Hilfe auf lange Sicht
ANALYSE Je länger der Ukraine-Krieg dauert und je mehr er sich wandelt, desto wichtiger wird die Koordinierung westlicher Militärhilfe. Darüber beraten westliche Partner gemeinsam. Der Druck auf Deutschland wächst.
Es ist Krieg mitten in Europa. Und wenn die westliche Welt nicht zusehen kann und will, wie eine Atommacht brutalen Kolonialismus praktiziert, dann liegt es nahe, auf bestehende Allianzen zurückzugreifen. Da ist die Europäische Union gefragt, um tatkräftige Unterstützung zu organisieren. Und dann ist da die Nato als professionalisiertes und gut gerüstetes Verteidigungsbündnis. Aber wenn die einen bei massiven Waffenhilfen nicht können und die anderen nicht wollen, braucht es neue Ideen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin ergriff im April die Initiative. Am Donnerstag traf sich eine immer weiter wachsende Ukraine-Kontaktgruppe bereits zum fünften
Mal im so genannten Ramstein-Format, benannt nach dem riesigen Militärflughafen der Amerikaner in der Pfalz.
Formate kommen und gehen, und manche halten sich über Jahrzehnte. So, als sich im Sommer die Außenminister in Prag im „Gymnich-Format“zusammensetzten. Der Name geht auf das Jahr 1974 zurück, als der damalige Außenminister Walter Scheel die europäischen Amtskollegen zu einem Treffen ganz informeller Art auf Schloss Gymnich einlud: Einfach mal ohne Tagesordnung und ohne Entscheidungsdruck aktuelle Probleme besprechen. Der Bedarf blieb bis heute, und jede neue Ratspräsidentschaft hält daran fest.
Weniger bewährt hat sich das „Normandie-Format“, das die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine am Rande der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 2014 erstmals stattfinden ließen. Es sollte im Folgenden die russisch-ukrainischen Konflikte durch vertrauensvolle Kontakte beherrschbar und lösbar machen. Doch Russland besetzte und annektierte danach die Krim und hält nun daran fest, das gesamte Nachbarland „entmilitarisieren“zu wollen – offensichtliches Ziel: sich selbst als gefürchtete Hegemonialmacht gegen jedes Völkerrecht und über Europa hinaus zu etablieren.
Wenn das das ungewollte Ergebnis des „Normandie-Formates“ist, dann entwickelt sich das „Ramstein-Format“zum genauen Gegenteil: die Ukraine dauerhaft zu stärken und dabei indirekt Russland so zu schwächen, dass seine Gefahr für Nachbarn kleiner wird. Es war zunächst entstanden, um eine Allianz der Willigen zur Überlebenshilfe der Ukraine zu bilden. Inzwischen geht es um eine Behauptung und Stärkung der Ukraine über Monate und Jahre. Und um eine ständig erneuerte Selbstverpflichtung des Westens.
Tatsächlich fiel das fünfte Treffen am Donnerstag mit der ersten massiv und breit angelegten Gegenoffensive der Ukraine zusammen. Nach ersten zurückeroberten Ortschaften und russischen Evakuierungen sprach Austin nun davon, der Krieg habe einen „Schlüsselmoment“erreicht. Die ukrainischen Erfolge machten es Austin leicht, den Partnern zu danken. Auch Deutschlands Leistungen würdigte der Amerikaner. Vor allem Artillerie und Luftabwehrsysteme hatte Deutschland geliefert. Das verstärkte nicht nur die Feuerkraft über eine größere Distanz, versetzte die ukrainischen Streitkräfte in die Lage, russische Munitionsdepots weit hinter der Front auf besetztem Territorium zu treffen. Am Tag der Ramstein-Tagung meldete die Ukraine auch, russische Kampfjets abgeschossen zu haben. Zugleich ist seit Tagen zu verfolgen, wie Rüstungsexporteur Russland versucht, Munition zu importieren.
Mit welcher Effektivität die Ukrainer das gelieferte Material einzusetzen wissen, nötigt den Verteidigungsexperten im Westen größten Respekt ab. Damit gehen die Themen für den Ramstein-Prozess in die zweite und die dritte Runde. Wie der Sicherheitsexperte Gustav Gressel vom Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen analysiert, müssen die Ramstein-Teilnehmer schnellstmöglich die Munitionsproduktion ankurbeln. Das sei nicht nur für die Ukraine wichtig. Auch mit Blick auf mögliche Kriege im Pazifik oder in Europa sei die aktuelle Produktion im Westen „viel, viel zu gering“.
Zudem gehe es nun immer mehr um gepanzerte Fahrzeuge. Selbst wenn jeder Staat nur kleine Mengen liefern könne, komme am Ende eine verwertbare Menge zustande – mit Vorteilen bei Schulung und Ersatzteilen. Bei den Mannschafts- und Transportpanzern sei das der (amerikanische) M-113, bei den Kampfpanzern der (deutsche) Leopard-2. „Dazu muss man aber erst eine Nuss im Kanzleramt knacken, und ich hoffe, das passiert demnächst“, sagte Gressel unserer Redaktion. Austin habe das schon durch die Blume anklingen lassen, vermutlich habe sich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) einiges anhören müssen.
Sie trat am Mittag bereits vor die Presse, um erneut mit ihrer niederländischen Amtskollegin Kajsa Ollongren eine Ausbildungs- und Ausrüstungsachse zu präsentieren. Beide Länder hatten bereits bei der Lieferung der Panzerhaubitzen zusammengewirkt, nun erklärten sie, die ukrainischen Streitkräfte schon bald beim Minenräumen zu unterstützen. Deutschland stelle Material und Ausbildungsort, die Kampfmittelabwehrschule in Stetten am kalten Markt, die Niederlande die Ausbilder. Zugleich kündigte Lambrecht an, „alsbald“die zweite Tranche von GepardPanzern zur Luftabwehr zu liefern.
Die Zusage stammt vom ersten Ramstein-Treffen. Ob es demnächst auch offiziell um deutsche Kampfpanzer geht, ist offen. Aber zu hinterfragen ist inzwischen weniger das Ob, mehr das Wann.
„Man muss eine Nuss im Kanzleramt knacken, und ich hoffe, das geschieht demnächst“Gustav Gressel Sicherheitsexperte