Uneinigkeit über Booster-Impfung
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fordert Auffrischungsimpfungen für alle, die Ärzte sind dagegen: Eine Woche vor einem Bund-Länder-Gipfel zur Corona-Lage gibt es große Differenzen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
BERLIN Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordert Auffrischungsimpfungen für alle, die Kassenärzte und der Hausärzteverband sind dagegen: Eine Woche vor einem Bund-Länder-Gipfel zur Corona-Lage liegen die geschäftsführende Bundesregierung und die Ärzte weit auseinander. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Für wen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) bisher eine Booster-Impfung bis Jahresende?
Über 70-Jährige, Immungeschwächte, das medizinische und pflegerische Personal sowie alle, die mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson einmal geimpft worden sind, sollten laut der Stiko-Empfehlung bis zum Jahresende eine Auffrischungsimpfung bekommen. Insgesamt sind dies rund 15 Millionen Menschen. „Wichtig ist, dass jetzt nicht jeder eine Auffrischungsimpfung anfragen sollte, um die Praxen nicht zu verstopfen. Zuerst sind die über 70-Jährigen dran, genauso wie Menschen mit Vorerkrankungen oder Mitarbeiter aus dem Gesundheitssektor“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Die Booster-Impfung ist frühestens ab dem sechsten Monat nach der zweiten Impfung sinnvoll.
Diskutiert die Stiko über BoosterImpfungen für alle?
Ja. Stiko-Chef Thomas Mertens erklärte am Dienstag, in der Kommission werde darüber diskutiert, ob es aus epidemiologischer Sicht sinnvoll sein könnte, allen Bürgern die Auffrischung zu empfehlen. Mertens wies auf das „Modell Israel“hin, wo eine Mehrheit der Bürger bereits eine Drittimpfung erhalten habe, woraufhin das Land jetzt seine Pforten wieder für Touristen geöffnet habe. Eine baldige Entscheidung sei aber nicht zu erwarten.
Wofür plädieren die Gesundheitsminister?
Die Booster-Impfung solle „grundsätzlich allen Personen angeboten werden, die diese nach Ablauf von sechs Monaten nach Abschluss der ersten Impfserie wünschen“, heißt es in dem Entwurf von Spahns Ministerium für die bevorstehende Gesundheitsministerkonferenz, die am Donnerstag und Freitag im bayerischen Lindau stattfindet. Eine Auffrischung für alle Menschen ab 60 empfehlen auch die Gesundheitsminister der Länder.
Was wünschen sich dagegen die Kassenärzte?
Eindringlich appellierte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV ), Andreas Gassen, am Dienstag an die Politik, nicht jede Woche neue Botschaften an die Bürger zu senden. Das führe nur zu Verunsicherungen. Die Ärzte hielten sich an die Stiko-Empfehlungen, und diese sollten der Maßstab für alle bleiben. Noch gebe es zwar keinen Ansturm auf die Arztpraxen, aber es bestehe die Gefahr, dass wertvolle Zeit verloren gehe, weil die Ärzte Patienten mühsam erklären müssten, warum sie noch keine Booster-Impfung bekämen. „Es ist jetzt richtig, die zu impfen, die es am ehesten brauchen, und nicht die, die am schnellsten laufen können“, sagte Martin Scherer,
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Die größten Anstrengungen müssten den Altenund Pflegeheimen gelten. Die Fehler des vergangenen Jahres dürften nicht wiederholt werden. In einem Heim in Brandenburg waren zuletzt zahlreiche doppelt geimpfte Bewohner nach einer eingeschleppten Covid-Infektion gestorben.
Braucht es eine Impfpflicht für das Personal in Kliniken und Pflegeheimen?
KBV-Chef Gassen, ansonsten eher ein Vertreter eines liberalen Kurses, hält eine Debatte über eine Impfpflicht für Pflegepersonal für nötig. Diese sei berechtigt, obwohl er generell gegen eine Impfpflicht sei, sagte Gassen. Zumindest sollte nicht-geimpftes Personal keinen Kontakt mehr zu Patienten haben. Eine Impfpflicht sei aber eine politische Entscheidung. Auch Lauterbach sprach sich dafür aus.
Kann das Gesundheitssystem noch kollabieren?
Nach Ansicht des SPDGesundheitsexperten Karl Lauterbach droht diese Gefahr auch zum jetzigen Zeitpunkt: „Obwohl bereits viele Menschen geimpft sind, kann es immer noch zu einer Überlastung der Krankenhäuser kommen. Erste Intensivstationen sind bereits am Limit“, sagte er. Tatsächlich hatten etwa Intensivmediziner der Berliner Charité Alarm geschlagen. „Für geselliges Beisammensein in der Vorweihnachtszeit bedeutet das nichts Gutes. Deswegen sollten jetzt Restaurants, Kinos und andere Einrichtungen strenge 2G-Vorschriften durchsetzen und die Länder rasch die Booster-Impfung für Ältere ermöglichen“, rät Lauterbach.
Wie blicken Wirtschaftsverbände auf die Corona-Entwicklung?
„Die Corona-Pandemie ist weiter eine Belastung für die deutsche Wirtschaft. Das zeigt die jüngste DIHKUmfrage“, sagte Peter Adrian, Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). „Ein erneuter Corona-Winter würde dem Erholungsprozess in den Betrieben einen herben Rückschlag versetzen“, warnte er.