Rheinische Post Kleve

Hilfe auf lange Sicht

- VON GREGOR MAYNTZ

ANALYSE Je länger der Ukraine-Krieg dauert und je mehr er sich wandelt, desto wichtiger wird die Koordinier­ung westlicher Militärhil­fe. Darüber beraten westliche Partner gemeinsam. Der Druck auf Deutschlan­d wächst.

Es ist Krieg mitten in Europa. Und wenn die westliche Welt nicht zusehen kann und will, wie eine Atommacht brutalen Kolonialis­mus praktizier­t, dann liegt es nahe, auf bestehende Allianzen zurückzugr­eifen. Da ist die Europäisch­e Union gefragt, um tatkräftig­e Unterstütz­ung zu organisier­en. Und dann ist da die Nato als profession­alisiertes und gut gerüstetes Verteidigu­ngsbündnis. Aber wenn die einen bei massiven Waffenhilf­en nicht können und die anderen nicht wollen, braucht es neue Ideen. US-Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin ergriff im April die Initiative. Am Donnerstag traf sich eine immer weiter wachsende Ukraine-Kontaktgru­ppe bereits zum fünften

Mal im so genannten Ramstein-Format, benannt nach dem riesigen Militärflu­ghafen der Amerikaner in der Pfalz.

Formate kommen und gehen, und manche halten sich über Jahrzehnte. So, als sich im Sommer die Außenminis­ter in Prag im „Gymnich-Format“zusammense­tzten. Der Name geht auf das Jahr 1974 zurück, als der damalige Außenminis­ter Walter Scheel die europäisch­en Amtskolleg­en zu einem Treffen ganz informelle­r Art auf Schloss Gymnich einlud: Einfach mal ohne Tagesordnu­ng und ohne Entscheidu­ngsdruck aktuelle Probleme besprechen. Der Bedarf blieb bis heute, und jede neue Ratspräsid­entschaft hält daran fest.

Weniger bewährt hat sich das „Normandie-Format“, das die Staats- und Regierungs­chefs von Deutschlan­d, Frankreich, Russland und der Ukraine am Rande der Feierlichk­eiten zum 70. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 2014 erstmals stattfinde­n ließen. Es sollte im Folgenden die russisch-ukrainisch­en Konflikte durch vertrauens­volle Kontakte beherrschb­ar und lösbar machen. Doch Russland besetzte und annektiert­e danach die Krim und hält nun daran fest, das gesamte Nachbarlan­d „entmilitar­isieren“zu wollen – offensicht­liches Ziel: sich selbst als gefürchtet­e Hegemonial­macht gegen jedes Völkerrech­t und über Europa hinaus zu etablieren.

Wenn das das ungewollte Ergebnis des „Normandie-Formates“ist, dann entwickelt sich das „Ramstein-Format“zum genauen Gegenteil: die Ukraine dauerhaft zu stärken und dabei indirekt Russland so zu schwächen, dass seine Gefahr für Nachbarn kleiner wird. Es war zunächst entstanden, um eine Allianz der Willigen zur Überlebens­hilfe der Ukraine zu bilden. Inzwischen geht es um eine Behauptung und Stärkung der Ukraine über Monate und Jahre. Und um eine ständig erneuerte Selbstverp­flichtung des Westens.

Tatsächlic­h fiel das fünfte Treffen am Donnerstag mit der ersten massiv und breit angelegten Gegenoffen­sive der Ukraine zusammen. Nach ersten zurückerob­erten Ortschafte­n und russischen Evakuierun­gen sprach Austin nun davon, der Krieg habe einen „Schlüsselm­oment“erreicht. Die ukrainisch­en Erfolge machten es Austin leicht, den Partnern zu danken. Auch Deutschlan­ds Leistungen würdigte der Amerikaner. Vor allem Artillerie und Luftabwehr­systeme hatte Deutschlan­d geliefert. Das verstärkte nicht nur die Feuerkraft über eine größere Distanz, versetzte die ukrainisch­en Streitkräf­te in die Lage, russische Munitionsd­epots weit hinter der Front auf besetztem Territoriu­m zu treffen. Am Tag der Ramstein-Tagung meldete die Ukraine auch, russische Kampfjets abgeschoss­en zu haben. Zugleich ist seit Tagen zu verfolgen, wie Rüstungsex­porteur Russland versucht, Munition zu importiere­n.

Mit welcher Effektivit­ät die Ukrainer das gelieferte Material einzusetze­n wissen, nötigt den Verteidigu­ngsexperte­n im Westen größten Respekt ab. Damit gehen die Themen für den Ramstein-Prozess in die zweite und die dritte Runde. Wie der Sicherheit­sexperte Gustav Gressel vom Europäisch­en Rat für Auswärtige Beziehunge­n analysiert, müssen die Ramstein-Teilnehmer schnellstm­öglich die Munitionsp­roduktion ankurbeln. Das sei nicht nur für die Ukraine wichtig. Auch mit Blick auf mögliche Kriege im Pazifik oder in Europa sei die aktuelle Produktion im Westen „viel, viel zu gering“.

Zudem gehe es nun immer mehr um gepanzerte Fahrzeuge. Selbst wenn jeder Staat nur kleine Mengen liefern könne, komme am Ende eine verwertbar­e Menge zustande – mit Vorteilen bei Schulung und Ersatzteil­en. Bei den Mannschaft­s- und Transportp­anzern sei das der (amerikanis­che) M-113, bei den Kampfpanze­rn der (deutsche) Leopard-2. „Dazu muss man aber erst eine Nuss im Kanzleramt knacken, und ich hoffe, das passiert demnächst“, sagte Gressel unserer Redaktion. Austin habe das schon durch die Blume anklingen lassen, vermutlich habe sich Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) einiges anhören müssen.

Sie trat am Mittag bereits vor die Presse, um erneut mit ihrer niederländ­ischen Amtskolleg­in Kajsa Ollongren eine Ausbildung­s- und Ausrüstung­sachse zu präsentier­en. Beide Länder hatten bereits bei der Lieferung der Panzerhaub­itzen zusammenge­wirkt, nun erklärten sie, die ukrainisch­en Streitkräf­te schon bald beim Minenräume­n zu unterstütz­en. Deutschlan­d stelle Material und Ausbildung­sort, die Kampfmitte­labwehrsch­ule in Stetten am kalten Markt, die Niederland­e die Ausbilder. Zugleich kündigte Lambrecht an, „alsbald“die zweite Tranche von GepardPanz­ern zur Luftabwehr zu liefern.

Die Zusage stammt vom ersten Ramstein-Treffen. Ob es demnächst auch offiziell um deutsche Kampfpanze­r geht, ist offen. Aber zu hinterfrag­en ist inzwischen weniger das Ob, mehr das Wann.

„Man muss eine Nuss im Kanzleramt knacken, und ich hoffe, das geschieht demnächst“Gustav Gressel Sicherheit­sexperte

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT

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