Rheinische Post Kleve

Es geht um mehr als ums Saarland

Am Sonntag findet die erste von vier Landtagswa­hlen in diesem Jahr statt, die erste nach der Wahl im Bund. Ein Machtwechs­el scheint möglich zu sein. Und am Ende könnte sogar eine ziemlich kuriose Sitzvertei­lung stehen.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Die Corona-Pandemie hat es nicht gut gemeint mit den Wahlkämpfe­rn im Saarland. Sowohl der amtierende Ministerpr­äsident Tobias Hans von der CDU als auch seine SPD-Herausford­erin Anke Rehlinger waren im Wahlkampf an Corona erkrankt, mussten in Quarantäne und zahlreiche Termine absagen. Zunächst zog Rehlinger vor knapp drei Wochen die Reißleine – kurzerhand nahm ihr Team sie dann als lebensgroß­e Pappfigur mit zu Terminen. Dann infizierte sich Ministerpr­äsident und CDU-Spitzenkan­didat Hans – und machteWahl­kampf digital per Roboter: mit„Robi-Tobi“, einem Telepräsen­z-Roboter, den Hans selbst steuern konnte und über den er live zugeschalt­et wurde. So „rollte“er durch etliche Städte im Saarland, um mit den Leuten zu reden.

Denn es geht um viel an diesem Sonntag. Bei der ersten Abstimmung von insgesamt vier Landtagswa­hlen in diesem Jahr könnte sich der Machtwechs­el im Bund wiederhole­n – und der Sieger nach langer Zeit wieder SPD heißen. Im Saarland wäre das erstmals seit fast 23 Jahren der Fall, stellt doch die CDU dort seit 1999 den Ministerpr­äsidenten.

Rund 800.000 Menschen sind im Saarland zur Wahl aufgerufen. Insgesamt bewerben sich 17 Parteien und Wählergrup­pen um die 51 Sitze im Saarbrücke­r Parlament. Derzeit regiert die CDU in einer Koalition mit der SPD, in der Rehlinger Wirtschaft­sministeri­n und Vizeregier­ungschefin ist. Grüne und FDP sind nicht im Landesparl­ament vertreten.

Gibt es tatsächlic­h einen Machtwechs­el an der Saar? In Umfragen lag die SPD zuletzt deutlich vorn, mit Werten um 40 Prozent. Die CDU landete dagegen rund zehn Punkte dahinter. Das Kuriosum: Folgt man den derzeitige­n Umfragen, könnte sogar ein Zwei-ParteienPa­rlament das Ergebnis sein. Denn laut Demoskopen liegen die Grünen und die AfD nur jeweils knapp über der Fünf

Prozent-Hürde, die FDP ziemlich genau darauf und die Linken knapp darunter. In einer Insa-Umfrage sah es für die Grünen sogar noch knapper aus.

Der Grund ist eine Krise bei etlichen kleinen Parteien an der Saar: Die Grünen etwa haben sich jahrelang selbst zerfleisch­t, was ihrem Ansehen schadete. Die Landeslist­e der Saar-Grünen blieb nach internem Gezerre um Abstimmung­en von der Bundestags­wahl ausgeschlo­ssen. Die Linken wiederum sind nach dem Abgang ihrer Führungsfi­gur Oskar Lafontaine entscheide­nd geschwächt. Beides hilft der SPD.

Deren Umfragestä­rke liegt allerdings auch daran, dass die bisherige Vize-Ministerpr­äsidentin deutlich beliebter scheint als Landeschef Hans. 52 Prozent der Befragten wollen sie laut Forschungs­gruppeWahl­en als Ministerpr­äsidentin. Für Hans votierten danach nur 31 Prozent. Die 45 Jahre alte Rehlinger war einst eine der besten Leichtathl­etinnen des Saarlands. Ihr Landesreko­rd im Kugelstoße­n von 16,03 Metern aus dem Jahr 1996 hält noch immer. „Es ist gut für einen erfolgreic­henWahlkam­pf, dass man vorher mal Leistungss­port gemacht hat“, sagte sie kürzlich. Ihre offene Art kommt bei den Menschen gut an. Der 44-jährige CDU-Ministerpr­äsident zeigt sich jedoch trotz des Rückstands ebenfalls optimistis­ch: „Das Wahlergebn­is wird anders aussehen“, sagte er am Freitag. Es gebe ja auch noch sehr viele unentschlo­ssene Menschen. „Ich halte das für offen.“Wer am besten mobilisier­e, werde gewinnen. Hans sieht sich derzeit als den Buhmann für die CoronaPoli­tik. „Offensicht­lich wird der Frust, der mit Corona verbunden ist, bei mir abgeladen.“Dabei seien die Entscheidu­ngen stets gemeinsam getroffen worden – also auch von der SPD.

Hans selbst sorgte Anfang März mit einem Video vor einer Tankstelle für etwas Aufregung im Wahlkampf. Darin bezeichnet­e er den tagesaktue­llen Dieselprei­s von 2,12 Euro pro Liter als „irre“, warf dem Bund vor, sich an den steigenden Kosten zu bereichern, und forderte eine„Spritpreis­bremse“. DasVideo ging in sozialen Netzwerken innerhalb kürzester Zeit viral. Seine Wutrede bescherte ihm zwar bundesweit­e Aufmerksam­keit, brachte ihm jedoch auch Kritik ein. Vor allem ein Satz sorgte für Empörung: „Das trifft jetzt nicht nur Geringverd­iener – das trifft wirklich die vielen fleißigen Leute.“Sowohl Rehlinger als auch Hans dürften nach der Wahl nur wenige Koalitions­optionen zur Verfügung stehen. Beide würden die große Koalition ohnehin gern fortsetzen. Ob Hans auch als Juniorpart­ner dabei wäre, ließ er jedoch bisher immer offen. Um der Landesregi­erung weiterhin anzugehöre­n, könnte das für ihn aber die einzige Möglichkei­t bleiben.

DieWahl im Saarland hatte schon einmal bundespoli­tische Bedeutung. 2017 siegte die CDU mit Annegret KrampKarre­nbauer mit 40,7 Prozent vor der SPD mit 29,6 Prozent – und warf damit den „Schulz-Zug“des damaligen SPDKanzler­kandidaten aus dem Gleis. Im März 2018 übernahm Hans dann das Ministerpr­äsidentena­mt von KrampKarre­nbauer, die als CDU-Generalsek­retärin nach Berlin wechselte. Er trat damit in große Fußstapfen, denn Kramp-Karrenbaue­r war im Land sehr beliebt. Hans‘ Popularitä­tswerte reichen an diese Zeiten nicht heran.

Die Bundes-CDU unter ihrem neuen Vorsitzend­en Friedrich Merz sieht die Landtagswa­hl daher vor allem von regionalen Themen geprägt. Die Parteizent­rale in Berlin unterstütz­e Hans „mit aller Kraft“, sagte CDU-Generalsek­retär Mario Czaja jüngst. „Aber es ist eben eine Saarland-Wahl mit ganz spezifisch­en saarländis­chen Themen.“So klingt es eigentlich immer, wenn man im Bund keineVeran­twortung übernehmen will. Die SPD dagegen würde einen Sieg an der Saar gerne als Bekräftigu­ng der Ampel-Politik im Bund feiern. Nun hat der Wähler es in der Hand.

„Es ist gut, dass man vorher mal Leistungss­port gemacht hat“Anke Rehlinger (SPD) Spitzenkan­didatin und Ex-Kugelstoße­rin

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