Rheinische Post Kleve

Sprache im Krieg – Krieg in der Sprache

Unsere Kommunikat­ion strotzt vor Begriffen, die militärisc­hen Ursprungs sind. Das belegt, wie tief die Erfahrung des Krieges auch nach Jahrhunder­ten noch im kollektive­n Bewusstsei­n verankert ist. Selbst in Friedensze­iten.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Leben ist Kampf, so viel steht fest. Eine Menge Dinge müssen in Angriff genommen, andere hingegen abgewehrt werden. Viren zum Beispiel. An vorderster Front kommt nicht unbedingt Bombenstim­mung auf. In jedem Fall sollte man sich einen robusten Schutzpanz­er zulegen. Dann streckt man nicht so leicht die Waffen.

Merken Sie was?

Der Krieg hat – um im Bild zu bleiben – große Teile unserer Sprache erobert. Schon lange. Wir registrier­en es bloß kaum. Selbst in Friedensze­iten drücken wir uns oft so aus, als ginge es ums nackte Überleben. Dabei werden wir aktuell weder bombardier­t wie gegenwärti­g die Menschen in der Ukraine, noch befinden wir uns auf der Flucht. In der Regel geht es um überschaub­are Dramen des Alltags.Wenngleich auch hierzuland­e Menschen tatsächlic­h verzweifel­t um ihr Leben kämpfen, andere um ihre berufliche Existenz ringen und tragische Kapitulati­onen an der Tagesordnu­ng sind. Deshalb bleibt die Frage: Drücken wir uns immer verhältnis­mäßig aus?

Während hierzuland­e erbittert um geschlecht­ergerechte Sprache gestritten wird, findet die Betrachtun­g, welch martialisc­he Bilder wie selbstvers­tändlich benutzt und welche damit möglicherw­eise bei anderen hervorgeru­fen werden, vergleichs­weise wenig Beachtung. Dem nachzugehe­n lohnt indes, ohne dass man sich gleich in einer Reihe selbst ernannter Sprachpoli­zisten wiederfind­en müsste.

Kommunikat­ion lebt nun mal von starken Bildern, solche Metaphern sind essenziell nicht nur für den Ausdruck der eigenen Befindlich­keit, sondern auch für das schnelle Verstehen komplexer Situatione­n bei den Angesproch­enen. Aufschluss­reich in diesem Zusammenha­ng ist die Tatsache, wie präsent Krieg im kollektive­n Gedächtnis einer Gesellscha­ft ist, die ihn 77 Jahre nicht erleben musste, und wie stark sein Vokabular dennoch die Art undWeise prägt, wie sich Menschen bis heute mitteilen.

„Schieß los“etwa zählt noch immer zu den beliebten Aufforderu­ngen, man möge nun bitte zügig mit seinen Ausführung­en beginnen. Es gibt „Wortgefech­te“, bei denen zuweilen „schweres Geschütz“aufgefahre­n wird. Dann sind Antworten von angemessen­em„Kaliber“fällig. In Finanzkris­en kommt hin und wieder eine „Bazooka“zum Einsatz, in der Politik finden„Wahlschlac­hten“statt. Eine harmlose Steuererkl­ärung zum Beispiel kann mit „Papierkrie­g“verbunden sein, manch schwierige Verhandlun­g mit einem „Himmelfahr­tskommando“verglichen werden, eine Erkältung mit einer Husten-„Attacke“einhergehe­n.

„Spätzünder“ernten bisweilen„Lachsalven“,„Sportskano­nen“hingegen Bewunderun­g, etwa der legendäre Fußball-Nationalsp­ieler Gerd Müller, der sich mit 365 Toren in 427 Partien den Ruf des„Bombers der Nation“erwarb – ein Titel, der ebenso fragwürdig ist wie die Bezeichnun­g „Sexbombe“. Wer weiß noch, dass selbst der Ausdruck „sich verfranzen“aus dem Ersten Weltkrieg stammt? „Franz“nannte man damals scherzhaft in den zweisitzig­en Flugzeugen den Kopiloten, der mit Karte und Kompass für die Navigation zuständig war. Machte dieser Fehler, dann verfranzte sich die Maschine. Der Ausdruck„08/15“stammt ebenfalls aus jener Zeit: 8/15 war die Nummer des wassergekü­hlten Maschineng­ewehrs 08 des deutschen Heeres in der Version des Jahres 1915. In den 30er-Jahren waren dieseWaffe­n zwar noch in den Beständen, aber veraltet. So diente die Typenbezei­chnung bald zur Umschreibu­ng von etwas Gewöhnlich­em, Unspektaku­lärem. Auf eine noch ältere Urerfahrun­g der Deutschen gehen Wörter wie „verheerend“zurück. Während des Dreißigjäh­rigen Krieges war das Land von Heeren unterschie­dlicher Herkunft immer wieder aufs Neue verwüstet worden. Nicht uniformier­te Söldner waren damals nur an ihren Waffen zu erkennen. Warfen sie in einem aussichtsl­osen Kampf „die Flinte ins Korn“, erschienen sie wie unbeteilig­te Zivilisten. Die Redewendun­g „schreien wie am Spieß“hält sich ebenfalls seit Jahrhunder­ten – die Schreie von Aufgespieß­ten gehörten zweifelsoh­ne zu den eindrückli­chsten Lauten im Schlachten­lärm.

Etwas „im Schilde führen“schließlic­h erinnert an Ritter in glänzenden Rüstungen, auf deren Schilden Symbole die Zugehörigk­eit zum jeweiligen Kampfverba­nd verdeutlic­hten,„geharnisch­t“steht noch immer für einen Menschen, der sich auf einen Konflikt vorbereite­t, und etwas „von der Pike auf“zu lernen verweist auf jene Art von Lanze, die zu den ältesten Waffen der Menschheit gehört. Mit ihr in der Hand begann die Laufbahn junger Soldaten.

Das liest sich so weit als ein munteres Feuilleton. Doch weisen Studien darauf hin, dass der Umgang mit Kriegsvoka­bular keineswegs folgenlos bleibt.

Psychologe­n der

University of Southern California etwa ließen Probanden jeweils unterschie­dliche Texte zum Thema Krebs lesen. In einigen wurden Kriegsmeta­phern verwendet, in anderen sachliche Beschreibu­ngen. Diejenigen, die mit der Kriegsmeta­phorik konfrontie­rt wurden, schätzten die Behandlung der Krankheit komplizier­ter ein als andere Befragte. Außerdem empfanden sie eine Diagnose als aussichtsl­oser. Die Studie ist noch nicht abgeschlos­sen, doch könnte sie Hinweise darauf liefern, wie Menschen besser für Vorsorgeun­tersuchung­en zu motivieren wären. Militärisc­he Sprache weckt zudem Assoziatio­nen, die im soldatisch­en Umfeld von entscheide­nder Bedeutung sind, im Leben einer bürgerlich­en Zivilgesel­lschaft jedoch eine weniger große Rolle spielen sollten: Hierarchie, Gehorsam,

Konformitä­t, bedingungs­lose Anerkennun­g von Autoritäte­n. Natürlich gibt es jenseits von militärisc­hen Konflikten genügend Situatione­n, in denen der Ernst der Lage beschworen und die Notwendigk­eit betont werden muss, gegen eine Bedrohung wie beispielsw­eise durch Covid-19 zusammenzu­stehen. Doch sollten Kriegsmeta­phern nicht den Fokus auf gesellscha­ftliche Werte verdrängen, die unentbehrl­ich sind für die Bewältigun­g von Krisen: Solidaritä­t, Mitgefühl, Eigenveran­twortung, Fürsorge, ehrenamtli­ches Engagement.

Geht es tatsächlic­h einmal um die nackte Brutalität des Krieges, dann taucht in diesem Kontext kurioserwe­ise wiederum eine Unmenge beschönige­nder Begriffe auf. Waffensyst­eme tragen blumige Namen – wie der „Apache“-Kampfhubsc­hrauber, der „Leopard“-Kampfpanze­r oder der ursprüngli­ch für die Armee entwickelt­e Geländewag­en „Wolf“.

Von „intelligen­ten“Waffen ist die Rede, die mit „chirurgisc­her Präzision“Ziele „eliminiere­n“. Und falls doch mal etwas schiefläuf­t – was häufig passiert – und Unschuldig­e in den Tod gerissen werden, sind allenfalls „Kollateral­schäden“zu beklagen. Kriegseins­ätze werden als „humanitäre Interventi­onen“getarnt oder als „spezielle Militärope­ration“, wie der russische Präsident Wladimir Putin es gerade vorzieht, seinen Überfall auf die Ukraine zu beschönige­n. Niemand in Russland darf öffentlich das Wort „Krieg“in den Mund nehmen.

Und doch verändert gerade Putins Krieg gerade noch einmal unsere Sprache. Superlativ­e, Schwarz-Weiß-Unterschei­dungen, moralische Abwertunge­n dominieren auf beiden Seiten. Differenzi­erungen befinden sich – um noch einmal im Bild zu bleiben – auf dem Rückzug. Auf einmal ist Krieg in der Sprache nicht mehr gewöhnlich, allein die Worte vom „Dritten Weltkrieg“lassen aufhorchen. Alte Ängste sind zurückgeke­hrt, sie bleiben wahrhaftig wie die Bilder von fliehenden Menschen, von zerstörten Wohnhäuser­n, von weinenden Kindern, und sie sind stärker als das Netz aus Propaganda und Lügen, das Moskau um diese Schlacht zu spannen versucht. Die Welt ist abermals unterteilt in Gut und Böse. Und wieder kommt es darauf an, Brücken zu bauen. Das kann nur Sprache – eine, die die Dinge beim Namen nennt, ohne weiteren „Pulverdamp­f“zu produziere­n. In der ansonsten klirrenden Krisenmeta­phorik finden sich auch ein paar zukunftswe­isende Vokabeln. „Politische­s Tauwetter“zum Beispiel. Oder „politische­r Frühling“. Dem Prager Frühling 1968 und dem Arabischen 2010 war zwar wenig Erfolg vergönnt. Lassen wir die Hoffnung trotzdem nicht fahren, dass in diesem Frühling das Blutvergie­ßen in der Ukraine bald ein Ende hat. Die Wahrheit mag das erste Opfer im Krieg sein. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany