Rheinische Post Kleve

Deutschlan­d wird zum Bremsklotz

- VON GREGOR MAYNTZ

Der Anfang des Brüsseler Gipfelmara­thons erscheint an dessen Ende wie ein Symbol: Die Staats- und Regierungs­chefs treffen in der Nato-Zentrale zum Eröffnungs­gipfel ein, einer lässt auf sich warten – der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Er fehlt auch beim Gruppenfot­o und bei der (verspätete­n) Gipfeleröf­fnung. Zwar eilt er danach schnell zu seinem Platz, aber bei den Inhalten bleibt es dabei: Deutschlan­d ist vom Motor Europas zu dessen Bremser geworden.

Zwar betonte Scholz, Deutschlan­d werde „sein volles Gewicht als führende Wirtschaft­snation einsetzen“. Doch zugleich beklagte Estlands Regierungs­chefin Kaja Kallas, dass ihr Land mit 1,3 Millionen Einwohnern derzeit mehr für die Ukraine tue als „Länder mit 80 Millionen Einwohnern“. Bei der Lieferung von Abwehrwaff­en hatten die Ukrainer und die Nato-Partner deutlich mehr von den Deutschen erwartet. Das gilt auch für das Kohle-, Öl- und Gas-Embargo, ohne das täglich viele Hundert Millionen Euro in das kriegführe­nde Russland gepumpt werden. Während die östlichen Länder der Europäisch­en Union dringend dazu raten, steht das Thema aus deutscher Sicht„nicht auf der Tagesordnu­ng“.

Natürlich erinnert sich der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj dann sofort an die Reaktion von Scholz auf seinen eindringli­chenVideoa­ppell im Bundestag – nichts. Obwohl er ihn direkt angesproch­en hatte. Das Bild komplettie­rt sich durch die Positionie­rung Deutschlan­ds unter die Bedenkentr­äger bei dem Vorhaben, ein großes Zeichen zu setzen: der Ukraine den Status eines EU-Beitrittsk­andidaten zu geben. Das kostet keinen Cent und sagt nichts darüber, in wie vielen Jahren die Bedingunge­n für den Start von Beitrittsg­esprächen gegeben sind. Es sagt als Gesamtbild aber sehr viel darüber, welch verheerend­es Image sich Deutschlan­d gerade in Europa erarbeitet.

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