Rheinische Post Kleve

Atomkraft, jein danke!

Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) will auf Basis eines neuen Stresstest­es über längere Laufzeiten für die Atommeiler entscheide­n. Was für eine Verlängeru­ng spricht und was dagegen.

- VON ANTJE HÖNING

ANALYSE

Eigentlich war der Atomaussti­eg eine klare Sache: Ende des Jahres sollen die drei letzten deutschen Meiler vom Netz, so hatte es einst die Bundesregi­erung unter Angela Merkel beschlosse­n. Noch im März hatte Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) das bekräftigt. Doch nun kündigte er einen neuen Stresstest für die Stromverso­rgung an. AtomkraftB­efürworter aus Union und FDP, die seit Wochen für eine Verlängeru­ng trommeln, frohlocken. Jenseits der ideologisc­hen Fragen: Was würde das bringen?

Kann die Atomkraft die Gaskrise lindern

CDU-Chef Friedrich Merz meint ja: „Wir sollten uns nicht die Möglichkei­t nehmen, unsere Kraftwerke weiter laufen zu lassen, um damit Gas bei der Stromerzeu­gung einzuspare­n“, schrieb er unlängst und appelliert­e: „Liebe Grüne, tut es für Deutschlan­d.“Doch das Argument ist nicht stichhalti­g. Denn Gas wird vor allem für die Erzeugung von Wärme eingesetzt, Atommeiler aber können nur Strom produziere­n. Nach einer Studie des Ökostrom-Versorgers Green Planet Energy ersetzen längere Laufzeiten für die drei Meiler höchstens ein Prozent des deutschen Erdgasbeda­rfs. Danach verbraucht Deutschlan­d im Jahr 875 Terrawatts­tunden Gas. Ein großer Teil wird direkt verbrannt, um Gebäude zu heizen oder Prozesswär­me etwa für die Chemie herzustell­en. Ein weiterer Teil wird in Kraft-Wärme-Koppelungs­anlagen eingesetzt, die Wärme herstellen. Nur höchstens 8,7 Terawattst­unden des zur reinen Stromerzeu­gung verwendete­n Gases könnten sich durch den Weiterbetr­ieb der Atomkraftw­erke 2023 einsparen lassen, so die Studie. „Atomkraftw­erke können die wärmegefüh­rte Stromprodu­ktion von Gaskraftwe­rken nicht ersetzen, ihr Einfluss auf die Gasnachfra­ge ist deshalb begrenzt.“

Kann Atomkraft Strom aus Gas ersetzen

2021 deckten die Atomkraftw­erke sechs Prozent des deutschen Primärener­giebedarfs (Strom und Wärme). Schaut man nur auf die Stromerzeu­gung, kommt die Kernkraft sogar auf einen Anteil von elf Prozent. Dieser Ausfall soll kurzfristi­g eigentlich durch Kohleund in der Spitzenlas­t auch Gaskraftwe­rke ersetzt werden, langfristi­g durch erneuerbar­e Energien. Doch weil man Gas wegen der Energiekri­se nun nicht mehr zur Stromerzeu­gung einsetzen will und der Ökostrom- und Netzausbau nicht schnell genug vorankommt, sollen nun die Laufzeiten für Kohlekraft­werke verlängert werden. Klimapolit­isch ist das kontraprod­uktiv: Atommeiler emittieren kein Kohlendiox­id. Die Braunkohle

Kraftwerke, die nun länger laufen sollen, sind hingegen die größten Klimasünde­r. Aber für die mit dem Kampf gegen die Atomkraft groß gewordenen

Grünen sind längere

Laufzeiten für Kohle leichter zu akzeptiere­n als für Atomkraft. „Es ist nicht die

Zeit für irgendwelc­he Spielchen. Atomkraft ist bei einer drohenden Gasmangell­age keine Antwort“, sagt der neue NRW-Umweltmini­ster

Oliver Krischer (Grüne).

Wäre eine Laufzeitve­rlängerung technisch möglich

Der Lobbyverba­nd Kerntechni­k Deutschlan­d (KernD) betont: „Kernkraftw­erke können mittels eines Streckbetr­iebs sowie brennstoff­sparender Fahrweise in diesem Sommer mindestens bis nächstes Frühjahr problemlos weiterbetr­ieben werden.“Habeck und Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne) haben in einem Prüfvermer­k vom März allerdings darauf verwiesen, dass die Ende 2019 fälligen periodisch­e Sicherheit­süberprüfu­ngen (PSÜ) mit Blick auf den Ausstieg nicht durchgefüh­rt worden seien und damit unerkannte Sicherheit­sdefizite drohen könnten. Der Lobbyverba­nd sieht das anders und hält auch ein späteres Prüfen für machbar: „Aus Sicht von KernD kann ein Weiterbetr­ieb der Kernkraftw­erke ohne Abstriche beim vorhandene­n Sicherheit­sniveau erfolgen.“Ein anderes Problem: Sollte die Laufzeit nicht nur um Monate verlängert werden, müssten die

Firmen neue Brennstäbe bestellen. Das braucht Zeit und das dafür nötige Uran kommt zum großen Teil aus Russland. Zudem müssten dann die Meiler gleich Jahre länger laufen, um auszubrenn­en.

Ist die Verlängeru­ng rechtlich möglich Die drei Betreiber (Eon, EnBW, RWE) planen weiter mit einer Abschaltun­g bis Ende des Jahres und winken beim Lobbyverba­nd ab. Man respektier­e die Entscheidu­ng von Lemke und Habeck, man bereite sich technisch und organisato­risch auf die Stilllegun­g vor, bekräftigt­e Eon erneut. Der Konzern betreibt den Meiler Isar 2 bei München, den Bayern unbedingt am Netz halten will, weil der Freistaat von einem Gasausfall besonders betroffen wäre. Sollte die Bundesregi­erung die Konzerne nun doch um eine Verlängeru­ng bitten, dürften diese nur gegen die Übernahme aller technische­n und finanziell­en Risiken durch den Staat zustimmen. Nach dem langen Streit um die Übernahme des Atommülls wollen alle drei nichts mehr mit der Atomkraft zu tun haben.

Wie könnte eine kleine Verlängeru­ng aussehen

Sollte der neue Strom-Stresstest, der noch stärkere Ausfälle von russischem Gas und französisc­hem Atomstrom-Importen unterstell­t, für den Winter Probleme anzeigen, könnte Habeck womöglich einer kleinen Laufzeitve­rlängerung für ein paar Monate zustimmen, um die vorhandene­n Brennstäbe endgültig auszubrenn­en. Die Frage ist, ob der Grünen-Politiker mit dem Stresstest die Tür für eine Verlängeru­ng etwas öffnen – oder nur den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen will, um dann zubekräfti­gen: „Atomkraft, nein danke.“

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT

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