Erste Stadt verbietet Fleischwerbung
Ob Bushaltestellen oder Videowände: In der niederländischen Stadt Haarlem soll im öffentlichen Raum ab 2024 nicht mehr für industriell hergestellte Fleischprodukte geworben werden. Manche sehen darin Bevormundung.
HAARLEM Der lauschige Grote Markt, das Frans-Hals-Museum, die nahen Strände von Zandvoort oder Bloemendaal – dafür ist Haarlem weithin bekannt. In diesen Tagen aber erhält die Hauptstadt der Provinz Nord-Holland aus einem gänzlich anderen Grund große Aufmerksamkeit: Ab dem übernächsten Jahr nämlich soll es dort im öffentlichen Raum keine Reklame für Fleischprodukte aus Massentierhaltung mehr geben. Und da Haarlem als erste Kommune der Welt diesen Schritt gehen will, ist der Wirbel schon jetzt groß.
Ein entsprechender Antrag der Groenlinks-Fraktion im Stadtrat wurde schon Ende des vergangenen Jahres angenommen. Dieser sieht nicht nur einen Werbestopp für fossile Brennstoffe und Flugreisen vor, sondern auch für industriell erzeugte Fleischwaren. Diese werden in den Niederlanden gerne in ihrer Billigst-Variante als „kilo-knallers“beworben – jahrzehntelang ein erfolgreiches Produkt in einem Land, das von calvinistischem Spardrang und landwirtschaftlicher Massentierhaltung geprägt ist.
Seit die Tageszeitung „Trouw“in der vergangenen Woche darüber berichtete, steht bei Ziggy Klazes das Telefon selten still. Als Mitglied der Groenlinks-Fraktion reichte sie den entsprechenden Antrag ein. Als unsere Redaktion sie erreicht, hat sie gerade ein Interview mit der BBC beendet. „Wir haben als Kommune vor einigen Jahren den Klimanotfall ausgerufen, um wirklich gegen den Klimawandel vorzugehen. Als lokale Verwaltung nehmen wir das sehr ernst“, berichtet sie: „Aber dann können wir nicht auf der anderen Seite Geld daran verdienen, dass wir unseren öffentlichen Raum an etwas vermieten, was dem zuwiderläuft.“
Nach Berichten niederländischer Medien ist die Kommune inzwischen mit drei Betrieben, die für Reklame an Bushaltestellen und auf öffentlichen Bildschirmen zuständig sind, in Kontakt. Deren Verträge
laufen 2024, 2025 und 2031 aus. In den Folgeverträgen soll der Beschluss des Stadtrats aufgenommen werden. Wie Klazes betont, geht es ausschließlich um Fleischprodukte aus Massentierhaltung. Sie berichtet von der bestürzten Textnachricht eines passionierten Fleischessers, der ihr vorwarf, ihm dies verbieten zu wollen: „Als ich ihm erklärte, dass dies nicht stimmt und worum es uns geht, war er beruhigt.“
Obwohl Bio-Fleisch von dem Beschluss ausgenommen ist und das Verbot sich ausdrücklich auf den öffentlichen Raum beschränkt, hat das Thema in den Niederlanden für Aufsehen gesorgt. In besagtem „Trouw“-Artikel erklärt Herman Broring, Professor für Verwaltungsrecht an der Rijksuniversiteit Groningen, das Thema sei juristisch heikel, da der Beschluss als Eingriff in die Meinungsfreiheit interpretiert werden könne.
Laut Dé van de Riet, Sprecher von Vlees.nl, der Plattform der niederländischen Fleischproduzenten, ergehe sich der Staat in „Bevormundung“. Sechs große Akteure der niederländischen Fleischbranche hatten erst am 1. September die Imagekampagne „Nederland Vleesland“(„Niederlande Fleischland`) lanciert – offiziell, um einen gesellschaftlichen Dialog zu befördern. Der Untertitel „wo die Geschmäcker verschieden sind“verweist auf das latent angespannte politische Klima im Land: Im Rahmen der Bauernproteste dieses Sommers treffen beim Thema Ökologie und Fleischkonsum sehr gegensätzliche Positionen aufeinander.
Dass in diesem Rahmen auch die Haarlemer Initiative polarisierendes Potenzial hat, zeigt die Reaktion von Joey Rademakers. Der Stadtrat der rechten Partei Belang van Nederland (BVNL) kritisiert eine „von den Grünen Khmer auferlegte Zensur“, die Fleischesser stigmatisiere und „diktatorisch“sei. Der BVNLParlamentsabgeordnete Wybren van Haga kündigte an, in Den Haag Fragen zum Thema zu stellen.
Ziggy Klazes dagegen vergleicht das Verbot mit demjenigen für Tabakprodukte: „Dabei war allen klar, dass es um öffentliche Gesundheit geht. Und die ist vom Klimawandel schließlich auch betroffen!“Vor eventuellen Gerichtsverhandlungen über ihre Initiative ist ihr nicht bange – im Gegenteil: „Dass das Thema so viel auslöst, zeigt doch, dass hier etwas nicht stimmt.“