Auf den Grenzwert kommt es an
Die Legalisierung von Cannabis wirft Fragen im Hinblick auf das Autofahren auf. Das Bundesverkehrsministerium lässt prüfen, ob das Limit für den Wirkstoff THC und für Alkohol angeglichen werden sollten.
BERLIN Möglichst Ende des Jahres will die Ampelkoalition einen Gesetzentwurf zur Freigabe von Cannabis vorlegen. Dann soll die kontrollierte Abgabe „an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, umgesetzt werden. Doch das freie Kiffen wird auch Nebenwirkungen haben – unter anderem auf den Straßenverkehr. Das Verkehrsministerium warnt bereits: „Eine Legalisierung des Konsums von Cannabis bedeutet keine Legalisierung des Fahrens unter der Wirkung von Cannabis“, sagte eine Sprecherin unserer Redaktion. Was sich aber abzeichnet, könnte künftig eine Gleichbehandlung von Cannabis und Alkohol sein.
Kürzlich erst lud Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rund 200 Sachverständige in sein Haus, um grundsätzlich über das Vorhaben zu beraten. Bereits im vergangenen Jahr beschäftigte sich der Bundestag in einer Anhörung speziell mit den Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Hintergrund war ein Antrag der Linksfraktion, den die Abgeordneten nun erneut ins Parlament eingebracht haben.
Darin heißt es, im Jahr 2020 seien 6186 Unfälle unter Drogeneinfluss registriert worden – gegenüber 31.540 Unfällen unter Alkoholeinfluss. Im Gegensatz zur GrenzwertRegelung beim Alkohol gelte bei Cannabis faktisch eine Null-Toleranz-Grenze, stellt die Linke in dem Antrag fest. Der meist angewendete Grenzwert von derzeit 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum sei so niedrig, dass dieser oft noch Tage nach dem Cannabiskonsum überschritten werde, wenn längst keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit mehr bemerkbar sei. Mögliche Folgen: Führerscheinentzug, Fahrverbot, MPU, also die berühmt-berüchtigte medizinischpsychologische Untersuchung, hohe Kosten. THC ist der psychoaktive Hauptbestandteil von Cannabis. Im Antrag wird daher gefordert, die Toleranzgrenze von 1,0 auf 10,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum anzuheben – was laut Experten der 0,5-Promille-Grenze bei Alkohol entspreche. Zugleich müsse eine Normierung des THC-Grenzwertes vorgenommen werden, „indem ein THC-Wert von 3,0 ng/ml
Blutserum festgelegt wird, unterhalb welchem eine relative Fahruntüchtigkeit ausgeschlossen werden kann“. Während der Anhörung beklagten mehrere Experten die Ungleichbehandlung von Cannabisund Alkoholkonsumenten im Straßenverkehr. Viele Fahrer seien Stunden nach dem letzten Konsum noch mit unwirksamen THC-Restwerten
zwischen 1,0 und 5,0 ng/ml unterwegs, heißt es etwa vom Deutschen Hanfverband. Andere Fachleute befanden hingegen, dass eine Gleichstellung schon aus pharmakologischer Sicht nicht möglich sei. Auch habe die derzeitige Regelung ein „präventive Wirkung“.
Die Grünen hatten sich in der vergangenen Legislaturperiode bereits
für Änderungen eingesetzt, zuletzt ebenfalls die SPD. Dass das Bundesverkehrsministerium Handlungsbedarf sieht, belegt die Tatsache, dass die sogenannte Grenzwertkommission (GWK) aufgefordert wurde zu prüfen, ob die geltenden Richtwerte einer Aktualisierung bedürfen. „Auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung von Alkohol und Drogen“, so eine Sprecherin auf Nachfrage. Die Stellungnahme der Kommission, die kontinuierlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse auswertet, soll demnächst veröffentlicht werden. Schon 2015 hatte die Kommission empfohlen, den Cannabis-Grenzwert auf 3,0 Nanogramm THC je Milliliter Blutserum anzuheben.
Nicht jeder wäre aber mit einem solchen Vorgehen einverstanden. Unions-Fraktionsvize Ulrich Lange (CSU) sagt, es sei „völlig indiskutabel“, dass die Ampel nun auch noch eine Diskussion darüber führe, „inwieweit es künftig erlaubt sein soll, halb bekifft Auto zu fahren“. Er halte es daher für unverantwortlich, über Toleranzgrenzen zu reden. „Von diesem fragwürdigen Ampel-Experiment darf keinerlei Gefährdung für die Verkehrsteilnehmer ausgehen – dafür muss die Bundesregierung sorgen.“
Auch der ADAC warnt, dass insbesondere Personen, die im Zuge einer Legalisierung Cannabis ausprobieren wollten, sich der Risiken nicht ausreichend bewusst sein könnten. „Ob eine unterschiedliche Behandlung der Konsumenten von Alkohol und Cannabis weiterhin gerechtfertigt ist, muss anhand neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse geklärt werden“, so Sprecher Andreas Schnaars. Vor allem aber müsse mit der Legalisierung „unbedingt auch eine entsprechende Sensibilisierung für die Gefahren einhergehen“.