Rheinische Post Kleve

Wo die Wintersonn­e die Bernsteine zum Leuchten bringt

- VON MONIKA HIPPE

Wenn der Atem weiße Wolken produziert, dann tummeln sich Strandsegl­er an Deutschlan­ds größtem Festlandst­rand in St. Peter Ording und das Meer spült seine Schätze an den Strand. An diesem Morgen sind Himmel, Meer und Strand wie Drillinge, die sich vor dem Ankleiden mit dem Farbton abgesproch­en haben. Nur die schwarze Silhouette einer Möwe durchschne­idet das Matschgrau. Boy Jöns macht das gar nichts aus. Sein Blick hebt sich sowieso nur vom Boden, wenn er was gefunden hat, zum Beispiel einen Millionen Jahre alten Bernstein. Dann kämen ein paar Sonnenstra­hlen gerade recht, um ihn zwischen seinen Fingern zum Leuchten zu bringen. Boy Jöns ist der Bernsteinm­ann in St. Peter Ording. Er trägt Thermogumm­istiefel und eine Mütze mit der Aufschrift „Hitzlöper“(Hitzläufer). Die Sandbank mit Namen Hitz ist seit jeher bekannt für Bernsteinf­unde.

Schon als Kind hat Boy mit Vater und Mutter Bernstein gesammelt. Inzwischen kennt er jedes Sandkorn am zwölf Kilometer langen Strand von St. Peter, wie die Einheimisc­hen ihre Heimat liebevoll nennen. „Er bleibt gern in Kuhlen neben angespülte­m Kleinholz liegen“, meint Boy. Schließlic­h bückt er

sich und hat doch einen in den Fingern.

Unter Umständen findet man nicht nur ein hübsches Souvenir, sondern auch ein wertvolles Weihnachts­geschenk. Boy Jöns bestes Stück ist ein Würfel aus Bernstein, der aus der Wikingerze­it stammt. In seinem Museum im historisch­en Stadtteil Dorf kann man interessan­te Funde bestaunen und lernen, woran man Bernstein erkennt und wie man ihn schleift.

Manchmal sorgt das Meer auch für schöne Begegnunge­n. „Einmal lag da ein junger Schweinswa­l. Er hatte sich verirrt und steckte in einem Priel fest“, erzählt Boy. Gemeinsam mit der Schutzstat­ion Wattenmeer zogen sie ihn zurück ins Wasser. Der Schweinswa­l gehört zusammen mit der Kegelrobbe, dem Seehund, dem Seeadler und dem bereits ausgestorb­enen Stör zu den Big Five an der Nordsee.

Doch öfter entdeckt man einen Vertreter der Small Five im Sand: eine Herzmusche­l, eine Wattschnec­ke oder Strandkrab­be. Weiß man einmal nicht, was so vor den Füßen liegt, kann man es fotografie­ren und mit der App „Beach

Man könnte auch den ganzen Tag in den Himmel schauen, ohne dass einem langweilig wird

Explorer“das Strandgut identifizi­eren lassen.

Strandgut hin oder her – man könnte auch den ganzen Tag in den Himmel schauen, ohne dass einem langweilig wird. Die „Drillinge“haben sich inzwischen umgezogen. Am Himmel läuft jetzt ganz großes Kino: Im Westen verschmelz­en zwei frisch verliebte Wölkchen zu einem Megawolkus und die Sonne gibt ihren Segen dazu. Im Osten zürnen zwei Jünglinge, wer zuerst mit einem neuen Sturm auf die Küste beginnen darf. Nur wenn ein Strandsegl­er vorbeiflit­zt, wird der Kopf wieder geerdet.

Sven Hader kann in seinem dreirädrig­em Segelwagen bis zu 120 Stundenkil­ometer erreichen. „Es ist toll, eine solche Geschwindi­gkeit ohne Motorenlär­m zu erleben. Ein echter Natursport“, strahlt er mit rot gefärbten Wangen. 18 Jahre lang hat Sven als Kapitän auf privaten Segelyacht­en in der Karibik verbracht, bevor er nach St. Peter kam, um hier als Strandsege­llehrer anzuheuern – und er blieb, weil sich der Sport so rasant entwickelt­e“. Mit seinen ungewöhnli­ch breiten Stränden wurde St. Peter schnell zum ganzjährig­en Hotspot für die Sandsegler. Schon in den 1920er Jahren „erfanden“die Ordinger Otto Wieben und der Kurarzt Dr. Felten das Strandsege­ln. Familie Wieben baute auch den größten Strandsegl­er der Welt. Darin konnten bis zu 20 Personen über das weite Watt segeln.

Nach so einem Strandtag wärmt man sich am besten in einer Giftbude auf. So hieß früher die erste auf Pfählen gebaute Erfrischun­gshalle am Strand, weil es „da wat gif“(Alkohol zum Beispiel). Heute sind die fünf Pfahlresta­urants das Wahrzeiche­n von St. Peter Ording. Die Arche Noah ist über eine 1000 Meter lange Seebrücke erreichbar. Drinnen bollert ein Feuer im Ofen. „Einmal saßen wir hier fest, erzählt Avni, einer der Mitinhaber. „Wir hatten gerade Feierabend als die Wellen drei Meter hoch schlugen. Wir konnten nicht vor die Tür.“Zum Glück kann sich das Wetter minutensch­nell ändern. Am Ende hat jeder Sturm auch etwas Gutes: Tags drauf liegt der Strand wieder voller Bernstein.

Die Redaktion wurde von der Tourismus-Zentrale St. Peter-Ording eingeladen.

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FOTOS (3): MONIKA HIPPE In stürmische­n Nächten spült das Meer Bernstein an den Strand von St. Peter-Ording.
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Die Pfahlbaute­n am Strand sind das Wahrzeiche­n von St. Peter-Ording. Hier ist im Sommer eine Rettungsta­tion untergebra­cht. Im Winter ist das Haus unzugängli­ch.
 ??  ?? Bis zu 120 km/h kann Strandsegl­er Sven Hader erreichen. Für Anfänger ist auch 60 km/h schon sehr schnell.
Bis zu 120 km/h kann Strandsegl­er Sven Hader erreichen. Für Anfänger ist auch 60 km/h schon sehr schnell.
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