Der Urknall des Postrocks
Für unseren Autor ein Klassiker: „F#A#oo“von Godspeed You! Black Emperor.
Ich weiß nicht, ob Texte über Musik, die einem besonders ans Herz gewachsen ist, so beginnen sollten. Aber so war es nun einmal. 2000 besuchte ich mein erstes popkulturelles Proseminar. Der Dozent sprach von einer geheimnisvollen kanadischen Band: Mindestens 20 Mitglieder (eines davon ein Filmprojektor), Lieder, die selten kürzer als fünfzehn Minuten dauerten und ohne Gesang auskamen, dazu ein Name, in dem das Ausrufezeichen einmal die Wörter entlangwanderte. Anders also als alles, was ich bis dahin mit Musik verbunden hatte.
Bald darauf hörte ich Godspeed You! Black Emperor und ihr Debütalbum „F#A#oo“. Es war nicht weni- ger als eine Offenbarung. Ich kannte Punk, Progrock und Klassik. Aber Postrock war eine vollkommen andere Sache. Die Leise/Laut-Dynamik, das ewige Anschwellen und erschöpfende Runterkommen, das mitreißende Orchestrale, der Drone-Sound, der die inneren Organe zerfetzte, die verstörenden Sprachsamples, die Dystopie, die aus jeder Note tropfte – das schüttelte mein Herz durch und schlug Funken in meinem Kopf, war zweifellos pathetisch und anmaßend, überlebensgroß und furchtlos.
In der CD-Version besteht das Album aus drei Stücken. Der Einstieg ist „The Dead Flag Blues“, das wie Blues aus der Zukunft beginnt und später mit Glockenspiel und Violine in eine Countryapokalypse taumelt. Am Schluss erklingt „Providence“, das in knapp 30 Minuten vom Ende der Welt erzählt. Herzstück der Platte ist „East Hastings“, ein Donnerschwall, der mit Dudelsack verstört und im Zwischenteil „The Sad Mafioso“unerbittlich auf eine Katastrophe zurast. Das Entscheidende dabei ist die Stille. Die Stille nach dem Drama auszuhalten – das ist die Wahrheit. Unzählige Male habe ich diese 17 Minuten und 58 Sekunden gehört, sicher mehrere Tage meines Lebens dafür aufgewendet.
„F#A#oo“ist ein Film, ein Roman, der Jahrtausende von Generationen umfasst, nein, viel mehr als das. Die Hörer sind Resonanzkörper für die Töne, produzieren selbst die Bilder dazu, verwandeln die Musik in etwas, das zwischen den Zeiten liegt. Jeder Durchlauf fühlt sich wie zehn Ironmans an und ist hundertmal so beglückend, erhebend natürlich, vielschichtig. Gebündelt darin Schwermut, Wut, Wissen und Kunst, in gewissem Sinne sammelt sich hier die Geschichte der Menschheit und deren Ende, wie ein ewiger Flug durch die letzten zehn Minuten von „2001“. Ja, das klingt unglaublich prätentiös – wie ein Proseminar eben – aber jedes große Wort scheint mir zu gering dafür.
Danny Boyle verwendete Elemente davon im wichtigsten Zombiefilm: Durch „28 Days Later“wuchs die Popularität der Band, Postrock erlebte einen Boom. GY!BE gingen nach dem Millennium für ein paar Jahre auseinander, kamen wieder zusammen, gaben eindrucksvolle Konzerte. Jedes ihrer folgenden Alben ist ein Monolith, aber keines steht so unverwüstlich in der Zeit wie dieses. Der Name ist übrigens wenig kryptisch gemeint: Es sind zwei Akkorde in Dauerschleife.