Wo die Wintersonne die Bernsteine zum Leuchten bringt
Wenn der Atem weiße Wolken produziert, dann tummeln sich Strandsegler an Deutschlands größtem Festlandstrand in St. Peter Ording und das Meer spült seine Schätze an den Strand. An diesem Morgen sind Himmel, Meer und Strand wie Drillinge, die sich vor dem Ankleiden mit dem Farbton abgesprochen haben. Nur die schwarze Silhouette einer Möwe durchschneidet das Matschgrau. Boy Jöns macht das gar nichts aus. Sein Blick hebt sich sowieso nur vom Boden, wenn er was gefunden hat, zum Beispiel einen Millionen Jahre alten Bernstein. Dann kämen ein paar Sonnenstrahlen gerade recht, um ihn zwischen seinen Fingern zum Leuchten zu bringen. Boy Jöns ist der Bernsteinmann in St. Peter Ording. Er trägt Thermogummistiefel und eine Mütze mit der Aufschrift „Hitzlöper“(Hitzläufer). Die Sandbank mit Namen Hitz ist seit jeher bekannt für Bernsteinfunde.
Schon als Kind hat Boy mit Vater und Mutter Bernstein gesammelt. Inzwischen kennt er jedes Sandkorn am zwölf Kilometer langen Strand von St. Peter, wie die Einheimischen ihre Heimat liebevoll nennen. „Er bleibt gern in Kuhlen neben angespültem Kleinholz liegen“, meint Boy. Schließlich bückt er
sich und hat doch einen in den Fingern.
Unter Umständen findet man nicht nur ein hübsches Souvenir, sondern auch ein wertvolles Weihnachtsgeschenk. Boy Jöns bestes Stück ist ein Würfel aus Bernstein, der aus der Wikingerzeit stammt. In seinem Museum im historischen Stadtteil Dorf kann man interessante Funde bestaunen und lernen, woran man Bernstein erkennt und wie man ihn schleift.
Manchmal sorgt das Meer auch für schöne Begegnungen. „Einmal lag da ein junger Schweinswal. Er hatte sich verirrt und steckte in einem Priel fest“, erzählt Boy. Gemeinsam mit der Schutzstation Wattenmeer zogen sie ihn zurück ins Wasser. Der Schweinswal gehört zusammen mit der Kegelrobbe, dem Seehund, dem Seeadler und dem bereits ausgestorbenen Stör zu den Big Five an der Nordsee.
Doch öfter entdeckt man einen Vertreter der Small Five im Sand: eine Herzmuschel, eine Wattschnecke oder Strandkrabbe. Weiß man einmal nicht, was so vor den Füßen liegt, kann man es fotografieren und mit der App „Beach
Man könnte auch den ganzen Tag in den Himmel schauen, ohne dass einem langweilig wird
Explorer“das Strandgut identifizieren lassen.
Strandgut hin oder her – man könnte auch den ganzen Tag in den Himmel schauen, ohne dass einem langweilig wird. Die „Drillinge“haben sich inzwischen umgezogen. Am Himmel läuft jetzt ganz großes Kino: Im Westen verschmelzen zwei frisch verliebte Wölkchen zu einem Megawolkus und die Sonne gibt ihren Segen dazu. Im Osten zürnen zwei Jünglinge, wer zuerst mit einem neuen Sturm auf die Küste beginnen darf. Nur wenn ein Strandsegler vorbeiflitzt, wird der Kopf wieder geerdet.
Sven Hader kann in seinem dreirädrigem Segelwagen bis zu 120 Stundenkilometer erreichen. „Es ist toll, eine solche Geschwindigkeit ohne Motorenlärm zu erleben. Ein echter Natursport“, strahlt er mit rot gefärbten Wangen. 18 Jahre lang hat Sven als Kapitän auf privaten Segelyachten in der Karibik verbracht, bevor er nach St. Peter kam, um hier als Strandsegellehrer anzuheuern – und er blieb, weil sich der Sport so rasant entwickelte“. Mit seinen ungewöhnlich breiten Stränden wurde St. Peter schnell zum ganzjährigen Hotspot für die Sandsegler. Schon in den 1920er Jahren „erfanden“die Ordinger Otto Wieben und der Kurarzt Dr. Felten das Strandsegeln. Familie Wieben baute auch den größten Strandsegler der Welt. Darin konnten bis zu 20 Personen über das weite Watt segeln.
Nach so einem Strandtag wärmt man sich am besten in einer Giftbude auf. So hieß früher die erste auf Pfählen gebaute Erfrischungshalle am Strand, weil es „da wat gif“(Alkohol zum Beispiel). Heute sind die fünf Pfahlrestaurants das Wahrzeichen von St. Peter Ording. Die Arche Noah ist über eine 1000 Meter lange Seebrücke erreichbar. Drinnen bollert ein Feuer im Ofen. „Einmal saßen wir hier fest, erzählt Avni, einer der Mitinhaber. „Wir hatten gerade Feierabend als die Wellen drei Meter hoch schlugen. Wir konnten nicht vor die Tür.“Zum Glück kann sich das Wetter minutenschnell ändern. Am Ende hat jeder Sturm auch etwas Gutes: Tags drauf liegt der Strand wieder voller Bernstein.
Die Redaktion wurde von der Tourismus-Zentrale St. Peter-Ording eingeladen.