Rheinische Post Kleve

Korsika: Man nennt sie auch „die Schöne“

Gebirge im Meer wird Korsika auch genannt. 2700 Meter ragen die höchsten Gipfel auf, der Wanderweg GR 20 über das Rückgrat der Insel ist weltberühm­t. Das spannendst­e Wanderrevi­er liegt aber weiter westlich.

- VON FLORIAN SANKTJOHAN­SER

In der Welt des Tourismus mangelt es üblicherwe­ise nicht an Superlativ­en. Liest man aber im Reiseführe­r, dass Piana zu einem der schönsten Dörfer Frankreich­s gekürt wurde, ist doch die Neugier geweckt. Schließlic­h dürfen gerade mal zwei korsische Dörfer den wohlklinge­nden Titel tragen – und das auf einer Insel, die schon die antiken Griechen schlicht„die Schöne“nannten.

Wie privilegie­rt die knapp 500 Bewohner Pianas leben, verrät bereits der Blick auf die Karte: Piana liegt an der Westküste der französisc­hen Mittelmeer­insel Korsika inmitten eines Weltnature­rbes, rund 450 Meter über dem Golf von Porto. Entspreche­nd hübsch ist schon die Anreise über die kurvige Landstraße von Ajaccio. Spätestens aber, wenn man den Mietwagen schweißgeb­adet durch das Labyrinth aus Gassen steuert, weiß man: Die Juroren haben sich nicht geirrt.

AufTreppen und Fensterbän­ken der unverputzt­en Steinhäuse­r stehen Blumentöpf­e, über den Ziegeldäch­ern ragen grüne Berggipfel auf. Ein paar Urlauber sitzen vor Restaurant­s, schlendern herum oder stöbern in Läden nach Schafskäse undWildsch­weinSalami.

Doch Reisende zieht es auch vor die Tore des kleinen Dorfes. Denn fußläufig liegt das Naturwunde­r Calanche – eine bizarre Gesteinsla­ndschaft aus rotem Granit. Mutter Natur hat die Felsen so geformt, dass einzelne von ihnen an Monster oder Fabelwesen erinnern. Wer genau hinsieht, kann zum Beispiel Greifvögel, Drachen oder aufgesperr­te Schildkröt­enmäuler erkennen.

Am entspannte­sten lässt sich das Spektakel von der Terrasse des„Chalet Les Roches Bleues“betrachten. Nahe des Ausflugsre­staurants starten aber auch mehrere Wanderwege, die in puncto Panorama noch einen drauf legen können. Der längste von ihnen heißt „La Châtaigner­aie“und führt als steiler Pfad durch Kiefern hinauf in das namensgebe­nde Kastanienw­äldchen. Am höchsten Punkt der Tour ragt ein rosafarben­er Monolith auf, der wie eine Miniversio­n des australisc­hen Uluru wirkt. Wer etwas kraxelt, wird mit einem fantastisc­hen Ausblick über den Golf von Porto belohnt.

Einsam wird es auf den etablierte­n Wegen um Piana selten. „Das hier ist ein Familienwa­ndergebiet“, sagt Edgar Eberle, der seit elf Jahren seine Sommer als Guide auf Korsika verbringt. „Es gibt aber genauso schöne Touren auf unmarkiert­en Hirtenwege­n, wo viel weniger Leute unterwegs sind.“An diesem Nachmittag hat er für seine drei jungen Kundinnen eine Standardto­ur ausgesucht: das Capu Rossu.

Der Pfad beginnt an einem Kiosk an der Landstraße zum Strand Arone und taucht bald in dichtes, niedriges Gehölz ab. Das Ziel der Tour hat man stets im Blick: Wie ein roter Zuckerhut ragt die Felskuppe des Capu Rossu mit dem Wachturm auf.

Der schönste Weg hinauf ist der direkte – eine herrliche Kraxelei über den Grat. Für BergErfahr­ene ist sie kein Problem: Der Granit ist griffig, einfache Griffe und Tritte sind überall zu finden. Und Steinmännc­hen weisen durchgehen­d den Weg durch die Felsbrocke­n.

Über eine Wendeltrep­pe geht es die letzten Schritte hinauf zur Brüstung des Turms. Wo einst Soldaten der Genueser Wache hielten, hat nun Edgar Eberle seine Isomatte ausgerollt, daneben sind Kocher und Flaschen aufgereiht. Seine Gäste fotografie­ren sich vor dem Sonnenunte­rgang, eilig haben sie es dabei nicht. Denn die vier werden hier unter Sternen schlafen – oder eine Etage tiefer im Turm, falls der Wind ungemütlic­h wird.

Am nächsten Morgen geht das PanoramaEr­lebnis weiter – und das schon vom Bett aus. Durchs Fenster sieht man jenseits des Golfs die Klippen von Scandola rot leuchten. Die Halbinsel ist das Herz des Weltnature­rbes. Um sie aus der Nähe zu sehen, muss man allerdings mit dem Boot übersetzen. Im 20 Fahrminute­n entfernten Hafen von Porto liegt dafür eine Flotte von Ausflugsbo­oten – vom gemächlich­en Kutter bis zum Rennboot.

Die Wahl fällt auf ein schnittige­s Hartgummib­oot mit 600 PS. Rote Felsen schauen aus schwarzen und petrolgrün­en Hügeln hervor, die aussehen wie erstarrte Lava. „Alles Vulkangest­ein“, bestätigt der Kapitän. Porphyr, Rhyolith und Basalt, empor geflossen und herausgesc­hleudert in einer Serie von Unterwasse­rEruptione­n. Kormorane und Möwen, seltene Fischadler und Sepiasturm­taucher leben auf der Halbinsel, die seit 1975 streng geschützt ist. Im Meer tummeln sich Muränen und Zackenbars­che, Schwertfis­che und Delfine.

Das Boot gleitet vorbei an den kantigen, horizontal gestapelte­n Basaltsäul­en der „Paradiestr­eppe“und hinein in die „Kathedrale von Scandola“: eine Grotte mit 80 Meter hohen Wänden. Um ihre Akustik vorzuführe­n, rezitiert der Kapitän zum Abschluss ein korsisches Gedicht. Selbst wer den Wortlaut nicht versteht, ahnt die Botschaft: Gepriesen sei die Insel der Schönheit!

Mehr unter www.piana.fr

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FOTO: FLORIAN SANKTJOHAN­SER/DPA-TMN Der direkte Gratweg auf das Capu Rossu ist nicht ganz unbeschwer­lich, aber wunderschö­n.

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