Pfaffs Hof
Dabei guckte er mich aber ganz lieb an. „Und wenn du es tatsächlich schaffst, schenke ich dir zum Abitur ein Mercedes Cabrio.“
Mutter lachte laut. „Dann fang lieber schon mal an zu sparen.“
Und Dirk, der inzwischen nicht nur laufen, sondern auch allein essen konnte, warf seinen Löffel weg, trommelte mit den Fäustchen auf seinen Hochstuhltisch und lachte mit.
Barbara hatte keine Lust mehr, Barbiekleider zu nähen.
Vater hatte unseren Bungalow im Bergischen endlich verkauft.
Danach stritten sie wieder, Mutter und er.
Ob er genug Geld dafür bekommen hätte, ob er besser jemanden mitgenommen hätte, der etwas davon verstand.
Vater schleppte Mutter zur Sparund Darlehenskasse, um über einen Kredit zu verhandeln.
Denn für das neue Haus in der Stadt würde das, was er für seinen Rohbau bekommen hatte, nicht reichen.
Mutter jammerte erst mich an, dann Vater. „Soll ich mich mein Leben lang nur für diese Steinklötze kaputtschuften? Wenn wir irgendwie hinkommen sollen, muss ich mir in der Stadt Arbeit suchen. Wie soll das gehen?“
Vater kriegte eine weiße Nase. Dann kam eines Tages der Kollege, mit dem Vater sich Pater Leppich angehört hatte.
Er war vor dem Krieg Buchhalter gewesen.
Sie saßen am Esstisch, schoben Papiere herum und sprachen über eine „gesunde Finanzierung“.
Der Buchhalter schrieb Zahlenkolonnen auf Rechenpapier.
Mutter sagte kein Wort, und Vater tat so, als merkte er das gar nicht.
Ein paar Tage später kam dann ein Makler zu uns, den Vaters Kollege empfohlen hatte.
Er hieß Schmeling, aber ich nannte ihn heimlich „Schmierling“, weil er so viel Brisk in seinen Haaren hatte, dass es aussah, als hätte er sie wochenlang nicht gewaschen.
Und nach Brisk roch er auch, ein bisschen scharf und sehr süß.
Er trug einen Trenchcoat, der ihm um die Beine flatterte, und einen blauen Siegelring, der an seinen dünnen Fingern komisch aussah.
Vater holte die Flasche Doppelkorn aus dem Küchenschrank, die er dort für besondere Gelegenheiten aufbewahrte, und setzte sich mit Schmierling an den Tisch.
„Ich hab ja selbst ein Herz für die Makelei. Und ich kenne hier in der Gegend natürlich Jan, Pit und alle Mann . . .“
Schmierling zog die Augenbrauen hoch, die so aussahen, als hätte er sie schmal rasiert.
„Da wäre ich durchaus interessiert, Herr Albers. Mit den Bauern ist es ja für unsereins nicht immer ganz einfach . . .“
„Für mich schon.“Vater wollte wohl schlau lächeln. „Wenn man sich in dem Zusammenhang eventuell über Ihr Honorar . . .“
Schmierling legte ihm die Spinnenfinger auf den Arm. „Da werden wir uns schon einig, Herr Albers.“
Mutter schnappte die Schnapsflasche und stellte sie in den Schrank zurück.
„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“
Vater machte ein finsteres Gesicht, aber das interessierte Mutter nicht.
Sobald Schmierling aus der Tür war – der Vordertür –, fuhr sie Vater an: „Makeln! Es gibt ja wohl kein schmutzigeres Geschäft! Wenn du jetzt auch noch damit anfängst, sind wir geschiedene Leute.“
„Ha, das wollen wir ja noch mal sehen!“
Und dann sprachen beide nicht mehr miteinander.
Ich stellte mich taub und blind. Aber ich bekam schon mit, wie Vater sagte, er wolle, dass unser neues Haus in der Nähe des Gymnasiums läge, damit ich nicht so einen weiten Schulweg hätte.
Und schließlich hatte Schmierling eines in der richtigen Gegend gefunden und kam Mutter und Vater zu einer Besichtigung abholen.
Er hielt die Beifahrertür auf, klappte seine Trenchcoatflügel nach hinten und dienerte vor Mutter.
Die nickte geziert, aber Vater schob sie einfach beiseite und setzte sich auf den Vordersitz.
Ich schämte mich.
Eigentlich wäre ich gern mitgefahren und hätte mir das neue Haus angeschaut, aber irgendjemand musste ja auf Dirk aufpassen.
Jetzt war ich froh darüber.
Als sie zurückkamen, verschwand Vater sofort im Schlafzimmer und legte sich ins Bett.
Er würde heute nicht mit uns Abendbrot essen, obwohl Mutter „Arme Ritter“machen wollte, auf die er sich sonst immer freute, weil er „so was als Kind nicht gekannt hatte“.
Ich war zu neugierig, um weiter taub und blind zu sein.
„Und? Wie ist das Haus?“
Mutter zog sich die Kittelschürze über. „Sehr schön. Ein Neubau. Mit Zentralheizung, Öl. Und ein Gästeklo hatte es auch.“
„Toll.“
„Und der Garten hätte kaum Arbeit gemacht, schön klein und alles Rasen.“
„Hätte?,“fragte ich misstrauisch. „War es zu teuer?“
„Nein. Aber wir kaufen es trotzdem nicht. Weil es eine Doppelhaushälfte ist.“
Sie nickte Richtung Schlafzimmertür.
„Er will ein Haus, um das er herumgehen kann.“Sie äffte ihn nach. „Mit einem Gemüsegarten und voll unterkellert.“
„Ein Haus ohne Keller ist ja auch doof.“
„Ja, genau!“Sie knallte die Pfanne auf den Herd. „Halt du ihm nur die Stange!“
Mutter hatte mich am Gymnasium angemeldet, morgens, als ich in der Schule gewesen war.
Ich war so gespannt.
„Wie ist sie denn, die neue Schule?“
„Groß.“
„Und sonst?“
„Ich habe nicht viel gesehen. Ich war ja nur im Sekretariat.“
Aber sie hatte eine Liste der Sachen mitgebracht, die wir für das neue Schuljahr in einer Buchhandlung in der Stadt kaufen mussten.
Bücher für Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Geographie, eine englische Grammatik und einen Weltatlas; dazu die passenden Schutzumschläge aus Plastik.