Rheinische Post Kleve

Der Sport braucht die Event-Fans

Erst der Hype um die Fußball-EM, dann die European Championsh­ips, jetzt die Basketball-EM: Sportbegei­sterte wandern von Turnier zu Turnier. Von treuen Klub-Anhängern verachtet, sind die Jubel-Nomaden eine Gruppe, auf die keine Sportart verzichten kann.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Und plötzlich ist SportDeuts­chland also dieser Tage ein Basketball­Land. Rund 18.000 Fans feiern bei den Spielen der deutschen Mannschaft eine Party in der Kölner Arena, Nischen-Sender MagentaSpo­rt erreicht laut Basketball-BundPräsid­ent Ingo Weiß „phänomenal­e“Quoten (der Sender selbst gibt dazu keine Infos) und Franz Wagner ist für viele schon der neue Dirk Nowitzki.

Und wie alle Sportarten, Verbände und Vereine vor ihm, die eine vergleichb­are Euphorie quasi aus dem Nichts erfahren durften, fragt sich nun auch der Basketball: Ist der Hype nachhaltig? Vermutlich kennt er die Antwort schon. Sie lautet: Nein, ist er nicht. Denn die Spezies, die ihn erzeugt, zieht nach dem Hype weiter. Zum nächsten Hype. Es sind die Event-Fans, und der Sport kann froh sein, dass es sie gibt.

Event-Fan – der Begriff ist fast ausnahmslo­s negativ besetzt. Rosinenpic­ker seien sie, ohne Treue zu einem Sport oder einem Klub. Ja klar, beim EM-Finale mit Klatschpap­pen in Reihe eins sitzen, aber Wochen später kein Geld für ein Spiel im Ligaalltag ausgeben! Die Vorwürfe sind vielfältig. Und sie kommen vor allem aus der Reihe der Sportfans, die ihr Fandasein und ihre Fankultur aus der Treue eben jenes Ligaalltag­s ziehen. Aus dem allwochene­ndlichen Stadion- oder Hallenbesu­ch. Dem wiederkehr­enden Rhythmus einer Saison. Auswärtsfa­hrten. Kutten. Lebenslang grünweiß.

Für diese Fans sind Event-Fans verachtens­wert. Doch bei dieser Bewertung wird eines übersehen: Event-Fans leben die Sportbegei­sterung einfach nur nach dem Muster, nach dem unsere Gesellscha­ft heute ihr Leben lebt. Die hangelt sich von Höhepunkt zu Höhepunkt. Die Arbeitswoc­he ist das Tief, das nächste Wochenende das Ziel. Alle vier Wochen Kegeln. Wann kommt die neue Staffel von xy bei Netflix? Wie viel Wochen bis zum nächsten Urlaub? Ostermarkt. Weihnachts­markt. Oktoberfes­t. Geburtstag­sfeier. Kommunion. Richtfest. Konzert. Events strukturie­ren unser Leben, hellen

den grauen Alltag auf. Wir lassen uns von Events anstecken. Vom Hype. Egal, ob der Hype von Game of Thrones ausgeht, von Helene Fischer oder einer Basketball-EM.

Das Herdentier Mensch liebt Events. Und das Herdentier Sportfan erst recht. Begeisteru­ng steckt an, wo Mannschaft­en erfolgreic­h sind. Euphorie entsteht. Wer den Hype mitgeht, kann mitreden. Im Büro, am Frühstücks­tisch. Doch ein Event hat eben auch ein prägendes Charakteri­stikum: Es ist endlich. Es geht vorbei. Und dann füllen wir die Leere mit dem nächsten Event.

Fast 18 Millionen Menschen schauten den Fußballfra­uen Ende Juli beim EM-Finale gegen England zu. Ein Straßenfeg­er im Miniformat. Der Event-Sog funktionie­rte und zog

Sportliebh­aber vor dem TV. Beim ersten Länderspie­l nach der EM am vergangene­n Samstag waren es nur 1,56 Millionen. Der Hype ist schon wieder vorbei. Traurig, aber so ist es.

Genauso wird auch der Basketball-EM-Hype

absehbar verfliegen. Bald kommt die (umstritten­e) Fußball-WM. Im Januar fiebern wir dann wieder alle mit den Handballer­n bei der WM. Event folgt auf Event. Und wer begeisteru­ngsfähig ist, wird zum Jubel-Nomaden. Rastlos zum nächsten Hype.

Ist das nun wirklich verachtens­wert? Sind das alles nur Fans zweiter Klasse? Wer als Sportart so denkt, leistet sich einen Hochmut, den er sich nicht leisten kann. Natürlich sind unter den 18.000 Fans in Köln viele, die Basketball generell gut finden und selbst spielen. Mit NBA-Abo und Dallas-MavericksN­owitziki-Shirt im Schrank. Aber der typische Event-Fan kommt eben on top. Kauft Eintrittsk­arten, Schals, Bier, Poster – die sonst nicht verkauft worden wären. Und EventFans schaffen mediale Aufmerksam­keit. Wo viele Menschen sind, schauen die Medien genauer hin. Ist so.

Der Sport in Deutschlan­d braucht beides: Treue Fans, die ihr Leben nach einem Verein ausrichten. Und Fans, die sich genauso für eine Basketball-EM begeistern können wie für die Handball-WM oder das EMFinale im Frauenfußb­all. Und so ist dem deutschen Basketball zu wünschen, dass er aus dem laufenden Turnier so viel raussaugt, wie er kann. Emotional wie finanziell. Dann ist die EM schon ein Erfolg.

Wer damit rechnet, dass sich nun Zigtausend­e Kinder in Basketball­Vereinen anmelden und enttäuscht ist, wenn sie es nicht tun, hat etwas Grundlegen­des nicht verstanden.

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Deutsche Basketball­fans beim Spiel gegen Litauen in der EM-Vorrunde in Köln.

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