„Waldohreulen sind stoisch wie Budda“
Der Vogelexperte spricht über die scheuen Nachtjäger, die sich in der Feldmark ein Quartier gesucht haben.
REES Erst waren es vier, dann fünf und schließlich neun: Die Waldohreulen, die sich in einem Haselbaum in der Feldmark angesiedelt hatten, waren für ein Reeser Ehepaar eine kleine Sensation. Nachbarn und Freunde erfuhren davon, kamen vorbei und machten Fotos. Auch Wolfgang Müller, Vertrauensperson des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz für Rees und den Niederrhein, wurde informiert. „Es handelt sich um eine Schlafplatzgemeinschaft von Waldohreulen“, erklärte der Fachmann und bat alle Eingeweihten um Verschwiegenheit: „Es wäre schade, wenn der Ort bekannt würde und zu viele Leute die Tiere stören.“
Deshalb berichtet die Rheinische Post auch erst jetzt, mit einem Monat Verzögerung, über die Waldohreulen. Denn die Vögel sind weitergezogen. Sie könnten sich im Herbst 2019 an selber Stelle aber wieder einfinden. Müller, der im aktuellen „Kalender für das Klever Land“einen Fachbeitrag über Waldohreulen veröffentlicht hat, gibt im Interview nähere Auskünfte zu den Eulen.
Woher kommen die neun Waldohreulen, die in Rees gesehen wurden? WOLFGANG MÜLLER Das könnten hiesige Jungvögel sein, aber auch Tiere aus dem kälteren Nordosten Europas. Ich vermute, dass sie aus dem norddeutschen und ostmitteleuropäischen Raum oder aus Südskandinavien stammen.
Ist eine Ansammlung von neun Waldohreulen in einem privaten Garten ungewöhnlich?
MÜLLER Nein. Es gab im Stadtgebiet Kleve mal einen Platz, an dem bis zu 40 Waldohreulen gemeinsam überwintert haben. Nach der Brutzeit schließen sie sich oft zu kleineren Gruppen zusammen. Die Tiere sind dämmerungs- und nachtaktiv. Tagsüber sitzen sie in stark belaubten Bäumen. Sie bewegen sich kaum und sitzen dort ganz stoisch wie ein Buddha. Mit Anbruch der Dämmerung werden sie unruhig und fliegen zu einem Ort, an dem sie ihr Gewölle ausspeien.
Woraus besteht das Gewölle? MÜLLER Das sind unverdaute Speisereste, primär kleine Knöchelchen oder Haare von Mäusen. Die Waldohreulen ernähren sich fast ausschließlich von Kleinsäugern, in der Regel von Feldmäusen. Nur wenn im Winter hoher Schnee liegt, gehen sie auch an Vögel.
Wo gehen die Eulen auf Beutejagd? MÜLLER Gern über kurzrasigem Grünland, am liebsten auf Weideflä- chen. Die hiesigen Eulen fliegen primär in das Rheinvorland, zum Beispiel im Abschnitt zwischen dem Mühlenturm und der Rauen Straße. Sie fliegen nach Bergswick und zur ehemaligen Woy. Dort sieht man sie regelmäßig an den Deichhängen. Wenn sie jagen, fliegen sie knapp einen Meter über dem Boden.
Wie groß werden Waldohreulen? MÜLLER Etwa 35 Zentimeter lang. Die Flügelspannweite kann 90 bis 100 Zentimeter sein. Die Waldohreulen haben große Köpfe und große runde Augen. Sie lokalisieren die Beute aber nicht nur optisch, sondern auch akustisch. Sie haben ein sehr feines Gehör. Das Markenzeichen der Waldohreule sind die langen Federohren. Die können sie nach hinten legen. Das rindenartig gemusterte Gefieder bietet eine gute Tarnung in Laubbbäumen.
Könnte es sein, dass die Waldohreulen 2019 auch in dem Reeser Garten brüten?
MÜLLER Die Eulen brüten an Waldrändern mit angrenzendem Grünland oder in besonders großen Gärten. Jahrelang hat auch eine Eule auf dem Sportplatz an der Lindenallee gebrütet. Dort standen früher zwei Fichten, in denen die Sportler die Waldohreulen gar nicht bemerkt haben. Auch auf dem jüdischen Friedhof auf der Reeser Stadtmauer habe ich lange Zeit Eulen beobachtet.
Haben die Waldohreulen in Rees natürliche Feinde? MÜLLER Im Stadtkern von Rees gibt es keinen Uhu. Der wäre ein Fressfeind. So bleiben aktuell nur Hauskatzen als Feinde. Aber die Waldohreulen sind, obwohl sie tagsüber die Augen schließen, sehr aufmerksam und nehmen jede Bewegung in ihrem Umfeld wahr.
Was mache ich, wenn ich Waldohreulen in meinem Garten entdecke? MÜLLER Sie können diese Tiere der Biostation oder mir melden. Wichtig ist: Die Waldohreule ist geschützt. Wenn man eine Eule sieht, darf man sich ihr nur unauffällig nähern. Man darf sie auch fotografieren, aber sollte nicht allzu lang unter dem Baum herumlaufen. Wenn Eulen sich beobachtet fühlen, machen sie einen langen Hals. Wenn sie anfangen, sich auf dem Ast zu drehen, ist das ein Zeichen dafür, dass sie unruhig werden und fortfliegen wollen. Dann sollte man sie in Ruhe lassen. Denn mutwillige Störungen sind gesetzlich verboten.
Wie beobachten Sie die Waldohreulen und welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus?
MÜLLER Ich beobachte die Eulen in regelmäßig aus einiger Entfernung mit dem Fernglas. Ich kenne im Nordkreis Kleve auf beiden Seiten des Rheins etwas 10 bis 15 Orte, an denen Waldohreulen überwintern. Ich werte die Daten aus, registriere sie in der EDV des Dachverbands Deutscher Avifaunisten und vermeide es, genaue Orte bekanntzugeben. Es wäre bedauerlich, wenn nach einer Veröffentlichung viele Leute unter dem Baum auftauchen, um Fotos zu machen, und sich die Eulen einen neuen Baum suchen müssen. Das ist für die Tiere immer mit Stress verbunden.