Blind Date der literarischen Art
Die Freiburger Autorin Susanne Fritz las aus ihrem Roman „Wie kommt der Krieg ins Kind“. Er ist einer von 20 nominierten Titeln für den Deutschen Buchpreis.
KLEVE „Daten kann man heutzutage viele Dinge – wir daten Literatur.“Mit diesen Worten begrüßte Sigrun Hintzen das Publikum im Klever Aussichtsturm zu einer Lesung, bei der es bis zum letzten Augenblick ein Geheimnis war, welche Autorin, welcher Autor denn kommt. Sicher war nur, dass sein Name bereits auf der sogenannten „Longlist“der 20 nominierten Autoren für den Deutschen Buchpreis steht, den der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 2005 jährlich vergibt.
So war für die zahlreichen Gäste zunächst einmal der Blick auf den Büchertisch obligatorisch, den die Buchhandlung Hintzen aufgebaut hatte. „Wie kommt der Krieg ins Kind“lautete der Titel, der dort lag, geschrieben von der Freiburger Autorin Susanne Fritz. „Auch für mich ist es ein Blind Date“, sagte diese und betonte: „Zu meinem Glück hat es mich an den Niederrhein verschlagen.“
Die Lesung war in drei Abschnitte unterteilt, zwischen denen Sigrun Hintzen im Gespräch mit der Schriftstellerin das Gehörte aufgriff und durch Fragen interessante Details aus dem Entstehungsprozess eines ebenso bewegenden wie persönlichen Romans zur Sprache brachte. Susanne Fritz erzählt in ihrem Buch die Geschichte ihrer Mutter, die 1945 im Alter von 14 Jahren verhaftet wurde und mehrere Jahre in einem polnischen Arbeitslager verbringen musste. „Seit meiner Kindheit kenne ich die Geschichte meiner Mutter und bin mit den Worten ,Gefangenschaft’ und ,Lager’ aufgewachsen“, erklärt Fritz.
Als sie sich aber als Erwachsene aufmachte, die Lücken zu füllen, die ihre Mutter beim Erzählen ließ, stieß sie während Recherchen beim polnischen Staatsarchiv auf ein Dokument, auf dem sich der Fingerabdruck ihrer Mutter befindet – genommen bei ihrer Verhaftung. Der Anblick dieses Fingerabdrucks traf sie, wie sie im Text beschreibt, mit „dramatischer Wucht“. Der Fingerabdruck ist daher Leitmotiv des Romans und Sinnbild einer vergangenen Wirklichkeit, der Susanne Fritz sich mit äußerster Behutsamkeit nähert. Immer wieder thematisiert sie die Diskrepanz zwischen den Worten und dem, was sie vorfindet. Akribisch beschreibt sie Fotografien, nicht nur der Mutter, auch der Großeltern. „Wir schauen der Autorin beim Lesen über die Schulter“, beschreibt Sigrun Hintzen ihre Lektüre des Romans.
Tief greife Fritz in die Vergangenheit und auch in die Gegenwart. Hintzen betonte, dass im Text Täter und Opfer an vielen Stellen bewusst nicht klar erkennbar seien. Zwei Kriege bestimmen die beschriebene Zeit, der Großvater der Autorin zum Beispiel trug vier Uniformen und war Bürger dreier Staaten. So ist der Roman nicht nur eine sehr persönliche Mutter-Tochter-Geschichte, sondern ein historisches Dokument über das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen.
Die Zuhörerschaft im Restaurant des Aussichtsturms war spürbar beeindruckt, auch von der Vortragsweise der Autorin. „Jedes Wort zählt“, schreibt sie im Zusammenhang mit dem berührenden Bericht über das Lesen der Tagebücher ihrer Mutter während der Inhaftierung. Und dies gilt auch für ihr Buch. Jedes Wort wurde vielfach überdacht, jedes Wort wurde klar und akzentuiert vorgelesen.
Nur acht Blind Date Lesungen der Autoren der „Longlist“finden insgesamt in Deutschland statt. Die „Shortlist“mit sechs Titeln wird am 11. September bekanntgegeben. Der Deutsche Buchpreis wird am 8. Oktober, zwei Tage vor Beginn der Frankfurter Buchmesse verliehen. Er ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert. Der erste Preisträger erhält 25.000 Euro, die übrigen fünf der Shortlist jeweils 2500 Euro.