Wunder geschehen: Keith Richards wird 75
DÜSSELDORF Wer bisher nicht an Wunder geglaubt hat, sollte heute Buße tun, denn das Unwahrscheinlichste ist eingetreten: Keith Richards wird 75 Jahre alt. Der Kerl, der große Teile der 1970er Jahre damit zugebracht hat, seinen Körper mit allem zu füttern, was auf die Silbe -in endet (und nicht mit Vitambeginnt). Bestens desinfiziert sitzt er die Sache mit der Vergänglichkeit nun einfach aus. Zum Glück!
Keith Richards wurde am 18. Dezember 1943 in Dartford geboren, aber buchstäblich zur Welt gekommen ist er erst am 17. Oktober 1961 am Bahnhof desselben Orts. Er traf damals einen Jungen, der wie er auf dem Weg nach London war, und dieser Junge hatte Platten unterm Arm, und es waren Platten von Blues-Musikern, die auch Keith Richards verehrte. Und so kamen die Jungs ins Gespräch über Bo Diddley und all die anderen, und kurz danach gründeten sie eine Band, und natürlich hieß der Junge Mick Jagger und die Band Rolling Stones.
Die Beatles hatten ein wunderschönes und vor allem in den oberen Stockwerken reich mit Ornamenten verziertes Haus in die Wüste gesetzt. Die Stones traten durch den Hintereingang in dieses Haus, und sie hatten überhaupt kein Interesse daran, die goldenen Treppen hinaufzusteigen. Sie begannen im Gegenteil sofort damit, das Haus zu unterkellern, und sie gruben sich so lange durch die Finsternis, bis sie auf einen glühenden Kern stießen.
Richards ist bei den Stones die dunkle Eminenz; er hält die Zügel, wenn Sir Mick „Peter Pan“Jagger die Schwingen ausbreitet und auf den Steg der Bühne hinausfliegt. Keith Richards hat nie die großen Soli gespielt, er improvisierte nicht. Er ist ein Instinktspieler, der entscheidende Akkorde schlägt, einfache Riffs, und die haben es meistens in sich. Man höre sich nur mal die Eröffnungen der großen Titel an, die drei Töne von „Satisfaction“oder „Start Me Up“und „Brown Sugar“. So beginnt man einen Song!
Philosophen verändern eine Gesellschaft, indem sie auf die Köpfe der Menschen zielen. Religionsstifter versuchen, die Herzen zu erreichen. Keith Richards hat tiefer gezielt, viel tiefer. Hätte er den „Kleinen Prinzen“geschrieben, der berühmteste Satz würde so lauten: „Man hört nur mit den Hüften gut.“Wer das nicht versteht, lege bitte sofort „Gimme Shelter“auf. Uuuh.
Haben Richards und seine Stones die Gesellschaft verändert? Aber Hallo! Wir würden heute anders leben, wenn es sie nicht gegeben hätte. Man kann die Wirkung dieser Generation von Rockstars gar nicht überschätzen. Ihren Einfluss auf die Psychologie der Gesellschaft. Man hört ihre Stücke, man spürt etwas, und man will irgendwo hin. Diese Musik öffnet Fenster, man kann mit ihrer Hilfe hinausklettern in ein anderes Leben. Rock `n’ Roll Räuberleiter. Keith Richards ist so gesehen das Urmeter dessen, was möglich ist. Und als er sein Leben aufgeschrieben und das Buch „Life“veröffentlicht hat, schuf er damit ein neues Genre: Satis-Fiction.
Der Gitarrist Nils Lofgren hat mal eine Geschichte erzählt, die sehr berühmt ist. Er versuchte nämlich, das Lied „Beast Of Burden“nachzuspielen. Er machte alles richtig, jeder Ton saß an der korrekten Stelle, aber: „Es klang nicht wie bei Keith.“Der Grund: Bei Keith Richards brennt Licht zwischen den Tönen, er hat einen Schalter gefunden, den es gar nicht gibt. Er schlägt die Saiten ungewöhnlich nah am Hals der Gitarre, und seine Telecaster hat überhaupt nur fünf statt sechs Saiten, weil er meint, dass sich aus weniger Möglichkeiten mehr Ideen ergeben.
Ob er all das beabsichtigt hat? War ihm alles stets bewusst? Wahrscheinlich nicht. Ohnehin hat man bei Keith Richards das Gefühl, dass er der allerbeste Darsteller seiner selbst ist. Diese Postkarten-Sprüche: „Ich habe keine Probleme mit Drogen. Nur mit der Polizei.“Und dann diese Story, dass er die Asche seines Vaters geschnupft habe. Ein Entertainer halt, außerdem Vater von vier Kindern, Großvater von fünf Enkeln und einer der größten Songwriter der Welt. Er zwinkert uns zu: Es ist nur Rock ’n’ Roll.
But I like it.