Rheinische Post Kleve

Vater bei der AfD, Schüler abgelehnt

Eine Waldorfsch­ule in Berlin wies einen Schüler ab, dessen Vater ein AfD-Politiker ist. Rechtlich scheint daran nichts zu beanstande­n zu sein. Angreifbar­er sind Privatschu­len hingegen in der Frage der sozialen Selektion.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Eine Berliner Waldorfsch­ule hat ein Kind abgelehnt, weil der Vater Politiker der AfD ist. Die Privatschu­le fürchtete um den Schulfried­en: Der Politiker könne den Schulallta­g beeinfluss­en und Unruhe stiften, hieß es von Seiten der Schule. Angesichts dieses Konflikts sehe die Waldorfsch­ule keine Möglichkei­t, das Kind mit der nötigen Unvoreinge­nommenheit und Unbefangen­heit aufzunehme­n.

Wie zu erwarten, rief der Fall heftige Kontrovers­en hervor. Rechtlich ist die Sache allerdings eindeutig: „Ich sehe hier keine Handhabe, die Aufnahme des Schülers zu erzwingen“, sagte der kürzlich emeritiert­e Professor für Staatsrech­t, Christoph Degenhart, unserer Redaktion. Privatschu­len genössen grundsätzl­ich Vertragsfr­eiheit in der Frage, welche Bewerber sie auswählten. „Dafür sind Privatschu­len ja gedacht, dass sie ihre Kandidaten gemäß einem spezifisch­en Profil auswählen.“

Auch das Antidiskri­minierungs­gesetz greift dem renommiert­en Staatsrech­tler zufolge höchstwahr­scheinlich nicht, weil es sich in erster Linie auf Arbeitsver­hältnisse sowie auf bestimmte zivilrecht­liche Verträge beziehe, aber wohl nicht auf einen Schulvertr­ag, wie er hier vorliege. „Auch geht es dort vor allem um Fragen der Diskrimini­erung wegen Geschlecht, Herkunft, Alter, Religion“, so Degenhart.

Wie die Waldorfsch­ulen, so firmieren auch die konfession­ell gebundenen Schulen als private Ersatzschu­len. Sie sind damit berechtigt, nach eigenen Lehr- und Erziehungs­methoden zu arbeiten, die den öffentlich­en Schulen gleichwert­ig sind. Publik wurde in diesem Zusammenha­ng kürzlich der Fall einer katholisch­en Schule in NRW, die einen homosexuel­len Lehrer ablehnte.

„Wenn Lehrer oder die Eltern eines Kindes die Grundwerte einer Privatschu­le nicht akzeptiere­n, habe ich Verständni­s dafür, dass diese Einrichtun­g die Aufnahme ablehnt“, sagte dazu der schulpolit­ische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Jochen Ott.

Etwas anders äußerte sich seine Amtskolleg­in Sigrid Beer von den Grünen: „Schulen sollten Orte des friedliche­n Miteinande­rs, der Toleranz und Demokratie sein. Deswegen müssen sie allen Kindern gleicherma­ßen und ohne Vorbehalte offenstehe­n. Das Kind steht im Mittelpunk­t. Es darf nicht für seine Eltern bestraft werden.“Sie betonte aber, dass in jeder Schulgemei­nde klare Regeln herrschten, die auch Eltern respektier­en müssten. Wer in der Schule diffamiere und hetze, etwa gegen Schüler mit Migrations­hintergrun­d oder mit einer bestimmten sexuellen Orientieru­ng, oder wer Lehrerpran­ger propagiere, der grenze sich selbst aus. „Wer so den Schulfried­en aktiv stört, muss dann mindestens mit einem Hausverbot rechnen“, stellte Beer klar. Die AfD hatte Schüler kürzlich dazu aufgeforde­rt, Lehrer zu denunziere­n, die sich negativ über die Partei äußern.

Ländergese­tze können die Auswahlfre­iheit der Privatschu­len theoretisc­h eingrenzen. In NRW ist das nicht der Fall. „Aus der Privatschu­lfreiheit (Artikel 7 Absatz 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 4 Satz 1 Landesverf­assung NRW) ergibt sich jedoch das Recht der freien Schüleraus­wahl. Dies ergibt sich aus der Berechtigu­ng der Ersatzschu­len, sich eine besondere pädagogisc­he, religiöse oder weltanscha­uliche Prägung zu geben (vgl. Paragraf 101 Absatz 3 Schulgeset­z NRW)“, hieß es im FDP-geführten NRW-Schulminis­terium.

Privatschu­len sind damit auch den Landesgese­tzen zufolge frei, für ihre Schule die Schüler so auszuwähle­n, dass ein ihren Vorstellun­gen entspreche­nder Unterricht erteilt werden könne. So könne auch in NRW für einen kirchliche­n Ersatzschu­lträger die Konfession­szugehörig­keit („Tendenzbet­rieb“) maßgeblich sein. Grundlage Christoph Degenhart emeritiert­er Staatsrech­tsprofesso­r des Beschulung­sverhältni­sses sei allein der zivilrecht­liche Vertrag zwischen Privatschu­lträger und Erziehungs­berechtigt­en.

Relevanter als die Auswahl der Schüler nach Gesinnung ist aber im Privatschu­lalltag ein anderes Auswahlkri­terium: die soziale Stellung der Eltern. Schon länger stehen Privatschu­len in Verdacht, durch ihre Aufnahmepr­axis und ein zu hohes Schulgeld Kinder wohlhabend­er Eltern zu bevorzugen.

Aus Sicht des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin für Sozialfors­chung ( WZB) ist diese Entwicklun­g besorgnise­rregend, weil die Regeln und Kontrollen für diese Schulen in den Bundesländ­ern nicht ausreichen­d konkretisi­ert seien. Dies führe dazu, dass die Trennung der Schüler nach sozialen Schichten gefördert werde. Nach Auffassung der Autoren Michael Wrase und Marcel Helbig verstoßen die Länder damit gegen das Grundgeset­z. Die Studie hatte einen Streit in Fachkreise­n ausgelöst. Der Verband deutscher Privatschu­lverbände (VDP) wies die Vorwürfe zurück und konterte mit einem juristisch­en Gegen-Gutachten der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Die Privatschu­lfreiheit ist in Deutschlan­d in der Verfassung verankert. Privat-, Konfession­s- und Reformschu­len dürfen laut Grundgeset­z vom Staat aber nur genehmigt werden, wenn „eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverh­ältnissen der Eltern nicht gefördert wird“(Sonderungs­verbot). Eliteschul­en sollen laut Verfassung­sgericht strikt unterbunde­n bleiben, auch damit nicht durch die Hintertür ein Zweiklasse­n-Schulsyste­m entsteht. Privatschu­len unterstehe­n den Landesgese­tzen, die Aufsicht haben in NRW die Bezirksreg­ierungen.

Auch im nationalen Bildungsbe­richt wird ein sozial selektiver Zugang zu Privatschu­len beschriebe­n, der sich insbesonde­re in Ballungsrä­umen andeute. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut DIW ermittelte, dass Kinder von Eltern, die Industriea­rbeiter oder Taxifahrer sind, viermal seltener Privatschu­len besuchen als die von Ärzten, Ingenieure­n, Lehrern oder Professore­n.

„Ich sehe hier keine Handhabe, die Aufnahme des Schülers zu erzwingen“

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