Rheinische Post Kleve

Akute Herzlosigk­eit

- VON DOROTHEE KRINGS

Kaninchen Oliver hockte am Straßenran­d, verwahrlos­t, ausrangier­t wie Sperrmüll. Auf dem Käfig ein Zettel: „Geschenk“stand darauf. „Entsorgt“hätte es jedoch eigentlich heißen müssen. In der Ferienzeit mehren sich gerade wieder Fälle akuter Herzlosigk­eit. Menschen wollen ungehinder­t Sommerurla­ub machen oder sind ihre Haustiere ohnehin leid. Dann werden Hunde einfach an Parkplätze­n festgebund­en, Kaninchen in Kisten an den Straßenran­d gestellt oder Katzen bei Ebay verschenkt. Gemeinsam ist solchen Haltern, dass sie im Tier anscheinen­d kein Lebewesen mehr sehen, sondern eine Sache.

Appelle gibt es genug, den Haustierka­uf wohl zu überlegen. Tiere kosten Zeit. Tiere kosten Geld. Wenn alles gut läuft, hat man Gefährten fürs Leben. Aber das ist kein Selbstläuf­er. Auch erzieheris­che Anstrengun­gen sind also gefragt. Doch das ist Theorie, bis das Tier angeschaff­t ist. Es bedarf also einer gewissen Abstraktio­nsfähigkei­t, sich die Konsequenz­en eines Tierkaufs klar zu machen. Und gegen einen anderen Impuls abzuwägen, der heute übermächti­g geworden ist: gegen das Habenwolle­n.

Abstrakt zu denken und seine Impulse im Griff zu haben, sind Fähigkeite­n erwachsene­r Menschen. Wie die alljährlic­he Aussetzeri­tis bei Haustieren zeigt, gibt es anscheinen­d aber eine Menge kindischer Tierbesitz­er. Daran würden auch Tierführer­scheine nichts ändern. Selbstrefl­exion und eine aufgeklärt­e Haltung zum Tier lassen sich nicht verordnen.

So unbefriedi­gend es ist: Bewusstsei­n zu schaffen für die Verantwort­ung jedes Tierkaufs bleibt gesellscha­ftliche Aufgabe. Also Herausford­erung für uns alle. Damit möglichst wenig Menschen auf die Idee kommen, man könne Kaninchen einfach an den Straßenran­d stellen wie ein altes Regal – und sich das auch noch als „Geschenk“verkaufen.

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