger diese Zuständigkeit entziehen. Auch seine im Wahlkampf mit großer Bedeutung aufgeladene Sicherheitskommission begann mit einem Fehlstart. Eigentlich als Expertengremium unter der Doppelspitze Wolfgang Bosbach (CDU) und Gerhart Baum (FDP) geplant, warf Baum schon hin, bevor es losging. Die Differenzen der beiden AlphaPolitiker waren zu groß.
Aber die unangenehmste Personalie steht Laschet noch bevor: Seine Umweltministerin Christina Schulze Föcking (CDU) wackelt. Einzig sichtbares Ergebnis ihres ersten Amtsjahres ist ein Untersuchungsausschuss, vor dem sie sich in Kürze für mehrere Affären verantworten soll. Die brisanteste: Wegen eines angeblichen Hackerangriffs auf ihren privaten Fernseher inszenierte sich die Landwirtin aus Westfalen zu lange als Opfer und nahm voller Pathos die Solidaritätsnoten des Landtags selbst dann noch entgegen, als die Kriminalpolizei den vermeintlichen Angriff längst als läppischen Bedienfehler enttarnt hatte. Weil auch Laschet und sein Regierungssprecher in der Sache unnötig lange und laut Alarm schlugen, könnte die Affäre auch noch die Staatskanzlei einholen.
Auf Laschets Habenseite steht sein ausgeprägter Gestaltungsdrang. Sein Kabinett legte bereits 39 Gesetz- und Verordnungsentwürfe vor. Unter anderem setzte Laschet mehr Personal und Befugnisse für die Polizei durch, schaffte das ungeliebte Turbo-Abitur so gut wie ab, erhöhte Mittel und die Planungskapazitäten für den Straßenbau, brachte erste Privatisierungen auf den Weg und entrümpelte vom Vergabegesetz bis zur Hygieneampel den Verordnungsdschungel der Vorgängerregierung. Als „hocheffizient“bezeichnen Minister die Sitzungen des Kabinetts. Anders als unter Kraft werde dort nur noch entschieden und wenig diskutiert. Laschets Regierungs-Trick: Strittige Punkte räumt er schon vorher in Vier-Augen-Gesprächen beiseite.
Hat das Amt Armin Laschet verändert? „Nein“, meint Heribert Walz. Die beiden kennen sich seit dem 14. Lebensjahr. „Wenn Armin samstags das Altglas wegbringt, nimmt er dafür immer noch seinen privaten Opel Zafira.“Er sei nachdenklicher geworden, sagt Heribert August. Der Monsignore hat den tiefgläubigen Katholiken Armin 1985 mit dessen Jugendliebe Susanne vermählt. „Man merkt, dass er seine Worte sorgfältiger wählt. Er weiß, dass sie jetzt mehr Gewicht haben“, meint der Kirchenmann.
Manches ist jetzt auch in Laschets Heimatort Burtscheid anders. Das kann man beobachten, wenn Laschet mal wieder ins Frankenberger Viertel fährt, um seine Lieblingszigarillos im Pfeifenstudio Jurewicz zu kaufen. Es ist nicht das beste Viertel von Burtscheid. Die jungen Männer, die dort viel Zeit auf Parkbänken und in Hauseingängen verbringen, nahmen früher nie von Laschet Notiz. Aber wenn er heute vorbeikommt, springen sie auf, manche verstecken sich. Wohl nicht vor Laschet, sondern vor den beiden gepanzerten Blaulicht-Dienstlimousinen und den Bodyguards, die ihn jetzt ständig begleiten. In manchen Kreisen löst Laschets Konvoi eben auch Missverständnisse aus.
„Man weiß bei Laschet noch immer nicht, woran man ist“ Grünen-Fraktionsvorsitzende
im Landtag