Das Gespenst des Faschismus
ANALYSE Die Partei der Rechtsaußen-Politikerin Giorgia Meloni könnte in Italien stärkste Kraft werden. Zwar würde sie das Land wohl nicht in eine Diktatur führen, ihre nationalistische Politik bietet jedoch Anlass zur Sorge.
Giorgia Meloni könnte bald die erste Frau an der Spitze der italienischen Regierung sein. Doch es ist nicht der feministische Aspekt der Wahl am 25. September, der für Aufsehen sorgt. Es ist die Befürchtung, mit der 45 Jahre alten Römerin könnte der Faschismus durch die demokratische Vordertür in Italien an die Macht zurückkehren, exakt 100 Jahre nach Benito Mussolinis Marsch auf Rom im Oktober 1922. Diese Sorge ist verständlich angesichts der katastrophalen Folgen, die die Ideologie im 20. Jahrhundert nach sich zog. Sie ist jedoch unbegründet.
Der italienische Neo- oder Postfaschismus wurde bereits vor 30 Jahren politisch wieder salonfähig, der angerichtete Schaden hält sich in Grenzen. Es war damals der Medienunternehmer Silvio Berlusconi, der in die Politik ging, sich mit den Erben des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) verbündete und alsbald mit deren Unterstützung Ministerpräsident wurde. In den Jahren 2001 bis 2006 beteiligte Berlusconi abermals die Postfaschisten an der Regierung. Die Aufregung im Ausland war groß. Die Regierung war die stabilste der Nachkriegszeit und blieb knapp vier Jahre im Amt.
Auch die von Giorgia Meloni 2012 gegründete Partei „Fratelli d‘Italia“(Brüder Italiens), die bei der Wahl mit rund 25 Prozent der Stimmen rechnen kann, steht in der Tradition des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI). Er wurde 1946 von den besiegten Erben Mussolinis gegründet. Die Flamme im Parteisymbol haben die Brüder Italiens vom MSI übernommen, sie symbolisiert die Flamme auf dem Grab Mussolinis in Predappio. Aus diesem Grund werden die Brüder Italiens als „postfaschistisch“bezeichnet, ein aufschlussreicher Hilfsausdruck.
Denn er signalisiert, dass die Partei faschistische Wurzeln, allen nostalgischen Träumereien ihrer Anhänger zum Trotz aber keine Wiederherstellung eines faschistischen Staates im Auge hat. Parteichefin Meloni hat sich mehrfach klar zur Demokratie bekannt und behauptet, die Rechte habe „den Faschismus seit Jahrzehnten der Geschichte überlassen“. Das Problem an dieser Haltung ist die Illusion, den Faschismus einfach in der Vergangenheit zu verorten und so zu tun, als spielten die damaligen Verbrechen keine Rolle mehr in der Gegenwart. Doch zum Faschismus will Meloni nicht zurück. Sie verkörpert eine extreme, nationalistische Rechte wie Marine Le Pen in Frankreich, die AfD in Deutschland oder Vox in Spanien.
Italien wird bis heute geprägt von seiner nicht aufgearbeiteten Geschichte. Nur ein Teil des Landes, der sich mit dem Partisanen-Widerstand ab 1943 identifiziert, feiert den 25. April als Tag der Befreiung vom Nazifaschismus. Der andere Teil, zu dem sich die Anhänger Melonis, aber auch der Lega Matteo Salvinis und Silvio Berlusconis hingezogen fühlen, will den Nationalfeiertag nicht begehen. Die damalige Spaltung des Landes in Faschisten und Antifaschisten hat sich über die Generationen hinweg fortgesetzt. Sie kann effektiv auch nur in einem tiefen Dialog der Generationen überwunden werden. Der ist allerdings nicht in Sicht.
Beim rasanten Aufstieg Melonis spielen soziale Probleme, Wut und die enorme Volatilität des Wahlvolkes eine große Rolle. Die Brüder Italiens waren 2018 eine Minderheit, sie erlangten vier Prozent der Stimmen. Der Grund für die aktuell hohe Zustimmung ist, dass Meloni die einzige Partei führt, die über Jahre in der Opposition geblieben ist, sämtliche Krisen-Regierungen attackieren konnte und als einzige politische Kraft (noch) nicht für die Missstände im Land verantwortlich gemacht werden kann. Ihr harter Stil, ihre bislang nur rhetorische Autorität und Klarheit überzeugen viele.
Viele Wählerinnen und Wähler in Italien wechseln die Parteien wie ihre Unterwäsche. Italien bietet dabei eine besonders vielfältige, variable und vom Populismus durchtränkte Parteienlandschaft. Seit dem Ende der letzten Regierung unter Berlusconi 2011 feierten erst die Sozialdemokraten unter Matteo Renzi, dann die Fünf-Sterne-Bewegung, schließlich die rechte Lega große Wahlerfolge. Pünktlich folgte wenig später stets der Absturz. Auf diese Dynamik muss sich angesichts von Inflation, Energiekrise und Krieg in der Ukraine auch Meloni gefasst machen.
Man sollte also angesichts der neofaschistischen Wurzeln der Brüder Italiens gelassen bleiben und sich eher Sorgen um die Folgen der nationalistischen Politik machen. Zum einen hegen die Brüder Italiens den Plan, das Land in eine leichter steuerbare Präsidialrepublik nach französischem Modell umzuwandeln. Gefährlich ist besonders das Vorhaben Melonis, Verfassungsänderungen durchzusetzen, um nationalen Bestimmungen Priorität vor europäischen einzuräumen. Zu welchen Problemen das führt, ist am Fall Polens zu sehen.
Meloni hat angekündigt, als Regierungschefin mit der Europäischen Union den italienischen Corona-Wiederaufbauplan neu verhandeln zu wollen, an den rund 200 Milliarden EU-Hilfen im Gegenzug für Reformen im Land gekoppelt sind. Sie fordert mehr Geld für Energieinfrastruktur auf Kosten der ökologischen Wende.
Neuverhandlungen mit Brüssel haben einen hohen politischen und wirtschaftlichen Preis. Italien ist auf die Milliardentranchen angewiesen, die Zahlungen sind mit dem Erreichen konkreter Ziele verknüpft. Müssten die Zahlungen gestoppt werden, weil Italien die verabredeten Ziele nicht einhält, wäre das ein fatales Signal. Sogar Folgen für die Tragbarkeit der immensen italienischen Staatsschulden wären dann nicht auszuschließen.
Beim Aufstieg Melonis spielen soziale Probleme, Wut und die enorme Volatilität des Wahlvolkes eine große Rolle