Sprache im Krieg – Krieg in der Sprache
Unsere Kommunikation strotzt vor Begriffen, die militärischen Ursprungs sind. Das belegt, wie tief die Erfahrung des Krieges auch nach Jahrhunderten noch im kollektiven Bewusstsein verankert ist. Selbst in Friedenszeiten.
Leben ist Kampf, so viel steht fest. Eine Menge Dinge müssen in Angriff genommen, andere hingegen abgewehrt werden. Viren zum Beispiel. An vorderster Front kommt nicht unbedingt Bombenstimmung auf. In jedem Fall sollte man sich einen robusten Schutzpanzer zulegen. Dann streckt man nicht so leicht die Waffen.
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Der Krieg hat – um im Bild zu bleiben – große Teile unserer Sprache erobert. Schon lange. Wir registrieren es bloß kaum. Selbst in Friedenszeiten drücken wir uns oft so aus, als ginge es ums nackte Überleben. Dabei werden wir aktuell weder bombardiert wie gegenwärtig die Menschen in der Ukraine, noch befinden wir uns auf der Flucht. In der Regel geht es um überschaubare Dramen des Alltags.Wenngleich auch hierzulande Menschen tatsächlich verzweifelt um ihr Leben kämpfen, andere um ihre berufliche Existenz ringen und tragische Kapitulationen an der Tagesordnung sind. Deshalb bleibt die Frage: Drücken wir uns immer verhältnismäßig aus?
Während hierzulande erbittert um geschlechtergerechte Sprache gestritten wird, findet die Betrachtung, welch martialische Bilder wie selbstverständlich benutzt und welche damit möglicherweise bei anderen hervorgerufen werden, vergleichsweise wenig Beachtung. Dem nachzugehen lohnt indes, ohne dass man sich gleich in einer Reihe selbst ernannter Sprachpolizisten wiederfinden müsste.
Kommunikation lebt nun mal von starken Bildern, solche Metaphern sind essenziell nicht nur für den Ausdruck der eigenen Befindlichkeit, sondern auch für das schnelle Verstehen komplexer Situationen bei den Angesprochenen. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, wie präsent Krieg im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft ist, die ihn 77 Jahre nicht erleben musste, und wie stark sein Vokabular dennoch die Art undWeise prägt, wie sich Menschen bis heute mitteilen.
„Schieß los“etwa zählt noch immer zu den beliebten Aufforderungen, man möge nun bitte zügig mit seinen Ausführungen beginnen. Es gibt „Wortgefechte“, bei denen zuweilen „schweres Geschütz“aufgefahren wird. Dann sind Antworten von angemessenem„Kaliber“fällig. In Finanzkrisen kommt hin und wieder eine „Bazooka“zum Einsatz, in der Politik finden„Wahlschlachten“statt. Eine harmlose Steuererklärung zum Beispiel kann mit „Papierkrieg“verbunden sein, manch schwierige Verhandlung mit einem „Himmelfahrtskommando“verglichen werden, eine Erkältung mit einer Husten-„Attacke“einhergehen.
„Spätzünder“ernten bisweilen„Lachsalven“,„Sportskanonen“hingegen Bewunderung, etwa der legendäre Fußball-Nationalspieler Gerd Müller, der sich mit 365 Toren in 427 Partien den Ruf des„Bombers der Nation“erwarb – ein Titel, der ebenso fragwürdig ist wie die Bezeichnung „Sexbombe“. Wer weiß noch, dass selbst der Ausdruck „sich verfranzen“aus dem Ersten Weltkrieg stammt? „Franz“nannte man damals scherzhaft in den zweisitzigen Flugzeugen den Kopiloten, der mit Karte und Kompass für die Navigation zuständig war. Machte dieser Fehler, dann verfranzte sich die Maschine. Der Ausdruck„08/15“stammt ebenfalls aus jener Zeit: 8/15 war die Nummer des wassergekühlten Maschinengewehrs 08 des deutschen Heeres in der Version des Jahres 1915. In den 30er-Jahren waren dieseWaffen zwar noch in den Beständen, aber veraltet. So diente die Typenbezeichnung bald zur Umschreibung von etwas Gewöhnlichem, Unspektakulärem. Auf eine noch ältere Urerfahrung der Deutschen gehen Wörter wie „verheerend“zurück. Während des Dreißigjährigen Krieges war das Land von Heeren unterschiedlicher Herkunft immer wieder aufs Neue verwüstet worden. Nicht uniformierte Söldner waren damals nur an ihren Waffen zu erkennen. Warfen sie in einem aussichtslosen Kampf „die Flinte ins Korn“, erschienen sie wie unbeteiligte Zivilisten. Die Redewendung „schreien wie am Spieß“hält sich ebenfalls seit Jahrhunderten – die Schreie von Aufgespießten gehörten zweifelsohne zu den eindrücklichsten Lauten im Schlachtenlärm.
Etwas „im Schilde führen“schließlich erinnert an Ritter in glänzenden Rüstungen, auf deren Schilden Symbole die Zugehörigkeit zum jeweiligen Kampfverband verdeutlichten,„geharnischt“steht noch immer für einen Menschen, der sich auf einen Konflikt vorbereitet, und etwas „von der Pike auf“zu lernen verweist auf jene Art von Lanze, die zu den ältesten Waffen der Menschheit gehört. Mit ihr in der Hand begann die Laufbahn junger Soldaten.
Das liest sich so weit als ein munteres Feuilleton. Doch weisen Studien darauf hin, dass der Umgang mit Kriegsvokabular keineswegs folgenlos bleibt.
Psychologen der
University of Southern California etwa ließen Probanden jeweils unterschiedliche Texte zum Thema Krebs lesen. In einigen wurden Kriegsmetaphern verwendet, in anderen sachliche Beschreibungen. Diejenigen, die mit der Kriegsmetaphorik konfrontiert wurden, schätzten die Behandlung der Krankheit komplizierter ein als andere Befragte. Außerdem empfanden sie eine Diagnose als aussichtsloser. Die Studie ist noch nicht abgeschlossen, doch könnte sie Hinweise darauf liefern, wie Menschen besser für Vorsorgeuntersuchungen zu motivieren wären. Militärische Sprache weckt zudem Assoziationen, die im soldatischen Umfeld von entscheidender Bedeutung sind, im Leben einer bürgerlichen Zivilgesellschaft jedoch eine weniger große Rolle spielen sollten: Hierarchie, Gehorsam,
Konformität, bedingungslose Anerkennung von Autoritäten. Natürlich gibt es jenseits von militärischen Konflikten genügend Situationen, in denen der Ernst der Lage beschworen und die Notwendigkeit betont werden muss, gegen eine Bedrohung wie beispielsweise durch Covid-19 zusammenzustehen. Doch sollten Kriegsmetaphern nicht den Fokus auf gesellschaftliche Werte verdrängen, die unentbehrlich sind für die Bewältigung von Krisen: Solidarität, Mitgefühl, Eigenverantwortung, Fürsorge, ehrenamtliches Engagement.
Geht es tatsächlich einmal um die nackte Brutalität des Krieges, dann taucht in diesem Kontext kurioserweise wiederum eine Unmenge beschönigender Begriffe auf. Waffensysteme tragen blumige Namen – wie der „Apache“-Kampfhubschrauber, der „Leopard“-Kampfpanzer oder der ursprünglich für die Armee entwickelte Geländewagen „Wolf“.
Von „intelligenten“Waffen ist die Rede, die mit „chirurgischer Präzision“Ziele „eliminieren“. Und falls doch mal etwas schiefläuft – was häufig passiert – und Unschuldige in den Tod gerissen werden, sind allenfalls „Kollateralschäden“zu beklagen. Kriegseinsätze werden als „humanitäre Interventionen“getarnt oder als „spezielle Militäroperation“, wie der russische Präsident Wladimir Putin es gerade vorzieht, seinen Überfall auf die Ukraine zu beschönigen. Niemand in Russland darf öffentlich das Wort „Krieg“in den Mund nehmen.
Und doch verändert gerade Putins Krieg gerade noch einmal unsere Sprache. Superlative, Schwarz-Weiß-Unterscheidungen, moralische Abwertungen dominieren auf beiden Seiten. Differenzierungen befinden sich – um noch einmal im Bild zu bleiben – auf dem Rückzug. Auf einmal ist Krieg in der Sprache nicht mehr gewöhnlich, allein die Worte vom „Dritten Weltkrieg“lassen aufhorchen. Alte Ängste sind zurückgekehrt, sie bleiben wahrhaftig wie die Bilder von fliehenden Menschen, von zerstörten Wohnhäusern, von weinenden Kindern, und sie sind stärker als das Netz aus Propaganda und Lügen, das Moskau um diese Schlacht zu spannen versucht. Die Welt ist abermals unterteilt in Gut und Böse. Und wieder kommt es darauf an, Brücken zu bauen. Das kann nur Sprache – eine, die die Dinge beim Namen nennt, ohne weiteren „Pulverdampf“zu produzieren. In der ansonsten klirrenden Krisenmetaphorik finden sich auch ein paar zukunftsweisende Vokabeln. „Politisches Tauwetter“zum Beispiel. Oder „politischer Frühling“. Dem Prager Frühling 1968 und dem Arabischen 2010 war zwar wenig Erfolg vergönnt. Lassen wir die Hoffnung trotzdem nicht fahren, dass in diesem Frühling das Blutvergießen in der Ukraine bald ein Ende hat. Die Wahrheit mag das erste Opfer im Krieg sein. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.