EU leitet Defizitverfahren gegen Italien ein
Weil die Regierung in Rom an ihren Verschuldungsplänen festhält, fährt Brüssel schweres Geschütz auf: Italien drohen nun die Zahlung milliardenschwerer Bußgelder und der Entzug von EU-Mitteln.
BRÜSSEL Im Schuldenstreit bietet die EU-Kommission der italienischen Regierung die Stirn. Einstimmig beschlossen die Kommissare aller Mitgliedstaaten, den Weg für ein Defizitverfahren gegen das Land zu ebnen. Die Mitgliedstaaten haben nun zwei Wochen Zeit, ihre Zustimmung zu geben. Wenn die Finanzminister mehrheitlich zustimmen, könnte bereits im Dezember förmlich das Defizitverfahren eingeleitet werden, bei dem Italien schlimmstenfalls mit der Zahlung von milliardenschweren Bußgeldern und dem Entzug von EU-Mitteln rechnen müsste. Der für den Euro zuständige Kommissar Valdis Dombrovskis sagte: „Mit dem, was die italienische Regierung vorgelegt hat, sehen wir die Gefahr, dass das Land in die Instabilität schlafwandelt.“
Italiens Regierung, die von der rechtsextremen Lega und der populistischen linken Fünf-Sterne-Bewegung gebildet wird, zeigt sich unbeeindruckt. Vize-Ministerpräsident und Lega-Chef Matteo Salvini teilte mit, die italienische Regierung werde der Kommission den Haushalt erklären, aber Kurs halten. Salvini feixte: „Ein Brief aus Brüssel ist angekommen? Ich hatte einen vom Weihnachtsmann erwartet.“
Darum geht es: In der EU müssen die Mitgliedstaaten ihre Entwürfe für den Staatshaushalt jeweils im Herbst bei der Kommission einreichen. Die Experten der Kommission wollen so einschreiten können, bevor sich ein Land zu sehr verschuldet und damit den Stabilitäts- und Wachstumspakt des Euro gefährdet. Die Regierung in Rom sucht gezielt die Konfrontation mit Brüssel: Entgegen allen bisherigen Zusagen will sie im nächsten Jahr nicht die Staatsverschuldung abbauen, sondern massiv ausweiten. Während die Vorgängerregierung zugesagt hatte, 2019 das Staatsdefizit auf einen Wert von 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung zu reduzieren, will die jetzige Regierung die Verschuldung auf 2,4 Prozent verdreifachen. Die Kommission hatte wegen der Schuldenpläne bereits den Haushaltsentwurf zurückgewiesen und eine grundlegende Überarbeitung gefordert. Die Regierung in Rom stellt sich aber stur.
Nun beschloss die Kommission einen Bericht, der hart mit der Regierung in Rom ins Gericht geht. Darin heißt es: „Italiens Staatsverschuldung im Verhältnis zu seiner Wirtschaftsleistung lag 2017 bei 131,2 Prozent – das ist der zweithöchste Wert in der EU und einer der höchsten weltweit.“Das hohe Ausmaß der Staatsverschuldung entziehe Italien die Spielräume, die es in seinem Staatshaushalt benötigt, um die Volkswirtschaft im Fall von Schocks zu stabilisieren. Italien habe 2017 65 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt, das sei in etwa so viel wie sich das Land die Bildung kosten lasse.
Die italienische Regierung argumentiert, dass durch die geplanten Maßnahmen das Wachstum anspringe und Italien auf diesem Wege mehr Steuern einnehme und so das Defizit wieder schließen könne.
Mit ihrem Beschluss, den Mitgliedstaaten ein Defizitverfahren gegen Italien nahezulegen, betritt die Kommission Neuland. Es gab zwar bereits Defizitverfahren gegen verschiedene Länder, darunter auch Deutschland. Doch diese Verfahren wurden ausgelöst, weil die jeweiligen Länder das Drei-Prozent-Kriterium verletzt, also neue Schulden in Höhe von mehr als drei Prozent der Wirtschaftsleistung aufgenommen hatten. Italien hält das Drei-Prozent-Kriterium ein. Die Kommission geht aber gegen Italien vor, weil die Schuldenlast des Landes insgesamt zu hoch ist. Mit einer Gesamtverschuldung von über 130 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt Italien bei mehr als dem Doppelten, das die EU empfiehlt (60 Prozent).