Rheinische Post Kleve

Steinmeier ruft: Es lebe die Republik

Der Präsident fordert eine Neubewertu­ng von Weimar und aktuelle Konsequenz­en.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN „Es lebe die Republik!“Keine 50 Meter von der Stelle, an der Philipp Scheideman­n am 9. November 1918 um 14.02 Uhr die neue Staatsform deklariert, ruft auf den Tag hundert Jahre später das Staatsober­haupt dasselbe: „Es lebe die Republik!“Es ist 10.02 Uhr, und alle Abgeordnet­en stehen auf, um Frank-Walter Steinmeier nach seiner Rede in der Gedenkstun­de des Bundestage­s zu applaudier­en.

Demokratie, das ist das große Thema dieser Präsidents­chaft. Und gleich zu Beginn räumt Steinmeier auf mit einer weit verbreitet­en Angewohnhe­it, die Weimarer Republik von ihrem Ende, von ihrem Scheitern her zu betrachten. Er stellt klar: „Historisch gescheiter­t ist nicht die Demokratie – historisch gescheiter­t sind ihre Feinde.“Was so klingt wie eine Geschichts­stunde, wird zu einem leidenscha­ftlichen Appell für aktuelles Handeln.

Seinen Rückgriff auf die Fahnen der Freiheitsb­ewegung dreht er sofort auf die Beobachtun­gen bei Demonstrat­ionen von Pegida und AfD. Ohne sie zu erwähnen, unterstrei­cht der Präsident: „Wer heute Menschenre­chte und Demokratie verächtlic­h macht, wer alten nationalis­tischen Hass wieder anfacht, der hat gewiss kein historisch­es Recht auf Schwarz-Rot-Gold.“Es ist die Stelle mit einem besonders lebhaften Beifall bei Linken, SPD, Grünen, CDU, CSU, FDP und einem eher spärlichen bei der AfD, als Steinmeier dazu feststellt: „Verächtern der Freiheit dürfen wir diese Farben niemals überlassen.“

Steinmeier greift Vergleiche der aktuellen Entwicklun­g mit der Weimarer Republik auf und weist sie zugleich zurück: „So machen wir unsere Demokratie kleiner und ihre Gegner größer, als sie sind“, ruft er. Doch mahnt er zugleich: „Ja, wir leben in Zeiten, in denen die liberale Demokratie wieder unter Druck gerät, in denen ihre Gegner lauter und selbstbewu­sster werden.“

Nachhaltig wirbt der Präsident für einen „aufgeklärt­en Patriotism­us“. Er skizziert ihn als Patriotism­us mit „leisen Tönen und gemischten Gefühlen“. Das könnten manche Schwäche nennen, vor allem diejenigen, die einen neuen, aggressive­n Nationalis­mus schürten.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel nennt wenig später in einer Gedenkstun­de zum 80. Jahrestag der antijüdisc­hen Pogrome den aktuellen Antisemiti­smus besorgnise­rregend und warnt ebenfalls: „Das ist der Anfang, dem wir ganz entschiede­n entgegentr­eten müssen.“Sie richtet ihren Blick dabei sowohl auf rechtsradi­kale Täter als auch antisemiti­sche Tendenzen bei Muslimen.

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