Labor für Landwirtschaft der Zukunft
Die Hochschule Rhein-Waal forscht und arbeitet öffentlich an der „Transformation der Region Niederrhein“.
KREIS KLEVE Die Hochschule RheinWaal gehört zu den 55 Hochschulen in Deutschland, die als „Innovative Hochschule“ausgewählt wurden und als solche besonders gefördert werden. Die „Innovative Hochschule“ist ein Bund-Länder Exzellenzwettbewerb für Hochschulen – wie eine „kleine Schwester“der Exzellenz-Initiative für die deutschen Universitäten. Bei ihrer erfolgreichen Bewerbung hatte die Hochschule Rhein-Waal das Thema „Transformation der Region Niederrhein – TransRegINT“. Es widmet sich den globalen Herausforderungen, die nur mit großen gemeinschaftlichen Anstrengungen zu bewältigen sind. Ziel ist es, als regionale Hochschule zu Entwicklungen beizutragen, die auch globale Lösungen unterstützen. Wir sprachen mit Prof. Peter Kisters, Vizepräsident der Hochschule Rhein-Waal für Forschung, Innovation und Wissenstransfer.
Herr Kisters, was muss ich mir unter „Transformation der Region Niederrhein“vorstellen?
KISTERS Transformation ist die Veränderung oder Anpassung an neue Rahmenbedingungen und damit das, was wir künftig brauchen: beispielsweise eine Balance zwischen Wertschöpfung und Schöpfung.
Was bedeutet das an einem Beispiel?
KISTERS Wir haben am Niederrhein große, aber sehr empfindliche landwirtschaftliche Flächen, die vor allem nach dem Abernten der Erosion oder der Austrocknung ausgesetzt sind. Wir müssen hier Möglichkeiten finden, wie man die Flächen schützen kann, zum Beispiel durch den Aufbau von Agroforst-Systemen, die solche Flächen durch Bäume besser schützen und die Feuchtigkeit halten.
Kann man die Landwirtschaft von solchen Ideen überzeugen?
KISTERS Natürlich werden wir hierbei – wie bei allen Veränderungsprozessen – auch auf Bedenken stoßen. Das ist auch gut so. Es gibt aber schon jetzt Landwirte, auch aus der konventionellen Landwirtschaft, die erkennen, dass die Folgen immer heißerer Sommer ein Umdenken erforderlich machen. Deshalb möchten wir in der Region Flächen schaffen und am greifbaren Beispiel darstellen, was wir vorhaben. Wir schaffen da begehbare Reallabore, die Beispiele für die Landwirtschaft von morgen zeigen. Wir möchten die Landwirte einbinden und haben auch schon Zusagen von Landwirten, die dafür Flächen bereitstellen und mitarbeiten würden.
Was soll dort gemacht werden? KISTERS Diese Flächen sollen im Rahmen des Forschungsschwerpunktes ‚Nachhaltige Ernährungssysteme‘ als Labore ausgebaut werden, also real werden. Das ist dann ja nicht nur Forschung, sondern vor allem angewandte Forschung, hier auf landwirtschaftlichen Flächen. Die Flächen stehen natürlich jedem offen, Forschungsergebnisse werden dadurch greifbar und verständlich.
Was könnte das bedeuten?
KISTERS Wir müssen verstehen, dass wir umdenken müssen. Und das geht am besten, indem wir es erleben, beispielsweise in einem Reallabor. Als Gesellschaft brauchen wir vielleicht eine veränderte Philosophie, müssen vielleicht auch hier und da Verzicht üben. Beispielsweise darüber nachdenken, nicht jede Pflanze zu jeder Zeit haben zu wollen, sondern zu schauen, was wächst gerade hier in der Region und was kann hier direkt vermarktet werden.
Sie haben eine ähnliche Forschung mit dem Baobab-Baum schon in Afrika betrieben. Endet jetzt mit dem Fokus auf die hiesige Landwirtschaft der Blick in die Welt?
KISTERS Keineswegs. Die Forschung in Ländern in Afrika oder in Asien geht weiter. Aber wir müssen uns heute angesichts des Klimawandels auch die Frage stellen und erforschen, welche der dort erzielten Erkenntnisse für eine bessere Landwirtschaft lässt sich vielleicht auch hier anwenden, hier in der Region. Der Blick geht nicht nur nach Namibia, sondern auch nach Griethausen. Mit unserer Forschung in afrikanischen Ländern haben unsere Forscherinnen und Forscher da schon einen gewissen Wissensvorsprung. Jetzt können wir schauen, was wir damit oder mit vielen anderen Ideen vor unserer Haustür erreichen können – ohne dabei Länder in Asien oder Afrika zu vernachlässigen. Gleichzeitig müssen wir uns auch die Viehzucht anschauen und uns fragen, ob wir zum Beispiel genügend Raum für die Anzahl gehaltener Kühe haben oder wie sich auch die Viehhaltung in AgroforstSysteme integrieren lässt.
Die Frage nach der Philosophie, der Haltung wäre dann eine gesellschaftliche?
KISTERS Stimmt. Das ist aber auch Teil unserer Bewerbung gewesen: Dieser Prozess der Transformation
hat auch mit Haltung zu tun. Eine Haltung, die wir als Hochschule nach draußen tragen müssen und zeigen, dass wir diese Themen auf der Agenda haben und dass diese Themen wichtig für eine Zukunft sind – und gleichzeitig möchten wir für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung werben.
Interdisziplinarität gehört zu den Aushängeschildern der Hochschule. Wir haben bis jetzt nur über die Landwirtschaft gesprochen - wo bleiben da beispielsweise die Ingenieure oder die Biologen und Chemiker?
KISTERS Eine Landwirtschaft ist ein für viele einfach zu verstehendes Beispiel, aber ohne Maschinen heute wie morgen undenkbar. Aber ich kann auch als Ingenieur angepasste Produkte entwickeln, die ressourcenschonend sind und zu neuen nachhaltigen Konzepten passen. Das wird nicht mehr der riesige Mähdrescher sein, sondern vielleicht der kleine, autonome Feldroboter. Und trotzdem müssen wir auch hier anders denken: Heute orientieren wir uns am Euro, an der Wertschöpfung. Künftig werden dies auch die Fußabdrücke oder die CO2-Bepreisung sein, quasi als zweite Währung. Wir
sind gerade beim Thema Energie in einer Situation, in der Unternehmen komplett umdenken müssen. Weitere Herausforderungen wie der Klimawandel kommen auf uns zu. Vieles ist miteinander verbunden. Transformation kann nur gelingen, wenn alle unsere Fakultäten mitmachen – und das tun sie.
Zum Beispiel?
KISTERS Beispielsweise werden die Chemiker und Biologen untersuchen, wie wir Ernährungssysteme umbauen können und was nötig ist, um unsere Böden zu schützen und nachhaltig zu nutzen. Andere werden die Wirtschaftlichkeit von Agroforst-Systemen untersuchen, um bei diesem Beispiel zu bleiben. Die Rolle der Digitalisierung gewinnt bei der Suche nach neuen, smarten Lösungen an Bedeutung, Assistenzsysteme werden benötigt. Kurz: diese Herausforderungen lassen sich nur interdisziplinär lösen. Und all dies gelingt nur, wenn wir die Transformation richtig kommunizieren, sie in die Gesellschaft bringen, womit wir bei den Sozialwissenschaften wären...
Also die Forschung erklären?
KISTERS Auch – aber vor allem, Wissenschaft und Bürgerschaft verbinden, die Bürger einladen, die Forschung zu beobachten, mit uns in den Dialog zu treten und mitzuforschen. Die Menschen mitzunehmen auf diesen Weg, das ist wichtig. Das baut Bedenken ab. Wir denken da an „Open Science“, die die Labore der Hochschule für die, die es möchten, öffnet. Wir denken an niederschwellige Angebote. Jeder darf, keiner muss mitmachen.
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Viele Dank für das Gespräch.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE MATTHIAS GRASS