Wohin rollst du, Äpfelchen . . .
Gestalten hasteten vorüber, traten aus dem Schatten der Häuser in den Schein der Gaslaternen, bekamen Gesichter, müde, gleichgültige, verdrossene oder unbekümmerte, und verloren sich wieder im Dunkel. Vom Straßenende her kamen Hupensignale und die heiseren Stimmen der Zeitungsverkäufer.
„Also wenn ich heut’ nicht nach Hause komm’“, sagte Georg, während er sich mit der nassen Bürste die gescheitelten Haare glattstrich, „dann müßt ihr euch keine Sorgen machen. Der Freund, bei dem ich geladen bin, wohnt weit draußen in Hietzing, eigentlich schon eher in Ober-St.-Veit. Ich denk’, ich werd’ bei ihm übernachten, Fahrgelegenheit gibt es ja keine, und zu Fuß nach Hause bei diesem Wetter –“
Er glaubte, in dem Gesicht seiner Schwester ein spöttisch-nachsichtiges Lächeln zu sehen, er bemerkte nicht, dass Lola gar nicht auf ihn hörte. Der Vorwand, den er sich zurechtgelegt hatte, um ausbleiben zu können, erschien ihm plötzlich allzu durchsichtig und wenig glaubhaft. Und ärgerlich darüber, dass ihm nichts Besseres eingefallen war, fuhr er fort:
„Es ist natürlich ganz überflüssig, dass ich bei diesem Hundewetter hinausfahr’. Aber da ich nun einmal zugesagt hab’ –! Und dann schließlich ist das heut’ mein letzter freier Abend, von Montag ab gehört meine Zeit ausschließlich dem Herrn Bamberger. Tu l’a voulu, liebe Lola. Was dabei herausschaut, wird sich ja zeigen.“
„Endlich! Da sind sie“, rief Vally vom Fenster her.
Lola blickte von ihrer Arbeit auf, einen Augenblick lang war in ihrem Gesicht der Ausdruck einer angstvollen Spannung. Doch sie beherrschte sich.
„Gott sei Dank“, sagte sie leise. „Das Warten, das ist das Schlimmste.“
„Sie sind im Einspänner gekommen“, berichtete Vally. „Den Vater hab’ ich nur eine Sekunde lang gesehen, er ist gleich ins Haus. Der Herr Ebenseder steht noch unten und spricht mit dem Kutscher.“„Was ist denn los?“fragte Vittorin. Lola gab keine Antwort. Vally warf einen unsicheren Blick auf ihre Schwester, sie wusste nicht, ob sie sprechen durfte.
„Was heißt das?“rief Vittorin ungeduldig. „Gibt es hier Geheimnisse? Also schön, gut, behaltet es für euch!“
„Ich glaub’“, sagte Vally, „das heißt, die Lola glaubt, dass es sich heut’ entschieden hat, ob der Vater in Pension geschickt wird.“
Vittorin war an diesem Abend nicht in der Stimmung, sich mit Dingen, die ihm ungelegen kamen, allzu sehr zu beschäftigen.
„Du glaubst! Die Lola glaubt!“rief er mit einem Blick auf die Uhr, die viertel sieben zeigte. „Dummes Gerede. Der Vater hätt’ mir doch ein Wort gesagt.“„Mir hat er auch nichts gesagt“, erwiderte Lola. „Du kennst doch den Vater. Aber gestern war der Ebenseder zweimal hier, sie haben sich eingeschlossen und lang miteinander gesprochen – ist dir das nicht aufgefallen? Und heute morgen ist ein rekommandierter Brief gekommen, den hat der Vater –“
Sie hörte das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür. Aus dem Vorzimmer kamen Stimmen.
„Tu’ mir nur den einzigen Gefallen, Georg, und stell’ keine Fragen“, bat sie hastig und leise. „Mach’ überhaupt, als wenn du von nichts wüßtest. Er wird schon selbst davon zu sprechen beginnen, wenn die Sache gut ausgegangen ist.“Und sie beugte sich mit einer unbefangenen und gleichgültigen Miene über ihre Handarbeit.