Immer ein bisschen mehr
Helene Fischer geht demnächst mit dem Cirque du Soleil auf Tour – und sie verrät, mit welchen Gefühlen sie die „Tagesthemen“schaut.
KÖLN Die Frau, in die halb Deutschland verknallt ist, trägt ein rotes Stehkragen-Sweatshirt mit sehr saftigem Kussmund-Motiv. Ihre LederLeggings hat sie in schwere Keilabsatz-Stiefel gesteckt, die oben als Strumpf beginnen und unten aussehen, als seien sie für mondäne Weltraumtouristen designt: schwarz und gold und irre hoch. Sie kann eine Sternfahrer-Ausrüstung gut gebrauchen: In den nächsten Minuten wird sie in den Himmel gehoben.
Helene Fischer ist in Köln. Sie sitzt auf einer improvisierten Bühne im Hotel Stadtpalais, und der Saal sieht aus wie ein wasserloses Schwimmbad,
an dem Thomas Mann seine Freude gehabt hätte. Alle sind gekommen: Dutzende Fotografen und Pressevertreter, darunter Frauke Ludowig in Sendebereitschaft. Helene Fischer gibt an diesem schönen Ort Auskunft über die Tournee, auf der sie im nächsten Jahr 70 ArenenKonzerte geben will. Allein in Köln wird die 38-Jährige an sieben Abenden auftreten, in der Lanxess-Arena gleich gegenüber. Und dass das eine Show der Superlative werden soll, möchte man auch sprachlich deutlich machen.
Neben Helene Fischer sitzen also Mukhtar O. S. Mukhtar und Geneviève Dorion-Coupal vom Cirque du Soleil, mit dem Fischer ihre Show erarbeitet hat. Sie beschwärmen die Kollegin ausgiebig, unter anderem als „Diamant“, den man erst in allen Facetten erleben könne, wenn das Licht auf ihn falle und gebrochen werde. Helene Fischer lauscht der Lyrik sehr professionell: „unglaubliche Stimme“, „wie stark diese Frau ist!“, wie „mitreißend, nett, liebevoll und mitfühlend“. Sie wirkt wie eine Musterschülerin am Elternsprechtag. Sie streicht sich das Haar hinters
Ohr, öffnet den Mund, schließt ihn, lächelt und bewahrt Haltung. Nur als sie auch noch als „Superwoman“bezeichnet wird, stöhnt sie und vergisst, den Rücken durchzudrücken. Auch das Schöne kann too much werden. Manchmal ist es nicht leicht, Helene Fischer zu sein.
Dabei sprechen die Elemente der Show, die hier kurz angeteasert werden,
für sich. Ein Bambuswald wird aufgebaut, an dessen Stangen Artisten klettern. Helene Fischer wird auf einer Drehleiter singen, kopfüber in der Luft, und ein gewaltiges Wasserbecken und einen Feuerring gibt es auch. Und weil die Auftritte ja ohnehin bereits meilenweit über dem deutschen Standard liegen, könnte man den Ausblick auf die kommenden so zusammenfassen: Jetzt noch nöcher.
Die Deutschen nennen Künstler, die sie besonders gern haben, oft beim Vornamen. So war es mit Marius in den 90ern, so ist es mit Herbert immer noch, und ebenso hält man es mit Helene. 130.000 Menschen haben sie neulich in München erlebt, 750.000 werden auf der neuen
Tournee erwartet. Ihr Erfolg ragt so weit heraus, dass das Lied „Achterbahn“gut als Überleitung in den Teil passt, in dem Helene Fischer endlich redet: „Völlig abgehoben, keine Schwerkraft mehr“, heißt es darin. Manchmal ist es ganz schön, Helene Fischer zu sein.
Sie müsse sich fitnessmäßig erst mal „auf Vordermann bringen“, sagt sie, in Kanada vielleicht oder in Deutschland. Das Team vom Cirque du Soleil fordere sie ganz schön. Und natürlich ist das Koketterie, denn zuletzt in München war sie ja topfit, obwohl sie gerade erst Mutter geworden ist – oder: „Mama“, wie man mit Betonung auf dem zweiten „A“im Showbiz sagt. Sie wisse, dass die Menschen sparen müssen, deshalb sei ihr größter Anreiz, den Leuten die Sicherheit zu geben, dass sie sie gut unterhalten werde. Sie sollten den Alltag einmal hinter sich lassen und Erinnerungen produzieren, indem sie in ihre Welt eintauchten, sagt Helene Fischer. Das sei gerade besonders wichtig. Wir bräuchten Musik und Unterhaltung, „sonst würden wir eingehen wie Pflänzchen“.
Zu Beginn der Veranstaltung war betont worden, dass man bitte nichts Privates fragen möge, nur zur Show. Aber natürlich kommt dann doch die Frage, wie sie das denn sehe mit der Krise, dem Krieg und all dem. Kurz meint man, sie lüfte den Vorhang, weil sie von Sorgen erzählt, die sie beim „Tagesthemen“-Schauen spüre. Aber sie wolle nicht alles nach außen tragen, weil sich „die Medien“dann darauf stürzen würden, und dafür sei sie nicht wichtig genug, findet sie. Sie verweist auf ihre Songs, auf „Wann wachen wir auf“etwa, wo es heißt: „Wann legen wir gemeinsam los? / Wir sitzen doch im gleichen Boot / Doch wir treiben auseinander, finden keinen Anker / Schwimm’n leise mit dem Strom.“
Helene Fischer gelingt es, jedem Einzelnen in der Masse das Gefühl zu geben, sie tue das alles nur seinetwegen. Zugleich schafft sie es zumeist, mit einem Minimum an Infos über sich ein Leben als Deutschlands populärster Star zu führen. So ist die Versuchung groß, einen Blick auf die wahre Persönlichkeit hinter der Bühnenpersona zu werfen. Ob sie denn manchmal auch einen Fehler mache, fragt jemand. Die Antwort ist so schön wie ein Weltraumgleitflug zurück zur Erde.
Sie lautet: „Ich bin eigentlich ganz normal.“
Sie wird kopfüber auf einer Drehleiter singen, ein gewaltiges Wasserbecken und einen Feuerring gibt es auch