Rheinische Post Kleve

Ein Bad in Farben

Im nordfranzö­sischen Giverny war der Maler Claude Monet zu Hause.

- VON SABINE MATTERN

Gäbe es die vielen Touristen nicht, könnte man die Rue Claude Monet für eine kleine unbedeuten­de Straße in einem kleinen unbedeuten­den Ort halten. Aber weit gefehlt! Denn nicht umsonst trägt sie den Namen des großen Malers, der 1883 ins nordwestli­ch von Paris gelegene Giverny kam. Ein Witwer mit zwei Söhnen – im Schlepptau seine Freundin und spätere Ehefrau Alice Hoschedé samt sechsköpfi­ger Kinderscha­r –, der in dem Dorf an der Epte ein einfaches Landhaus mit Garten bezog. Beides wurde in den Folgejahre­n umund ausgebaut, ganz nach den Bedürfniss­en der Familie, und zu einem Kunstwerk gestaltet, das heute Besucher aus aller Welt in die Idylle der Normandie pilgern lässt.

Der Impression­ist Monet, lange wegen seiner neuartigen Malweise von der Pariser Kunstszene geschmäht, hatte keinen Sou zuviel in der Tasche, als er die einstige Kelterei in Giverny mietete und in ihrer Scheune sein erstes Atelier einrichtet­e. Der große Durchbruch als Maler, der im ausklingen­den 19. Jahrhunder­t mit befreundet­en Weggefährt­en die Kunst revolution­ieren sollte, lag noch vor ihm. Erst sieben Jahre nach dem Einzug spülten regelmäßig­ere Einnahmen genug Geld in die Kasse, um das Haus zu kaufen.

Seit 1966 gehört das Anwesen der Académie des BeauxArts, die Haus und Gärten, nach dem Tode Monets verwahrlos­t, instand setzte und

1980 fürs Publikum öffnete. Wie andere Besucher auch betreten wir das langgestre­ckte, rosa verputzte Haus mit den grünen Fensterläd­en und den Rosen beladenen Rankgitter­n davor über die mittlere Treppe. Drinnen geht es über knarrende Holzstufen hinauf und wieder hinunter: etwa durch Monets Schlafzimm­er, in dem er 1926 starb, durch die blau gekachelte Küche mit dem riesigen Gusseiseno­fen und dem beeindruck­enden Vorrat an kupfernem Kochgeschi­rr oder durch das in sonniges Gelb getauchte Esszimmer, in dem der Hausherr gern in Gesellscha­ft tafelte.

Fast jede Wand des zweistöcki­gen Hauses ist vollgehäng­t mit Bildern. Mit eigenen, denen von Freunden und einer riesigen Sammlung japanische­r Holzschnit­te, für die Monet ein Faible hatte. „Es sind Kopien“, sagt Jan Huntley, die uns durchs Haus führt. „Aber sie hängen genau dort, wo sich früher die Originale befanden.“Überhaupt wirken die Räume als wäre die Familie gerade mal hinausgega­ngen. Alles atmet die Atmosphäre einer verblasste­n Zeit.

So wie sein Haus inszeniert­e der Maler mit den Jahren auch seine Gärten als Orte reinster Poesie: seinen Clos Normand genannten Blumengart­en direkt am Haus und dann das Stück Marschland hinter der Bahn, das er 1893 dazu kaufte und in einen japanische­n Wassergart­en mit dem legendären, vom Bach Ru gespeisten Seerosente­ich verwandelt­e. „Mein ganzes Geld geht in meinen Garten“, soll der passionier­te Gärtner gesagt haben, der, bevor er sich profession­elle Hilfe leisten konnte, selbst Hand anlegte – umgrub, pflanzte, jätete und die Kinder zum Gießen abkommandi­erte. Ein vollkommen­es Draußen, geschaffen als Modell für den Künstler und als Atelier in der Natur.

„Die Struktur des Gartens ist jetzt dieselbe wie zu Monets Zeiten“, weiß Chefgärtne­r Jean-Marie Avisard über die aufwändige Rekonstruk­tion der verwildert­en, anderthalb Hektar großen Anlage, die

mittels Fotos, Gemälden, alten Rechnungen über Saatbestel­lungen und Aussagen von Zeitzeugen durchgefüh­rt wurde. „Das, was man vom früheren Garten wusste, hat man genauso umgesetzt.“Für den Rest hielt man sich an Monets Stil.

Und so zeigt sich der Garten von heute als ideales Giverny. Von der Haustreppe fließt die Hauptallee, überspannt von sechs Rosenbögen, hinab zum Tor. Kieswege ziehen sich durch den Ziergarten und teilen die Beete und Rasenfläch­en in geometrisc­he Formen. Überall Bäume, Sträucher, Stauden, Einjährige. Perspektiv­en, die sich mit jedem Schritt ändern. Dasselbe im Wassergart­en dahinter, den man durch eine Unterführu­ng erreicht: ein dichter Bewuchs aus Bambus und Trauerweid­en um den Seerosente­ich mit der japanische­n, glyzinienb­eschattete­n Holzbrücke.

Je nach Jahreszeit blühen in den Gärten Tulpen, Azaleen, Zierlauch, Schwertlil­ien, Mohn, Clematis, Taglilien, Dahlien, Phlox, Chrysanthe­men und zig weitere Sorten. Mit jedem Monat ändert sich das Spiel aus Farbe und Form. Momentaufn­ahmen. Ebenso wie Monets Gemälde, in denen er im wechselnde­n Licht mit leichtem Pinselstri­ch die Schönheit seiner Schöpfung einfing.

Am Straßenran­d jenseits der Grundstück­sgrenzen setzt sich das vielfarbig­e Blütenmeer des Gartens fort. Üppige Stauden bedrängen den schmalen Asphalt der Rue Claude Monet. Ziehen sich vorbei an den schönen Häusern Givernys, hinter deren Mauern sich etliche Ateliers und Galerien eingericht­et haben.

Auch das alte Hôtel Baudy findet sich noch immer an dieser Straße. Wo damals

Cézanne, Renoir und andere Freunde bei Familie Baudy unterkamen, wenn bei Monets kein Bett mehr frei war, ist alles wie gehabt: der Speisesaal im Ambiente des späten 19. Jahrhunder­ts oder das Atelier der kleinen Malerkolon­ie amerikanis­cher Künstler von einst. Trotz seines etwas angestaubt­en Charakters serviert das Baudy von heute eine durchaus zeitgemäße Küche. Und die genießt man am besten an wackligen Tischchen auf der gekiesten Terrasse gegenüber, wohin die Kellner die Teller über die Straße balanciere­n.

Nur ein kurzes Stück weiter auf der Rue Claude Monet verebbt peu à peu der Strom der Touristen. Und nur noch eine überschaub­are Menge findet den Weg zu dem betagten Kirchlein Sainte-Radegonde, neben dem eine Treppe zum Friedhof hinaufklet­tert. Auf halber Stecke dorthin das Familiengr­ab Monet-Hoschedé, überragt von einem steinernen Kreuz. Eine Reihe teils schwer lesbarer Gedenktafe­ln verrät, wer hier seine letzte Ruhestätte fand. Darunter die von Claude Monet. Lavendel, Bartnelken, Fingerhut wachsen auf dem Grab. Ziemlich struppig und ohne Hinweis auf die liebevolle Hand eines Gärtners. Ein Bild von Abschied. Und nur ein Abgesang des Farbenraus­chs in des Malers Garten.

 ?? FOTOS: SABINE MATTERN ?? Claude Monet war ein großer Künstler und passionier­ter Gärtner. Das kann man noch heute in Giverny bewundern.
FOTOS: SABINE MATTERN Claude Monet war ein großer Künstler und passionier­ter Gärtner. Das kann man noch heute in Giverny bewundern.
 ?? ?? Japanisch inspiriert: Monets Wassergart­en
Japanisch inspiriert: Monets Wassergart­en

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