Ministerin Spiegel unter Druck
Der im Haushalt vorgesehene Posten für die Familienpolitik hat im Bundestag eine heftige Debatte ausgelöst. Grund war weniger der Etat, sondern die Ressortchefin.
Anne Spiegel ist immer noch verschnupft. Man hört es ihr an. Die Familienministerin, die am Freitag im Bundestag ihren Etat verteidigt, leidet unter den langwierigen Folgen einer Corona-Infektion. Viele Politikerinnen und Politiker sind oder waren an Covid erkrankt, das ist mittlerweile Alltag in der Hauptstadt – so wie im ganzen Land.
Doch die Erkrankung der GrünenPolitikerin dominiert am Freitag die eigentliche Haushaltsdebatte. CDUVize Silvia Breher wirft der Ministerin vor, in den vergangenen Wochen nicht präsent gewesen zu sein.„Dreieinhalb Wochen haben wir nichts mehr von Ihnen gehört zum Thema Frauen aus der Ukraine“, ruft Breher. „Wo waren Sie?“Diese Einlassung wiederum sorgt für Empörung aus den Reihen der Grünen. Es sei „respektlos und schamlos“, die Krankheit der Ministerin politisch zu instrumentalisieren. Das Private ist bei Anne Spiegel, der Hoffnungsträgerin der Grünen, derzeit politisch – und emotional aufgeladen.
Am 24. Februar hatte Spiegel öffentlich erklärt, sich mit dem Coronavirus angesteckt zu haben. Seitdem hatte die Ministerin krankheitsbedingt mehrere Termine absagen müssen. Auch einer Aktuellen Stunde im Bundestag, bei der es um ihre Arbeit als Landesumweltministerin bei der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz im Sommer 2021 ging, war sie am Freitag vor einerWoche wegen Krankheit ferngeblieben. Bei der teils heftigen Debatte hatte es aus den Reihen von Union und AfD Rücktrittsforderungen gegen Spiegel gegeben. Am Mittwochmorgen davor hatte sie aber persönlich an einer Kabinettsklausur mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teilgenommen– allerdings noch deutlich geschwächt, hieß es aus ihrem Umfeld. Doch da die Ukraine-Krise im Mittelpunkt gestanden habe, habe sie die Ministerberatungen nicht versäumen wollen.
Am vergangenen Montag hatte Spiegel dann ihre Arbeit im Bundesministerium in Berlin wieder offiziell aufgenommen und Rücktrittsforderungen entschieden zurückgewiesen. Sie ist wieder zurück auf der politischen Bühne. Doch die Schatten ihrer Rolle als Landesumweltministerin während der Flutkatastrophe folgen der 41-Jährigen bis nach Berlin in den Bundestag. Unklar, inwieweit sie der ambitionierten Ministerin noch schaden.
Spiegel hatte am 11. März krankheitsbedingt angeschlagen, aber persönlich vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im rheinland-pfälzischen Landtag ausgesagt. Den Vorwurf, sie habe am Tag der Flut am 14. Juli 2021 Sorgen um ihr politisches Image über den Schutz der Menschen im Ahrtal gestellt, hatte sie entschieden zurückgewiesen. Auch auf zahlreiche Nachfragen hin konnte sie jedoch nicht exakt klären, womit sie als für den Hochwasserschutz zuständige Ministerin in der Katastrophennacht beschäftigt war. Durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses waren auch interne Nachrichten öffentlich geworden, die den Schluss zulassen, dass Spiegel und ihre engsten Mitarbeiter am Morgen nach der Flut zunächst darüber nachdachten, wie Imageschäden verringert werden könnten. Die Ministerin wies in der Befragung die Vorwürfe zurück und erklärte, es sei ihr einzig und allein darum gegangen, den in Not geratenen Menschen in den Hochwassergebieten zu helfen.
Doch die Opposition in Rheinland-Pfalz ließ die Aussagen nicht gelten. „Die Ministerin hatte ihr Haus während des Flutgeschehens nicht im Griff, weil sie sich nicht entsprechend kümmerte“, lautet der Vorwurf der CDU RheinlandPfalz, die von Kanzler Scholz eine Entlassung der Bundesministerin forderte.
Die Ministerin steht unter Druck. Offiziell hat sich niemand aus der Berliner Ministerriege gegen sie gestellt, auch aus der Spitze ihrer Partei nicht. Aber es fragen sich in Berlin doch einige, auch Parteifreunde, wie sie so agieren konnte. Die Zuschreibung „ungeschickt“ist noch der freundlichste Ausdruck, von „völliger politischer Instinktlosigkeit“ist auch in der Ampel die Rede. Bei der CDU sowieso, wobei dort immer auch eine Rolle spielt, dass das medial aufgegriffene Lachen des damaligen Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Flutgebiet als Meilenstein der Niederlage der Union im Kampf um das Kanzleramt gilt. Umso empörter gibt man sich nun mit Blick auf die Fehlleistungen Spiegels, die man öffentlich nicht entsprechend kommentiert sieht.
Spiegel jedenfalls ist in ihrem Amt geblieben, wirbt am Freitag für die Vorhaben, die sie von den 12,6 Milliarden Euro, welche ihr für Ausgaben zurVerfügung stehen, finanzieren will.
Doch sie ist politisch angeschlagen in einer Zeit, in der sie als Ressortchefin eigentlich dominant auftreten müsste. Sie muss diskutieren und ringen um ihre Themen wie etwa das ehrgeizige Projekt der Kindergrundsicherung. Es wird viele Runden mit den Finanzpolitikern der Ampelregierung, allen voran FDP-Finanzminister Christian Lindner, geben. Ausgang ungewiss. Für Anne Spiegel jedenfalls waren die ersten 100 Tage im Amt schwierig – sie muss um ihren guten Ruf in der Hauptstadt kämpfen.