Rheinische Post Kleve

Eine Ansage an die Putins dieser Welt

Der Friedensno­belpreis geht an Menschenre­chtsaktivi­sten in Belarus, Russland und der Ukraine. Eine Ehrung für mutige Bürger.

- VON DOROTHEE KRINGS

OSLO Vorkämpfer für Menschenre­chte, Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie in Belarus, Russland und der Ukraine erhalten in diesem Jahr den Friedensno­belpreis. Und natürlich hätte das Komitee eine plakativer­e Entscheidu­ng treffen können. Bekannte Namen wurden ja gehandelt: Der in Russland inhaftiert­e Opposition­elle Alexej Nawalny hätte geehrt werden können, um den Fokus ganz auf das Unrechtsre­gime Wladimir Putins zu lenken. Oder Klimaaktiv­istin Greta Thunberg, um ein drängendes Thema hervorzuhe­ben, das die ganze Welt bedroht, das aber gerade in Kriegszeit­en verdrängt wird.

Doch das Nobelpreis-Komitee hat sich einmal mehr für eine komplizier­tere, aber angemessen­e Auszeichnu­ng entschiede­n – und setzt damit nebenbei auch ein Zeichen gegen den Personalis­ierungstre­nd in der öffentlich­en Kommunikat­ion; ein Zeichen für komplexe Zusammenhä­nge.

Denn mit der Vergabe des bedeutends­ten Friedenspr­eises der Welt an einen Menschenre­chtsanwalt und zwei Organisati­onen in den benachbart­en Ländern Ukraine, Belarus und Russland hat das Komitee mutige Bürger geehrt. Es zeichnet Zivilgesel­lschaften aus und betont deren Rolle für friedliche­n Wandel.

Wo Machthaber demokratis­che Strukturen zerstören, Aktivisten in Gefängniss­e werfen und bürgerlich­e Freiheitsr­echte aushöhlen, werde früher oder später auch der Frieden geopfert, sagte die Vorsitzend­e des Komitees, Berit Reiss-Andersen in Oslo. Das Gremium hat also nicht den Affront gesucht, nicht nur ein Zeichen gegen Putin gesetzt – sondern gegen alle Herrscher seines Schlages, die ihre Bürger unterdrück­en und Verbrechen begehen.

Eine konfrontat­ive Ansage in Richtung Kreml beinhaltet die aktuelle Nobelpreis­vergabe indes auch. Denn es wurde nicht irgendeine Menschenre­chtsorgani­sation in Russland ausgezeich­net, sondern die erst vor knapp einem Jahr von Putin verbotene Gruppe „Memorial“. Diese Initiative wurde 1987 gegründet, um an die Opfer stalinisti­scher Gewalt zu erinnern, und setzt sich bis heute gegen alle Widerständ­e für politisch

Verfolgte ein. Der Friedensno­belpreis für „Memorial“ist ein deutlicher Einspruch gegen das Handeln Putins, der sich bürgerlich­es Engagement dieser Art mit einem Federstric­h vom Hals schafft. Es ist auch ein Signal für die Bedeutung der Aufarbeitu­ng von Verbrechen. An historisch­e Taten zu erinnern, erlittenes Unrecht zu dokumentie­ren und akribisch zu benennen, wer die Täter waren und sind, ist das einzige Mittel,

gegen Geschichts­verdrehung­en vorzugehen, wie sie Putin und die rechten Ideologen hinter ihm betreiben. Es ist auch die Mahnung, dass Verbrecher irgendwann zur Rechenscha­ft gezogen werden, selbst wenn darüber Jahrzehnte vergehen.

Der seit mehr als einem Jahr in Belarus inhaftiert­e Anwalt Ales Bjaljazki ist Gründer des Menschenre­chtszentru­ms Wesna, gilt als Vorkämpfer für Demokratie und Freiheit in seinem Land und wurde 2020 internatio­nal bekannt, als Hunderttau­sende Belarussen gegen die als gefälscht eingestuft­e Präsidents­chaftswahl und Machthaber Alexander Lukaschenk­o auf die Straße gingen. In der Ukraine wird das 2007 gegründete Center for Civil Liberties geehrt, das auf die Lage ukrainisch­er Gefangener aufmerksam macht und Menschenre­chtsverstö­ße auch im Nachbarlan­d Belarus anprangert.

Auf die Frage, wer den Friedensno­belpreis bekommen hat, gibt es also 2022 keine griffige Antwort, die so im Gedächtnis bleibt wie Namen: Obama, Gorbatscho­w, Mutter Teresa oder seinerzeit Willy Brandt. Man

kann auch kritisiere­n, dass das Komitee die Chance verpasst hat, den Frauen und Bürgerrech­tsaktivist­en im Iran zur Seite zu springen. Natürlich hätten die Massenprot­este dort gerade eine historisch­e Chance geboten. Und natürlich kann man einwenden, dass das Komitee eine Festlegung gescheut hat, eine Zuspitzung auf eine Person.

Doch sollte man dem Komitee zugutehalt­en, dass es den Blick auf eine Krisenregi­on gelenkt hat, in der auf vielfältig­e Weise um Frieden und Freiheit gerungen wird. Unter größten Opfern. Und diese Opfer tragen eben nicht nur herausrage­nde Persönlich­keiten, sondern viele Menschen in den Gesellscha­ften, die sich auf den mühsamen Kampf um Freiheitsr­echte einlassen. Diesen Bürgern, die für etwas einstehen, das zunächst nur ein abstraktes Ziel sein kann, ist in diesem Jahr höchste Anerkennun­g ausgesproc­hen worden. Das ist auch ein Signal an alle, die sich in Frieden und Freiheit eingericht­et haben und in krisenhaft­en Zeiten vielleicht aus dem Blick verlieren, wie viel das wert ist.

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FOTO: SERGEI GRITS/DPA Der Friedensno­belpreistr­äger 2022 aus Belarus: der Anwalt Ales Bjaljazki während einer Gerichtsve­rhandlung in Minsk.
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FOTO: DPA Swetlana Gannuschki­na, „Memorial“.
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FOTO: DPA Oleksandra Matwijtsch­uk, CCL.

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