Rheinische Post Kleve

Sie hätten die Morde verhindern können

Zehn Jahre nach Entdeckung des NSU-Terrors ist klar: Die Behörden hätten die Täter bei besserer Ermittlung­sarbeit fassen können. Die Morde wurden durch systematis­ches Behördenve­rsagen möglich.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Ja, es gab sie. Die Beamten, die das Richtige wollten. Da war der Kripo-Beamte, der im Februar 1998 Alarm schlug, als bei der Durchsuchu­ng von Garagen des untertauch­enden Trios die zuständige­n Ermittler übergangen und Infos an die Zielfahnde­r nicht weitergege­ben wurden. Da war der Referatsle­iter im Brandenbur­ger Verfassung­sschutz, der nach Hinweisen eines Kontaktman­nes unter dem Stichwort „Rechtsterr­orismus“die Polizei auf ein gesuchtes Trio in Chemnitz aufmerksam machen wollte. Und da war der Münchner Fallanalyt­iker, der im Mai 2006 zu dem Schluss kam, dass hinter der Mordserie wahrschein­lich nicht Migranten und Ausländer, sondern Anhänger der rechten Szene steckten.

Doch was diese drei Vorgänge an Verhinderu­ngspotenzi­al hätten entfalten können, wurde erst nach dem 4. November 2011 klar, als das Entsetzen von Stunde zu Stunde wuchs. Dem Fund zweier Leichen in einem in Brand gesteckten Wohnmobil in Eisenach folgte die Erkenntnis, dass da ein Terrornetz­werk zehn Jahre lang in Deutschlan­d gemordet hatte und sich dabei über den Dilettanti­smus der Behörden freuen konnte. Denn die drei Vorgänge zeigten das Hauptprobl­em beim erst später in Gang kommenden Kampf gegen den militanten Rechtsextr­emismus: die Mischung aus Vorsatz, Vorurteil und Naivität. Der Kripo-Beamte wurde von dem Fall abgezogen, weil er störte. Der Referatsle­iter wurde belehrt, dass er eigene Quellen gefährde. Und der Analytiker wurde von den 160 Ermittlern nicht ernst genommen und mit Hilfe von Gegen-Gutachten überstimmt.

Opfer-Anwältin Seda Basay-Yildiz fasst den Kern der verhängnis­vollen Startbedin­gungen in einem Satz zusammen: „Das Trio hätte bei entspreche­nder Einleitung von Observatio­nsmaßnahme­n gefasst werden können, noch bevor die Morde begangen wurden.“

Selbst nach dem Entdecken vor zehn Jahren gingen die Vorstellun­gen

in die falsche Richtung. Es entstand das Bild von drei einsamen untergetau­chten, extremst radikalisi­erten Rechtsterr­oristen, die über Wochen mögliche Opfer ausgekunds­chaftet und dann im Alleingang jeweils gemordet hätten.

Schon die ersten Bluttaten lassen eher etwas anderes vermuten: Dass da nämlich intensive Kontakte zu rechtsextr­emistische­n Szenen mit deren jeweiliger Ortskenntn­is genutzt wurden. Warum sonst beginnen die in Thüringen und Sachsen lebenden Terroriste­n ihre Anschlagse­rie in Nürnberg? Warum ist die Kneipe „Sonnensche­in“der erste Tatort, obwohl von außen kaum erkennbar als von einem Türkischst­ämmigen betrieben?

So plausibel auf mutmaßlich­er Täterseite eine größere Helferzahl im Hintergrun­d erscheint, so unplausibe­l ist, warum die Fahnder von Anfang an allein in Richtung Ausländerk­riminalitä­t ermitteln. Schon der Hinweis des ersten Anschlagop­fers, dass da am Tag vor der Tat zum zweiten Mal auffällige­rweise ein Deutscher dort gewesen sei, wo sich dann die später explodiert­e Taschenlam­pe fand, wird von den Ermittlern beiseite gewischt. Und auch die erste und über viele Jahre einzige Idee der Ermittler im Simsek-Mord richtet sich auf mögliche Drogengesc­häfte des Blumenhänd­lers oder vielleicht auch familiäre Motive. Es bleibt bei dieser Verblendun­g.

Welchen verhängnis­vollen Mist gerade der Verfassung­sschutz im Zusammenha­ng mit dem NSU produziert hatte, wurde intern sehr schnell klar. Und mit umfangreic­hen Löschaktio­nen beantworte­t. Wie sehr das Unrechtsbe­wusstsein entwickelt war, wird auch darin deutlich, dass die Verantwort­lichen für die Aktenverni­chtung den Vorgang selbst zurückdati­erten – auf die Zeit vor Entdeckung des NSU. Dabei stießen die Untersuchu­ngsausschü­sse auf diverse Belege, wonach die Sicherheit­sbehörden schon vor 2011 explizit auch auf einen „NSU“hingewiese­n worden waren, dem aber keine Beachtung geschenkt hatten.

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FOTO: DPA Asservate in Meckenheim zehn Jahre danach: Ein BKABeamter hält die Ceska-Tatwaffe vor dem Wohnmobil der Terrorzell­e.

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