Bist Du’s wirklich?
Das Berliner Unternehmen WebID identifiziert Neukunden, etwa von Banken, per Videochat. 2019 will die Firma international stark wachsen.
SOLINGEN „Am Black Friday ging es direkt um null Uhr los“, erinnert sich Niederlassungsleiter Christian Kühn. „Übers Wochenende hatten wir fast 36.000 zusätzliche Kundenkontakte. Bis Ende Januar herrscht jetzt bei uns Hochsaison.“In Solingen betreibt die WebID Solutions Group ihr größtes Servicecenter: Rund 400 Mitarbeiter stellen im Videogespräch sicher, dass Neukunden von Banken und Telekommunikationsunternehmen sich bequem online ausweisen können und rasch zu einem Kredit oder einer Sim-Karte kommen. Das freut nicht nur die Kunden, die alles von zuhause aus erledigen können, sondern auch die Geschäftspartner von WebID. Sie brauchen für die Überprüfung der Kreditnehmer und Interessenten von Handy-Verträgen kein eigenes Personal.
Wo sonst in Solingen an sieben Tagen in der Woche von 7 bis 24 Uhr „Anrufe nach allen Regeln der Kunst gemacht werden“, so der geschäftsführende Gesellschafter und Mitgründer Franz Thomas Fürst, gibt es zu Zeiten von Black Friday (der verkaufsstarke Freitag nach dem amerianischen Erntedankfest) und Cyber Monday (offizieller Start ins Weihnachtsgeschäft der Onlinehändler) keine nächtlichen Pausen. „Ab 3, 4 Uhr wird es etwas ruhiger, um dann um 5 Uhr wieder anzuziehen“, erläutert der 48-Jährige. „Die Einsatzplanung für unsere Mitarbeiter wird an derartigen Tagen zum absoluten Horror. Alle Gespräche, auch die aus Neuseeland und Hongkong, gehen durch dieses Haus.“
12.000 bis 15.000 Kontakte pro Tage sind normal. Fürst: „Wir erwarten, dass sich die Zahl jetzt verdoppelt oder verdreifacht.“Dass es unter den Anrufern schwarze Schafe gibt, die mit einer falschen Identität einen Kredit erschwindeln oder über ihr neues Konto Geld waschen wollen, war in der Branche schon vor Berichten über das Fintech-Unternehmen N26 bekannt („Die erste Bank, die du lieben wirst.“) Dort reichte nach Recherchen der „Wirtschaftswoche“ein äußerst plump gefälschter Ausweis zur Kontoeröffnung. Ein Videochat fand nicht statt.
„Bevor WebID 2014 auf den Markt kam, gab es eigentlich nur den Gang zum Bankschalter und das Postident-Verfahren“, blickt Thomas Fürst zurück. „Das Postident-Verfahren, bei dem man sich in einer Filiale ausweist, litt jedoch unter einer hohen Betrugsquote. Das war den Banken und dem Finanzministerium ein Dorn im Auge.“Deshalb setze die Post jetzt mehr professionelle Ausweis-Lesegeräte ein. Fürst: „Kein Verfahren ist zu 100 Prozent perfekt. Bei WebID liegen die Betrugsfälle aber unterhalb von 0,5 Prozent.“
Dass die Quote niedrig bleibt, ist strengen Vorgaben geschuldet. Wenn die „Agents“eine Sicherheitsschleuse, unter anderem mit Handlinienscanner, passiert und ihren Arbeitsplatz erreicht haben, halten sie sich an strikte Rituale. Die Videochats dauern im Schnitt sechs bis sieben Minuten; der potenzielle Kunde durchläuft dabei drei Stufen. Dabei werden unter anderem die Sicherheitsmerkmale des Ausweises überprüft. „Aber wir stellen auch Fragen, bei denen ein Betrüger ins Schleudern kommt“, unterstreicht Thomas Fürst. „Bei einem Betrugsverdacht wird unser Partner informiert.“
Zu den Kunden zählen weitere Finanzdienstleister, Lottogesellschaften und Carsharing-Firmen. Die Anbieter von Handy-Verträgen kamen Mitte 2017 dazu, als der Kauf von Sim-Karten zur Terrorismusabwehr erschwert wurde. „Da sind wir mit wehenden Fahnen gestartet“, sagt Fürst. Die Überraschung folgte rasch: Die Klientel verhielt sich anders, rief bis zu 15-mal an, wo sonst ein- bis zweimal der Regelfall war. Außerdem gab es Sprachprobleme. WebID reagierte, etwa durch zusätzliche Mitarbeiter. „Das Weihnachtsgeschäft wurde dann zu einem Erfolg.“
2018 soll die Tätigkeit für Telekommunikationsfirmen für rund die Hälfte vom Umsatz sorgen. In diesem Jahr werden 12,6 Millionen Euro erwartet. Fünf bis sieben Euro erhält WebID pro erfolgreichem Videoident-Fall. Fürst: „Wir sind so profitabel, dass wir auf dem Sprung in die Internationalisierung sind.“Bisher hat WebID mit Hauptsitz in Berlin neben der großen Solinger Niederlassung noch Büros in Hamburg und Kiel. Töchter gibt es bereits in Österreich, der Schweiz und in Indien. „Die Expansion genießt für uns
höchste Priorität“, betont der Geschäftsführer. „Wir sind sehr glücklich, dass viele Länder wie Singapur, Hongkong und die Philippinen die Tür weit aufgestoßen haben fürs Videoident-Verfahren.“In den USA wurde es im März dieses Jahres patentiert; der Markteintritt soll 2019 stattfinden.
Um Referenzen macht sich Thomas Fürst, der aus einer Familie von Besteckproduzenten und -verlegern stammt und das Servicecenter aus Lokalpatriotismus in der Klingenstadt angesiedelt hat, keine Sorgen. „Wir sind als Erfinder des Verfahrens und als Marktführer bekannt. Deshalb werden wir beispielsweise auf EU-Ebene eingeladen, wenn es um Geldwäsche und Terrorismusabwehr geht. Ich war aber auch vor Kurzem bei einem entsprechenden Treffen in China.“Zeit für einen Abstecher nach England fand der Solinger auch: In der London Business School holte sich Fürst, MBA-Absolvent des Jahrs 1996, den „Accomplished Entrepeneur Award 2018“ab.