Wassertaxi ins Indianerland
Wer die Emberá-Indianer in Panamas größtem Naturschutzgebiet besuchen möchte, benutzt zunächst den heißen Draht und wird dann mit dem Einbaum abgeholt.
Sechs Uhr früh in Panama-City: Die letzte Chance, auf dem Weg zu den Emberá-Indianern der allmorgendlichen RushHour davonzufahren. Allmählich schrumpfen die Wolkenkratzer und Finanztürme der 1,6-Millionen-Stadt im Rückspiegel. Von einer Landstraße rumpelt der Wagen in einen staubigen Seitenweg die Holperpiste hinunter zum Alajuela-See am Rio Chagres. Mangound Papaya-Bäume säumen eine kleine Bucht, Wellen wabern gemächlich gegen ein paar bunte Blech- und Holzboote. Der Chagres ist Lebensquell und Fluchtoase für die Emberá. Als Guerilla und Waffenhändler über die kolumbianische Grenze kamen, zogen sich viele Familien in Panamas größtes Naturschutzgebiet zurück.
Zwei mit Lendenschurze bekleidete Indianer winken die Besucher heran. In einem schwankenden Langbaum-Boot balancieren die Passgiere zu ihren Sitzbrettern. Steuerbord stemmt der Vordermann das Boot mit einem Stab vom Ufer, Backbord taucht der Hintermann den knatternden 15-PS-Motor ins Wasser. Langsam gleitet das Flusstaxi durch das grüne Naturparadies. Libellen stehen wie funkelnde Diamanten im Licht, Greifvögel kreisen über dem dichten Blätterdach des Tropenwaldes. Auf der Bugspitze manövriert der Indio das Boot geschickt vorbei an Steinbrocken und Geäst durch die flachen Stromschnellen. Plötzlich springt der kleine drahtige Mann ins Wasser. Mit Stake und vollem Körpereinsatz versucht er das Boot gegen die Strömung auf Kurs zu halten. Zu spät. Die Piroge schrammt auf eine Kieselbank und steckt fest. Nach fünf kräftigen Haurucks taucht die Motorschraube wieder heulend ins Wasser.
An einer Flussbiegung steigt Rauch in den Himmel. Affen lugen neugierig aus dem Dickicht. Kinder rennen einen Abhang zum Ufer hinunter und weisen den Ankömmlingen den steilen Pfad ins Indianerdorf. Auf einem Hügel stehen verstreut um eine Lichtung ein Dutzend Hütten. Zum Schutz vor Hochwasser und Tieren sind die Unterkünfte auf Stelzen gebaut. 90 Menschen leben in den mit Palmenblättern gedeckten Pfahlbauten. An diesem Tag bestimmen junge Frauen in bestickten Gewändern das dörfliche Bild. Trugen 1974 die ersten Siedler nur Schmuck und Farben auf der Haut, streifen sich ihre Nachfahren für die Weißen eine bunte „Arbeitskleidung“über. Für die Männer, die am Fluss mit Speeren reichlich Fischbeute machen, reicht ein Schurz. Andere arbeiten als Tagelöhner in Panama-City. Kehren sie am Wochenende in Shorts und Schlappen zurück, entspricht deren Erscheinung so gar nicht einem fotogenen Klischee vom Ureinwohner. Motive finden Touristenkameras jedoch in der guten Stube des Dorfes, der Versammlungshütte. Mädchen servieren zu Tilapia-Fisch in Palmenblätter gewickelte Kochbananen. Dann herrscht Stille. Häuptling Johnson ergreift das Wort, berichtet vom Leben und der Kultur seiner Gemeinschaft. Den athletischen Körper des 38-Jährigen zieren lila-schwarze Schlangenmuster und gemalte Motive aus Träumen. In einer Ecke lassen sich Touristinnen mit geheimnisvollen Zeichen schmücken. Die Farbe wird aus der Frucht des Jagua-Baums gewonnen und ist nach sieben Tagen wieder abwaschbar.
Weil im Naturschutzpark jagen und das Anlegen von Feldern untersagt ist, verdient sein Stamm Geld mit dem Verkauf von handgefertigtem Schmuck, Stickereien und Figuren. Neben dem Holzverschlag mit Souvenirs hat die Regierung eine kleine Schule gebaut. Kinder lernen dort die Emberá-Sprache, Spanisch und Rechnen. Er selbst sei Medizinmann wie auch Lehrer, sagt Johnson stolz. Sein Vater habe ihm die uralten Heilkräfte des Urwalds verraten. Heute wisse er, bei welcher Krankheit oder Verletzung von welchen Pflanzen die Blätter und Säfte auf Stirn und Wunde gehören. Schrilles Klingeln unterbricht jäh die Schilderungen des Häuptlings. Johnson zeigt über den Dorfplatz zu einer Telefonzelle. Für einen Besuch bei den Emberá nutzen Touristen den heißen Draht und werden mit dem Einbaum abgeholt. Dann lächelt der Indianer weise. „Wir sind durch das Tor der Zivilisation getreten, hinter dem unsere Zukunft liegt.“
Auf dem Fluss nähert sich langsam ein schwarzer Punkt. Bald wird eine Schar Japaner mit weißen Sonnenschirmen wie ein Tsunami das friedliche Dorf überfluten, Fotos machen, viele Andenken kaufen und wieder verschwinden. Wenn das keine gute Nachricht ist.
Die Redaktion wurde von Dertour zu der Reise eingeladen.