Akute Herzlosigkeit
Kaninchen Oliver hockte am Straßenrand, verwahrlost, ausrangiert wie Sperrmüll. Auf dem Käfig ein Zettel: „Geschenk“stand darauf. „Entsorgt“hätte es jedoch eigentlich heißen müssen. In der Ferienzeit mehren sich gerade wieder Fälle akuter Herzlosigkeit. Menschen wollen ungehindert Sommerurlaub machen oder sind ihre Haustiere ohnehin leid. Dann werden Hunde einfach an Parkplätzen festgebunden, Kaninchen in Kisten an den Straßenrand gestellt oder Katzen bei Ebay verschenkt. Gemeinsam ist solchen Haltern, dass sie im Tier anscheinend kein Lebewesen mehr sehen, sondern eine Sache.
Appelle gibt es genug, den Haustierkauf wohl zu überlegen. Tiere kosten Zeit. Tiere kosten Geld. Wenn alles gut läuft, hat man Gefährten fürs Leben. Aber das ist kein Selbstläufer. Auch erzieherische Anstrengungen sind also gefragt. Doch das ist Theorie, bis das Tier angeschafft ist. Es bedarf also einer gewissen Abstraktionsfähigkeit, sich die Konsequenzen eines Tierkaufs klar zu machen. Und gegen einen anderen Impuls abzuwägen, der heute übermächtig geworden ist: gegen das Habenwollen.
Abstrakt zu denken und seine Impulse im Griff zu haben, sind Fähigkeiten erwachsener Menschen. Wie die alljährliche Aussetzeritis bei Haustieren zeigt, gibt es anscheinend aber eine Menge kindischer Tierbesitzer. Daran würden auch Tierführerscheine nichts ändern. Selbstreflexion und eine aufgeklärte Haltung zum Tier lassen sich nicht verordnen.
So unbefriedigend es ist: Bewusstsein zu schaffen für die Verantwortung jedes Tierkaufs bleibt gesellschaftliche Aufgabe. Also Herausforderung für uns alle. Damit möglichst wenig Menschen auf die Idee kommen, man könne Kaninchen einfach an den Straßenrand stellen wie ein altes Regal – und sich das auch noch als „Geschenk“verkaufen.