Arzt-Sprechstunde per Video in NRW-Gefängnissen
Weil es zu wenige Ärzte in Haftanstalten gibt, denkt die Landesregierung über ganz neue Wege der medizinischen Behandlung nach.
DÜSSELDORF Die Landesregierung denkt über die Einführung von Telemedizin in NRW-Gefängnissen nach. „Abhängig von den Ergebnissen des Pilotprojekts in Baden-Württemberg soll die Einführung der Telemedizin auch in Nordrhein-Westfalen geprüft werden“, heißt es in einer Antwort von NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) auf eine kleine Anfrage der SPD. Zwar könne die Fernbehandlung kein vollständiger Ersatz für einen persönlichen Besuch beim Arzt sein. Als Ergänzung aber könne dies im Einzelfall sinnvoll sein.
Mit der Einführung von Videosprechstunden für Gefängnisinsassen würde NRW Neuland betreten. Zurzeit läuft ein bundesweit einmaliger Modellversuch in Baden-Württemberg. Dort wurde dafür eigens die Berufsordnung für Ärzte geändert. In dem zunächst auf sechs Monate angelegten Modellprojekt sollen Gefangene in Justizvollzugsanstalten telemedizinisch betreut und behandelt werden. Um eine medizinische Versorgung rund um die Uhr zu ermöglichen, erprobt das baden-württembergische Justizministerium Videosprechstunden mit einem dezentralen Ärztepool verschiedener Fachrichtungen. Dabei wird kontinuierlich geprüft, ob Patienten bei Fernbehandlung genauso gut wie in einer Praxis oder einem Krankenhaus betreut werden. Kritiker bezweifeln dies, weil aus ihrer Sicht die körperliche Untersuchung eines Patienten unverzichtbar ist.
Hintergrund der Initiative ist der Ärztemangel in Gefängnissen. „Die Gewinnung von Ärztinnen und Ärzten im Justizvollzug hat sich in den letzten Jahren zu einer schwierigen Herausforderung entwickelt“, räumt Biesenbach ein. Die Opposition hat dafür eine Erklärung: „Die derzeitigen Verdienstmöglichkeiten im Justizvollzug sind für Ärzte nicht ausreichend attraktiv“, so SPD-Rechtsexpertin Lisa Kapteinat. Zudem seien die Anforderungen dort höher als anderswo.
Verbeamtete Ärzte in Haftanstalten erhalten eine Vergütung zwischen A 13 und A 16. Dies entspricht einem Brutto-Monatsgehalt zwischen rund 4200 und 5600 Euro. Die Landesregierung strebe aber an, Fachärzten in Ausnahmefällen auch einen Berufseinstieg nach der Besoldungsgruppe A 14 zu ermöglichen.
Um die Tätigkeit attraktiver zu machen, setzt der NRW-Justizminister auch auf ungewöhnliche Methoden: Im Deutschen Ärzteblatt habe es eine Anzeige gegeben mit dem in der Jusitzvollzugsanstalt Werl tätigen Anstaltsarzt und Schauspieler Joe Bausch, der auch im „Tatort“zu sehen ist. Dies habe zur Einstellung von vier Ärzten geführt und solle wiederholt werden. Zudem beauftragte das Ministerium Anfang September 2017 eine Personalvermittlungsagentur. Die Anzahl unbesetzter Stellen bezifferte Biesenbach mit 7,87 von 59. Allerdings handelt es sich bei vielen Anstaltsärzten zurzeit nicht um feste Kräfte.
Der Einsatz von Telemedizin in Baden-Württemberg könnte auch dazu beitragen, aufwendige Gefangenen-Transporte zu auswärtigen Arzt- und Krankenhausterminen zu vermeiden. Im Gefängnis Bielefeld-Senne etwa entfielen allein im ersten Halbjahr 2018 demnach 2344 Arbeitsstunden von Justizangestellten auf Arztbesuche. In der Regel müssen Gefangene von zwei Bediensteten begleitet werden.