Immer wieder die Bayern
Wenn Bayer Leverkusen am Sonntag gegen die Münchener spielt, geht es nicht nur um Prestige, Punkte und Platz eins in der Bundesliga. Die Werkself kann mit einem Sieg auch böse Geister der Vergangenheit vertreiben.
LEVERKUSEN Es läuft die 93. Minute. Bayer Leverkusen hält gegen den FC Bayern München nach starker Leistung ein 1:1 und wäre in wenigen Sekunden Herbstmeister. Doch dann patzt Jonathan Tah, Joshua Kimmich schnappt sich den Ball, schickt Robert Lewandowski halblinks Richtung Tor – und der Pole erzielt das 2:1 für den Rekordmeister. Zeit für Korrekturen bleibt nicht, kurz danach ist die Partie abgepfiffen. Mit gesenkten Köpfen trottet die Werkself vom Platz. Die Bayern feiern sich für den Coup. Sie sind Tabellenführer und Bayer steht düpiert da. Am Sonntag treffen beide Teams im Kampf um Platz eins erneut in Leverkusen aufeinander (15.30 Uhr/Dazn).
Das Szenario aus dem Dezember 2020 soll sich aus Sicht der Gastgeber nicht wiederholen. Die Vorzeichen sind aber zumindest ähnlich. Dieses Mal ist Leverkusen der punktgleiche Verfolger des Starensembles aus München. Die Mannschaft von Trainer Gerardo Seoane wirkt nach dem mittelschweren Umbruch im Sommer gefestigt und überzeugt mit schnörkellosem Offensivfußball, ohne dabei die Absicherung nach hinten zu vergessen. Und die Bayern sind eben die Bayern: Ein mit Weltklassespielern gespicktes Team, gegen das kein Bundesligist Favorit ist – und das vor der Länderspielpause beim 1:2 gegen Frankfurt die erste Pflichtspielniederlage unter Coach Julian Nagelsmann hinnehmen musste.
Auch Seoane hat mit der Werkself erst einmal in dieser Saison verloren. Das 3:4 gegen Dortmund war das bisher wohl mitreißendste Spiel dieser Halbserie. Das Spektakel zeigte Fußballdeutschland, dass da was entsteht in Leverkusen, mit dieser jungen, hochveranlagten Mannschaft, die neuerdings nicht nur Tempo und Technik, sondern auch Bissigkeit und Solidarität kann. „Wir sind als Mannschaft gewachsen und erwachsener geworden“, sagte Tah unter der Woche. Bayer stehe jetzt als starkes Kollektiv auf dem Platz. „Jeder gibt alles für jeden.“
An dieser Entwicklung hat wohl auch die schmerzhafte Erfahrung im Dezember 2020 ihren Anteil, die Leverkusen nicht nur die Herbstmeisterschaft kostete, sondern auch eine bemerkenswerte Abwärtsspirale in Gang setzte. Die bis dahin in der Hinrunde ungeschlagene Werkself kam schlecht ins neue Jahr und geriet in einen Negativlauf, der dem damaligen Trainer Peter Bosz im März den Job kostete. Das alles alleine auf das Last-Minute-1:2 gegen München zu schieben, würde der Sache nicht gerecht, aber ein Wirkungstreffer war der Tiefschlag der Münchner allemal. Und es war nicht der einzige in den vergangenen Jahren.
Da gab es auch noch das Pokalfinale 2020 (2:4) oder das Halbfinale 2018 (2:6), die in der jüngeren Vergangenheit Narben bei Bayer hinterlassen haben. Man muss also nicht bis in das Jahr 2000 zurückblicken, auf das Drama von Unterhaching, Michael Ballacks Eigentor und die spektakulär verpasste Meisterschaft des Werksklubs, um beiden Teams eine besondere, historisch gewachsene Rivalität zu attestieren. Wenn es für Leverkusen um etwas geht, stehen meist die Münchner im Weg – immer wieder die Bayern.
Allerdings: Im Jahr 2019 gab es auch zwei Siege gegen den Rekordmeister. Sie sind zwar eher Ausnahme als Regel, aber Erfolge wie diese zeigen, dass Bayer stets in der Lage ist, dem großen Konkurrenten ein Bein zu stellen. „Wir wissen um die Schwierigkeit der Aufgabe – und dass es von unserer Seite eine sehr gute Leistung braucht. Aber diese Ambition haben wir und wir stellen an uns den Anspruch, gegen die Topmannschaften bestehen zu könnten“, betont Seoane. Zu diesen gehört München zweifellos.
Sein Gegenüber freut sich ebenfalls auf das Duell am Sonntag, das auch eins der beiden 18-jährigen Senkrechtstarter Florian Wirtz und Jamal Musiala wird. „Ich erwarte ein spannendes Spiel für die Zuschauer, beide Teams spielen gern nach vorn. Ich glaube, dass es sehr interessant wird“, sagt Nagelsmann, der Leverkusens starken Auftritten zuletzt Respekt zollt: „Wie man liest, stehen sie als echte Einheit auf dem Platz.“
Für Unruhe sorgt in München indes der kuriose Fall Lucas Hernandez, dem eine Haftstrafe droht, weil er 2019 in Spanien gegen ein Kontaktverbot mit seiner damaligen Freundin – und nach der Versöhnung heutigen Ehefrau – verstoßen hat. Er soll am Dienstag in Madrid vor Gericht erscheinen. „Ich habe ihn normal erlebt und sehe keine negativen Auswirkungen“, sagt Nagelsmann. „Ich plane ganz normal mit ihm.“