Anlieger sollen für Bahn ihre Bäume fällen
AACHEN Die Deutsche Bahn hat Briefe an rund 50 Privatleute verschickt, deren Grundstücke an der Bahnlinie Köln-Aachen liegen. Darin fordert sie das Fällen von „Gefahrenbäumen“an der Strecke. Einer von ihnen ist Benno Faymonville, der an der Maria-Theresia-Allee in Aachen wohnt. Ende Oktober bekam er ein Einschreiben von der Bahn. Bei der regelmäßigen Inspektion der Bahnstrecke von Köln nach Aachen habe man festgestellt, dass sich auf seinem Grundstück betriebsgefährdende Bäume befänden, hieß es darin.
Sie stünden „in unmittelbarer Nähe“zur Bahnstrecke und stellten eine „Gefahr für die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs“dar. Als Eigentümer sei er aufgrund der Verkehrssicherungspflicht gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass von seinem Grundstück keine Gefahren ausgingen. Bis zum 7. November bat man ihn um Rückmeldung, die angezeigten Bäume müsse er bis zum 31. Dezember entfernen. Faymonville unserer Redaktion sollen sie wegen fehlender Rechtsgrundlage nicht eingesetzt werden können, weil die für den Abgleich benötigten Schnittstellen zu Polizei- und Ausländerbehörden fehlen. Das Justizministerium bestätigte, dass sich der zunächst vorgesehene Weg einer direkten Schnittstelle mit dem Bundeskriminalamt (BKA) zum Abgleich von Fingerabdruckdaten im Nachhinein als rechtlich nicht umsetzbar herausgestellt habe. Demnach wurden bereits Ende 2017 71 Fingerabdruckscanner an die JVAs ausgeliefert. Anfang kommenden Jahres soll es in einer JVA einen Testbetrieb geben, nachdem man gemeinsam mit dem Ministerium des Innern und dem Landeskriminalamt (LKA) ein neues System für den Austausch von Fingerabdruckdaten zwischen Justizvollzug und Polizei entwickelt hat.
Der frühere Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hatte die Geräte unter anderem mit der Begründung anschaffen lassen, sicherstellen zu wollen, dass auch die richtigen Gefangenen hinter Gittern säßen. Nach Angaben des Justizministeriums hätte man aber auch mit einem einsatzbereiten Scanner nicht die richtige Identität des in der JVA Kleve unschuldig inhaftierten Syrers Amed A. herausfinden können, der sich bei einem Brand in seiner Zelle tödliche Verbrennungen zuzog. Der 26-Jährige war mit einem Mann aus dem afrikanischen Mali verwechselt worden. „Die Polizeibehörden haben die in der JVA Kleve einsitzende Person mittels Fingerabdruck eindeutig als Amed A. identifiziert. Jede Wiederholung der Abfrage, auch durch die JVA Kleve, hätte dasselbe Ergebnis erbracht“, erklärt Marcus Strunk, Referatsleiter Justizvollzugskommunikation. Der eigentliche Fehler sei der Polizei unterlaufen, als diese der eindeutig durch Fingerabdruckdaten als Amed A. identifizierten Person vermutet, dass zwei Eichen an einem der Bahnböschung zugewandten Hang auf seinem Grundstück gemeint sind. Das Alter der rund 25 Meter hohen Bäume schätzt er auf 80 bis 90 Jahre. Sie dürften unter die Baumschutzsatzung fallen. Nie zuvor habe die Bahn diese Bäume bemängelt, sagt er. Sind die beiden Eichen just im vergangenen Jahr – nach eigenem Bekunden inspiziert die Bahn jährlich die Gewächse an den Bahnstrecken – die entscheidenden Zentimeter gewachsen, um zu „Gefahrenbäumen“ durch den Abgleich weiterer Daten in den polizeilichen Fahndungsdateien zwei Vollstreckungshaftbefehle einer anderen, in Hamburg verurteilten Person fehlerhaft zugeordnet habe, so Strunk. Auf die für den weiteren Abgleich erforderlichen Daten, wie die im Fahndungssystem hinterlegten Lichtbilder, habe der Justizvollzug keinen Zugriff und werde auch künftig aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen unmittelbaren Zugriff haben.
Zu allem Überfluss soll es außerdem nach wie vor Probleme mit der Bausubstanz vieler Anstalten geben. „Es gibt eigentlich keine JVA bis auf die wenigen ganz neuen, die nicht irgendwo marode ist“, sagt Peter Brock, NRW-Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BDSB). Eine Reihe von Anstalten seien baufällig. Immer wieder stehen Haftplätze deshalb nicht zur Verfügung. Der Justizvollzug gilt als völlig überlastet, wenn mehr als 16.000 Haftplätze belegt sind. Derzeit liegt die Zahl knapp darunter. „Aber auch nur, weil durch die Weihnachtsamnestie 500 bis 600 Leute früher entlassen worden sind.“
Die vielen Überstunden der Bediensteten sollen vor allem auf personelle Probleme zurückzuführen sein. So sollen laut BSBD in den NRW-Gefängnissen insgesamt bis zu 500 Bedienstete fehlen. Dem vertraulichen Justizbericht zufolge sind zum Beispiel in der JVA Aachen von 269 Stellen derzeit 20 nicht besetzt, in Düsseldorf fehlen sogar fast 30 Kräfte, in Geldern sind es 23, in Heinsberg 27, in Köln 29, und in Wuppertal-Ronsdorf 36. In der JVA Kleve sind hingegen nur drei Planstellen (98 von 101) unbesetzt. Ein Grund für die Personalprobleme sind fehlende Bewerber. „Natürlich ist der Job anstrengend, aber man arbeitet zusammen in einem Team und man steht täglich vor neuen Herausforderungen“, so Brock. zu werden? Oder hat man die Maßstäbe verschärft?
Für Letzteres könnte sprechen, dass die Deutsche Bahn just in diesem Jahr einen 125 Millionen Euro schweren „Aktionsplan Vegetation“aufgelegt hat, der vorsieht, dass entlang der Bahnstrecken mehr Vegetation als bislang verschwinden soll. Einem Bahnsprecher zufolge geht es „um die klassische Verkehrssicherungspflicht“. Im Stadtgebiet werde aktuell ein 6,8 Kilometer langer Streckenabschnitt untersucht, rund 50 Anlieger seien angeschrieben worden. Wie viele Bäume die Bahn fällen lassen will, wird auf Anfrage nicht beantwortet. Zudem sei nur in den „seltensten Fällen“ein Fällen der Bäume erforderlich, bei 5060 Ortsterminen mit Anliegern habe man aber viel Verständnis erfahren.
Benno Faymonville hatte bisher keinen Termin mit der Bahn. Er hat dem Unternehmen fristgerecht mitgeteilt, dass er nicht daran denke, seine Eichen, die „kerzengerade und kerngesund“seien, zu fällen. Gehört hat er von der Bahn seitdem nichts mehr.