Die großen Wirtschaftskatastrophen
Zweimal innerhalb eines Jahrzehnts verloren Millionen von Menschen in der Weimarer Republik ihre wirtschaftliche Existenz. Die Radikalen von links und rechts gaben den Demokraten die Schuld – zu Unrecht.
An der Finanzierung kann man ablesen, wie die Bevölkerung einen Krieg mehrheitlich einschätzt. Die britische Regierung erhöhte zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Steuern. Sie forderten bei ihren Bürgern eine nationale Kraftanstrengung ein. Im deutschen Kaiserreich war sich die politische Elite nicht so sicher. Kaiser Wilhelm II. und sein Kanzler Theobald von Bethmann-Hollweg wollten die Bürger lieber mit Krediten locken. Erst als der Reichstag am 4. August 1914 mit den Stimmen der oppositionellen SPD die berühmten Kriegsanleihen beschloss, beschwor der Kaiser die Einigung mit patriotischem Pathos: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“
Doch ausgerechnet die riskante Kriegsfinanzierung legte den Keim für die späteren wirtschaftlichen Probleme nach dem Ende des Schlachtens. Und wie bei der militärischen Katastrophe („Dolchstoßlegende“) machten die Gegner der Weimarer Republik die Demokraten für die nachfolgende Hyperinflation und den gewaltigen Vermögensverlust breiter Bevölkerungsteile verantwortlich.
Tatsächlich ließen die teuren Materialschlachten des Ersten Weltkriegs die Verantwortlichen der Reichsregierung und der Obersten Heeresleitung alle Vorsichtsmaßnahmen schnell vergessen. Das hinderte breite Kreise nicht daran, begeistert Kriegsanleihen zu zeichnen. Noch in den letzten Kriegsmonaten rief der allseits geachtete Sozialwissenschaftler Max Weber zum Kauf der Papiere auf, weil ja die gewaltige Rendite bei einem „Endsieg“mögliche Inflationsverluste mehr als wettmachen würde.
Am Ende des Krieges waren die Schulden auf die ungeheure Höhe von 150 Milliarden Reichsmark angewachsen, die zu zwei Dritteln von deutschen Sparern und zu einem Drittel als direkte Kredite der Reichsbank gehalten wurden. Gleichzeitig war das Sozialprodukt stark gesunken. Die Anleihen waren kaum das Papier wert, auf dem sie standen. Der aggressive Krieg des monarchisch-autoritären Deutschlands hatte Wirtschaft und Währung ruiniert, die Demokraten mussten den Schlamassel ausbaden.
Doch auch Zentrum, SPD und Liberale trauten sich nicht, den Verfall der Währung mit einem klaren Schnitt zu beenden. Stattdessen vertrauten sie auf eine Politik des leichten Geldes, um demobilisierte Soldaten zu unterhalten, eine Arbeitslosenversicherung zu finanzieren und Investitionen zu erleichtern. Tatsächlich blieb den Deutschen anders als anderen Ländern eine Massenarbeitslosigkeit erspart. Allerdings besaß die Mark 1920 nur noch ein Vierzehntel ihres Wertes von 1914. Von der Droge der Inflation kamen die politisch instabilen Reichsregierungen der Jahre 1922 und 1923 nicht mehr weg. Die Preise galoppierten, die hilflose Reichsbank kaufte schnellere Druckmaschinen, um Im politischen und wirtschaftlichen Chaos des Herbstes 1923 sehen auch Umstürzler aller Couleur ihre Chance. In Sachsen und Thüringen planen die Kommunisten die Revolte, im Rheinland die Separatisten. Und in München versuchen Adolf Hitler und Erich Ludendorff, die Regierung zu stürzen und in Deutschland nach italienischem Vorbild eine Diktatur zu errichten. Der Putsch wird von der Polizei zusammengeschossen; die Nazis verehren die 16 Toten später als Märtyrer. den drastisch erhöhten Geldbedarf zu decken. Schließlich gab man Notgeld mit astronomischen Zahlen aus. Ende 1923 hatte das Preisniveau das 1261-Milliardenfache von 1913 erreicht. Millionen von Sparern vor allem aus der Mittelschicht und dem Kleinbürgertum waren enteignet, nur die Besitzer von Häusern, Aktien und anderen Sachwerten waren noch mal mit einem blauen Auge davongekommen. Immerhin schaffte es Reichkanzler Gustav Stresemann, mit der Einführung der Rentenmark über die fiktive Deckung mit staatlichen Grundstücken die Währung zu stabilisieren. Doch die Vermögen brachte das nicht zurück.
Es waren eben unruhige Zeiten – im Guten wie im Bösen. Denn zwischen 1923 und 1929 zog die Wirtschaft wieder an. Schon Mitte der 20er Jahre wurde die Vorkriegsproduktion erreicht. Doch während Berlin noch tanzte, platzte am Donnerstag, dem 24. Oktober 1929, an der Wall Street die Blase einer hemmungslosen Spekulation. Einen Tag später, am „Schwarzen Freitag“, erreichten die Kursabstürze auch Europa. Es war der Start der bis dahin größten Krise der Weltwirtschaft.
Die Ursachenforschung für die Weltwirtschaftskrise füllt ganze Bibliotheken. Soviel kann man festhalten: Eine entfesselte Finanzwirtschaft traf auf eine Wirtschaft, die von technologischen, politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen gekennzeichnet war. Die Verantwortlichen für die Wirtschafts- und Geldpolitik erkannten nicht die Dimension und zogen zudem die falschen Schlüsse. So reagierte Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum) auf Pleiten und Massenarbeitslosigkeit mit einer Sparpolitik, die den Abschwung beschleunigte. Als er Wie andere gemäßigte und linke Politiker wird auch Friedrich Ebert von rechten Republikfeinden gehasst. Wegen eines Beleidigungsprozesses verschleppt er eine Blinddarmoperation; an den Folgen der Bauchfellentzündung stirbt er mit nur 54 Jahren. Sein Nachfolger, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, ist zwar für viele Konservative eine Art Ersatzkaiser, erweist sich aber in der Krise ab 1929 als unwillig oder unfähig, die Demokratie zu retten. die katastrophalen Ergebnisse dieses Kurses sah und umschwenkte, war es zu spät.
Die Krise spülte Adolf Hitler an die Macht. Zuvor hatte sich die Produktion in Deutschland halbiert, die Zahl der Erwerbslosen lag bei fast 44 Prozent, die der Kurzarbeiter bei 23 Prozent. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts verloren Millionen ihre Existenz. Die Weimarer Republik war am Ende. Die Folge war die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Zivilisationsbruch durch die Nazis. „Die Wirtschaft ist unser Schicksal“, hatte der große liberale Reichsaußenminister Walther Rathenau erkannt, der 1922 von rechtsradikalen Verschwörern ermordet wurde. Er sollte Recht behalten.
Hitlerputsch
Tod Friedrich Eberts
Vertrag von Locarno
„Locarno“ist bis heute ein Symbol für die „goldenen Weimarer Jahre“1924 bis 1929. Deutschland, Frankreich und Belgien schwören der gewaltsamen Grenzverschiebung ab; die Bestimmungen des Versailler Vertrags werden bestätigt. Außenminister Gustav Stresemann und sein französischer Kollege Aristide Briand erhalten 1926 dafür den Friedensnobelpreis. Es bleibt aber bei einer Regelung für die Westgrenze; ein „Ost-Locarno“mit Polen kommt nicht zustande.