Eine Ansage an die Putins dieser Welt
Der Friedensnobelpreis geht an Menschenrechtsaktivisten in Belarus, Russland und der Ukraine. Eine Ehrung für mutige Bürger.
OSLO Vorkämpfer für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Belarus, Russland und der Ukraine erhalten in diesem Jahr den Friedensnobelpreis. Und natürlich hätte das Komitee eine plakativere Entscheidung treffen können. Bekannte Namen wurden ja gehandelt: Der in Russland inhaftierte Oppositionelle Alexej Nawalny hätte geehrt werden können, um den Fokus ganz auf das Unrechtsregime Wladimir Putins zu lenken. Oder Klimaaktivistin Greta Thunberg, um ein drängendes Thema hervorzuheben, das die ganze Welt bedroht, das aber gerade in Kriegszeiten verdrängt wird.
Doch das Nobelpreis-Komitee hat sich einmal mehr für eine kompliziertere, aber angemessene Auszeichnung entschieden – und setzt damit nebenbei auch ein Zeichen gegen den Personalisierungstrend in der öffentlichen Kommunikation; ein Zeichen für komplexe Zusammenhänge.
Denn mit der Vergabe des bedeutendsten Friedenspreises der Welt an einen Menschenrechtsanwalt und zwei Organisationen in den benachbarten Ländern Ukraine, Belarus und Russland hat das Komitee mutige Bürger geehrt. Es zeichnet Zivilgesellschaften aus und betont deren Rolle für friedlichen Wandel.
Wo Machthaber demokratische Strukturen zerstören, Aktivisten in Gefängnisse werfen und bürgerliche Freiheitsrechte aushöhlen, werde früher oder später auch der Frieden geopfert, sagte die Vorsitzende des Komitees, Berit Reiss-Andersen in Oslo. Das Gremium hat also nicht den Affront gesucht, nicht nur ein Zeichen gegen Putin gesetzt – sondern gegen alle Herrscher seines Schlages, die ihre Bürger unterdrücken und Verbrechen begehen.
Eine konfrontative Ansage in Richtung Kreml beinhaltet die aktuelle Nobelpreisvergabe indes auch. Denn es wurde nicht irgendeine Menschenrechtsorganisation in Russland ausgezeichnet, sondern die erst vor knapp einem Jahr von Putin verbotene Gruppe „Memorial“. Diese Initiative wurde 1987 gegründet, um an die Opfer stalinistischer Gewalt zu erinnern, und setzt sich bis heute gegen alle Widerstände für politisch
Verfolgte ein. Der Friedensnobelpreis für „Memorial“ist ein deutlicher Einspruch gegen das Handeln Putins, der sich bürgerliches Engagement dieser Art mit einem Federstrich vom Hals schafft. Es ist auch ein Signal für die Bedeutung der Aufarbeitung von Verbrechen. An historische Taten zu erinnern, erlittenes Unrecht zu dokumentieren und akribisch zu benennen, wer die Täter waren und sind, ist das einzige Mittel,
gegen Geschichtsverdrehungen vorzugehen, wie sie Putin und die rechten Ideologen hinter ihm betreiben. Es ist auch die Mahnung, dass Verbrecher irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden, selbst wenn darüber Jahrzehnte vergehen.
Der seit mehr als einem Jahr in Belarus inhaftierte Anwalt Ales Bjaljazki ist Gründer des Menschenrechtszentrums Wesna, gilt als Vorkämpfer für Demokratie und Freiheit in seinem Land und wurde 2020 international bekannt, als Hunderttausende Belarussen gegen die als gefälscht eingestufte Präsidentschaftswahl und Machthaber Alexander Lukaschenko auf die Straße gingen. In der Ukraine wird das 2007 gegründete Center for Civil Liberties geehrt, das auf die Lage ukrainischer Gefangener aufmerksam macht und Menschenrechtsverstöße auch im Nachbarland Belarus anprangert.
Auf die Frage, wer den Friedensnobelpreis bekommen hat, gibt es also 2022 keine griffige Antwort, die so im Gedächtnis bleibt wie Namen: Obama, Gorbatschow, Mutter Teresa oder seinerzeit Willy Brandt. Man
kann auch kritisieren, dass das Komitee die Chance verpasst hat, den Frauen und Bürgerrechtsaktivisten im Iran zur Seite zu springen. Natürlich hätten die Massenproteste dort gerade eine historische Chance geboten. Und natürlich kann man einwenden, dass das Komitee eine Festlegung gescheut hat, eine Zuspitzung auf eine Person.
Doch sollte man dem Komitee zugutehalten, dass es den Blick auf eine Krisenregion gelenkt hat, in der auf vielfältige Weise um Frieden und Freiheit gerungen wird. Unter größten Opfern. Und diese Opfer tragen eben nicht nur herausragende Persönlichkeiten, sondern viele Menschen in den Gesellschaften, die sich auf den mühsamen Kampf um Freiheitsrechte einlassen. Diesen Bürgern, die für etwas einstehen, das zunächst nur ein abstraktes Ziel sein kann, ist in diesem Jahr höchste Anerkennung ausgesprochen worden. Das ist auch ein Signal an alle, die sich in Frieden und Freiheit eingerichtet haben und in krisenhaften Zeiten vielleicht aus dem Blick verlieren, wie viel das wert ist.