Der Kanzler pokert hoch
Olaf Scholz steht im Sonnenschein auf der Prager Burg und blickt kurz ins Weite. Gerade hat der deutsche Kanzler erneut erklärt, warum das deutsche Doppelwumms-Paket die Europäische Union nicht aus den Angeln hebt. Es gibt einen neuen Ton, den die EU-Partner bei den Deutschen heraushören. Während Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel nächtelang an großen Kompromissen schmiedete, macht ihr Nachfolger ab einem bestimmten Punkt seinen Gesprächspartnern deutlich: Hier wird Deutschland nicht weichen. Wie das in Brüssel auf Dauer ankommt, ist noch ungewiss.
Daheim in Deutschland reibt man sich unterdessen verwundert die Augen. Denn noch gibt es gar nichts Konkretes, keine Beschlüsse, die man ins Schaufenster stellen könnte. Wofür und wie genau die 200 Milliarden Euro, die Scholz in Brüssel verteidigt, eingesetzt werden sollen: alles unklar. Zunächst muss die Gaskommission Vorschläge zum Gaspreisdeckel machen. Darüber muss beraten werden. Die Steuerschätzung Ende Oktober soll ebenfalls abgewartet werden. Dann wird es erneut Beratungen von Bund und Ländern geben. Was mit dem dritten Entlastungspaket geschieht? Auch hier gibt es bislang keine Antworten.
Es sind also viele Baustellen gerade für den deutschen Kanzler: Russlands Angriffskrieg in der Ukraine mit gefährlicher, möglicherweise sogar atomarer Zuspitzung. Energie- und Inflationskrise in Deutschland, immense Verschuldung inbegriffen. Die Rückkehr der Flüchtlingskrise in einem derzeit ohnehin bedrängten Land. Und am Sonntag eine Landtagswahl in Niedersachsen mit unklaren Folgen für die Ampelkoalition in Berlin.
Der Bundeskanzler pokert hoch – er ist sich der mannigfachen Herausforderungen durchaus bewusst. Und bleibt doch selbstbewusst bei dem, was er für den richtigen Kurs hält. Scheitern inbegriffen.