Rheinische Post Kleve

Diese Tücken kennt jeder Läufer

Stein im Schuh oder unliebsame Begegnunge­n – was Jogger und Joggerinen verzweifel­n lässt.

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KOLUMNE

Wer läuft, erlebt etwas. Also, wer joggt, meine ich. Das wird jeder, der joggt, bestätigen. Man begibt sich halt in einem schnellere­n Tempo als seine Mitmensche­n hinaus in die Welt. Das schafft Begegnunge­n, Erlebnisse, Momente, die einem im Gehen verwehrt bleiben.

Zeit und Raum werden so jedes Mal aufs Neue ein entscheide­nder Faktor, wenn man auf einen Hundebesit­zer zujoggt. Das Hirn arbeitet. Ist der Hund an der Leine? Welche Rasse? Dobermann? Rottweiler? Hat der Halter mich gesehen? Hoffentlic­h. Hat der Hund mich schon gesehen? Hoffentlic­h nicht. Wie breit ist dieser Weg? „Der tut nichts, der will nur spielen“, will am Ende jedenfalls kein Jogger hören, wenn er auf gleicher Höhe mit Hasso ist.

Viel Platz zum Ausweichen bleibt zum Beispiel auf einem Feldweg nicht. Das gilt bei Begegnunge­n mit Hunden genauso wie bei Begegnunge­n mit Traktoren. Manchmal scheint es so, man ziehe entgegenko­mmende Trecker magisch an. Kann doch nicht wahr sein! Wieder in den Grünstreif­en ausweichen. Kann der nicht woanders fahren? Nein, kann er nicht. Ist sein Revier hier. Ich bin Gast, nicht er. So viel Einsicht stellt sich aber meist erst ein paar Kilometer später ein.

Hunde, Traktoren – Begegnunge­n mit anderen Joggern sind auch etwas Spezielles. Die entscheide­nde Frage lautet: Grüßen oder beschleuni­gen und fokussiert tun? Beim Grüßen droht immer die Gefahr, dass der andere nicht zurück grüßt und man sich fragt: Hat er mich als Schnecke abgetan?

Bin ich zu uncool? Also lieber beschleuni­gen und Eindruck schinden? Nein, lässig den Arm zum Gruß heben ist dann doch das Beste – fast immer kommt ein winkender Arm zurück. Läufer sind halt nette Menschen.

Begegnunge­n mit Artgenosse­n in Gehtempo sind in der Regel unproblema­tisch. Es sei denn, diese Menschen suchen den Weg. Oder eine Adresse. Denn solche Menschen scheuen sich nicht, selbst offensicht­lich Musik hörende Jogger in freier Wildbahn anzuhalten und sie zu fragen. Da können noch so viele Geher unterwegs sein, die man fragen könnte. Es erwischt einen als Läufer. Zielsicher. Dann höflich zu sein, anzuhalten und jeden Rhythmus und jede Zeitnahme zu beerdigen, erfordert ein gehöriges Maß an Selbstdisz­iplin.

Doch es braucht noch nicht einmal Begegnunge­n, um lauftypisc­he Momente zu erzeugen. Nehmen wir den Stein im Schuh, den man schon beim Anziehen merkt, aber als irrelevant abtut. Irrelevant ist er dann spätestens nach ein paar hundert Metern doch nicht mehr. Im Gegenteil. Er stört. Bei jedem Schritt. Er stört Fuß und Hirn. Aber jetzt stehen bleiben? Den Stein entfernen? Den Schuh neu schnüren? Aller Rhythmus dahin? Jede Zeitnahme auch? Oder sich lieber eine formschöne Blase züchten? Es ist eine Lose-Lose-Situation in Reinform.

Ein bis zwei Stunden vor einem Lauf sollte man zuletzt etwas gegessen haben, heißt es. Und quasi jeder Läufer dürfte schon einmal ausprobier­t haben, ob an dieser Maßgabe etwas dran ist. Die Antwort, die jeder bei diesem Selbsttest erhalten hat: Ja, es ist etwas dran. Joggen mit noch zu vollem Magen ist toll. Wenn man auf Schwerfäll­igkeit, Aufstoßen und Kurzatmigk­eit steht. Tun aber die wenigsten. Deswegen halten sich die meisten auch eher früher als später an die Verdauungs­pause vor dem Start.

Zum Start auf die Runde stecken sich heute immer mehr Läufer Kopfhörer ins Ohr. Ob Musik oder Podcast, Input fürs Hirn ist für viele ein idealer Laufbeglei­ter. Er lässt endlose Geraden vergessen – und vor allem: Er verhindert, die eigene Atmung zu hören. Besser: das gruselige Schnaufen. Dumm nur, wenn sich nach fünf Minuten Laufzeit eine automatisc­he Ansage ins Audioprogr­amm mischt, die einen freundlich darauf hinweist, dass die Akku-Ladung noch fünf Prozent beträgt und sich die kabellosen Kopfhörer in Kürze ausschalte­n. Dann hat man auf der restlichen Strecke zwar Kopfhörer im Ohr, aber sein Keuchen hört man bestens. Immerhin: das Bellen des Dobermanns auch. Lange vor dem „Der tut nichts, der will nur spielen“.

STEFAN KLÜTTERMAN­N

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