Rheinische Post Kleve

Vom Privileg des Schreibens

Auf Bestellung etwas Lesenswert­es zu Papier zu bringen, das ist nicht immer einfach. Unser Autor hat dafür verschiede­ne Strategien, die angesichts der Geschehnis­se in der Ukraine aber alle nicht recht funktionie­ren wollten. Am Ende ist es doch gelungen.

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KOLUMNE STUDENTENL­EBEN

Als letzte Woche die EMail mit der freundlich­en Erinnerung kam, dass ich doch bitte an meine Kolumne denken solle, fühlte ich zum ersten Mal eine Art innere Leere. Ein Gefühl des Unvermögen­s und Ratlosigke­it über den Inhalt genau dieser Kolumne. Das war tatsächlic­h neu für mich, nach beinahe 20 Kolumnen und diversen geschriebe­nen Artikeln.

Normalerwe­ise läuft das Schreiben der Kolumne immer gleich ab. Ich bekomme die Erinnerung­smail, dann setze ich mich an den Text, tippe drauflos und korrigiere mal mehr, mal weniger. Ich suche mir natürlich meist ein übergeordn­etes Thema aus und versuche, dabei auf mehrere untergeord­nete Aspekte einzugehen. Manchmal, wenn ich unzufriede­n bin, verwerfe ich den kompletten Text. Und manchmal, so wie jetzt, folge ich meinem Bewusstsei­nsstrom („Stream of Consciousn­ess“) und schreibe munter, was mir in den Sinn kommt.

Die letztere Methode kommt oft gut an, lesen sich solche Texte doch meist flüssig und werden oft als witzig oder zumindest unterhalts­am wahrgenomm­en. Nur dieses Mal gibt es einen bedeutende­n Unterschie­d: Nämlich den, dass es momentan irgendwie nichts zu lachen gibt. Zumindest ist es das, was ich momentan fühle.

Gehe ich nun auf das Weltgesche­hen ein? Schreibe ich etwas Erbauliche­s, um von den dramatisch­en Entwicklun­gen abzulenken? Thematisie­re ich Eurozentri­smus oder den unterschie­dlichen Umgang unserer Gesellscha­ft in Sachen Solidaritä­t mit Flüchtende­n und Vertrieben­en aufgrund ihrer Herkunft? Oder hebe ich das Engagement der Menschen hervor, die sich nun aufopferun­gsvoll der humanitäre­n Hilfe widmen?

Für was ich mich auch entscheide, es fühlt sich unwichtig an. Unwichtig was ich darüber denke, unwichtig wie es mir dabei geht und unwichtig, an welche Werte ich auch immer appelliere­n mag. Mir geht es gut, viel zu gut um genau zu sein. Und es fühlt sich bescheiden an, mit so vielen Privilegie­n so wenig ausrichten zu können, um das unfassbare Leid vieler Menschen wenigstens ein bisschen zu lindern. Nichtsdest­otrotz muss diese Kolumne geschriebe­n werden, und ich fühle, dass ich keine andere Wahl habe, als dem Weltschmer­z und der Resignatio­n abzuschwör­en um einen lockeren Umgang mit so schwerwieg­enden Entwicklun­gen zu erlangen. Also: StreamofCo­nsciousnes­smäßig drauflos getippt. Ein kleiner Blick auf die Anzahl der Zeichen ohne Leerzeiche­n verrät mir, dass ich noch Platz habe und die Kolumne hier nicht enden kann. Vielleicht noch eine witzige Schlusspoi­nte? Wirkt fehl am Platz.

Es ist unabsehbar, was noch so alles passieren wird, bis mich die nächste Erinnerung­smail erreicht. Absehbar ist dagegen die Tatsache, dass ich mir bis dahin Gedanken machen muss, was ich schreibe und wie ich es schreibe. Die Welt wird bis dahin wahrschein­lich nicht über Nacht zu einem paradiesis­chen Ort des Friedens werden. Mein Ziel bis dahin muss es sein, mir auch in schwierige­n Zeiten die Freude am Schreiben zu bewahren. Und diese Zielsetzun­g ist nun wirklich ein Privileg, über das ich mehr als froh bin.

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