„Staatshilfe nur bei Jobgarantie“
Die Chefin des Gewerkschaftsbundes über die anstehenden Lohnforderungen, Maßnahmen gegen die Energiekrise und den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen.
Frau Fahimi, das Bund-LänderTreffen zu Gaspreisbremse und Entlastungspaket blieb ohne Ergebnisse, stattdessen gab es Streit vor allem mit den CDU-Ländern. Wie kommt das bei Bürgern und Unternehmen an?
FAHIMI Die letzte Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler war enttäuschend. Die Länder wären gut beraten, wenn sie sich aktiver in die Krisenbewältigung einbringen würden. Wir befinden uns in einer wirtschaftlichen Notlage. Es ist doch klar, dass sich da auch die Länder angemessen beteiligen müssen.
Die Bundesregierung pumpt sich kurzfristig 200 Milliarden Euro in ein Sondervermögen, um Gas- und Strompreise zu deckeln. Wäre es nicht ehrlicher gewesen, die Schuldenbremse 2023 auszusetzen? FAHIMI Das Sondervermögen ist sinnvoll, weil es zweckgebunden auf die Linderung der Energiepreiskrise ausgerichtet ist und finanziellen Spielraum über einen längeren Zeitraum schafft. Es ist aber auch an der Zeit, die starre und damit kontraproduktive Schuldenbremse im Bund und in den Ländern zu überwinden. Die Situation ist durch den russischen Gaslieferstopp äußerst angespannt. Für viele Industriebetriebe geht es um nichts weniger als das wirtschaftliche Überleben. Und auch im Handwerk und in vielen Dienstleistungsbereichen bangen die Beschäftigten um Arbeit und Zukunftschancen. Was muss noch passieren, bis alle begreifen, dass die Schuldenbremse in Bund und Ländern nur unsere Zukunftschancen ausbremst?
Warum reicht der 200-MilliardenFonds nicht?
FAHIMI Wir haben einen RiesenNachholbedarf bei Investitionen in Verkehrswege und Digitalisierung, im Gesundheitswesen, in Schulen und Universitäten. Hier ist der Bund in den vergangenen Jahren auch schon in Vorleistung gegangen und hat die Länder immer wieder mit Milliarden unterstützt. Die Länder sind daher jetzt in der Mitverantwortung, das, was ihre Aufgabe im föderalen System ist, etwa bei Bildung und Infrastruktur: aus ihren Haushalten stärker mitzufinanzieren. Die Länder könnten, wie der Bund auch, die Schuldenbremse 2022 noch aussetzen und Sondervermögen für die Zukunft schaffen.
Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle und Massenentlassungen?
FAHIMI Wir können das durch aktives und verantwortliches Handeln verhindern. Deswegen kämpfen wir ja schon lange für die Gaspreisbremse. Wenn die Energiepreise gedeckelt werden und gleichzeitig ein Anreiz zum Energiesparen gesetzt wird, kommen die Menschen und die Unternehmen hoffentlich über diesen Winter. Zusätzlich werden gerade die energieintensiven Unternehmen staatliche Hilfen benötigen. Im Gegenzug erwarten wir aber von den Betrieben Standorttreue. Alle staatlichen Hilfen müssen deutlicher mit Beschäftigungsgarantien und mit der Zusage von Zukunftsinvestitionen verbunden sein.
Was muss die Gas-Expertenkommission bei Unternehmen beachten?
FAHIMI Manche Unternehmen brauchen lediglich Überbrückungshilfen, um zahlungsfähig zu bleiben. Wenn besonders energieintensive Unternehmen ihre Produktion vorübergehend herunterfahren, sollten wir darüber nachdenken, solche Energiesparmaßnahmen zu belohnen. In diesem Fall wollen wir begleitend durchsetzen, dass die Unternehmen mit dem Kurzarbeitergeld nicht nur Personalkosten sparen, sondern im Gegenzug auch in die Zukunft und Qualifizierung der Beschäftigten investieren.
Bringt die konzertierte Aktion aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Staat, die der Bundeskanzler ins Leben gerufen hat, tatsächlich konkrete Ergebnisse?
FAHIMI Ja, wir haben schon eine Menge Ergebnisse erzielt. Zum Beispiel, dass es jetzt eben nicht um Lohnzurückhaltung, sondern um Kaufkraft-Stabilisierung geht, dass wir die Energiepreise deckeln müssen und dass wir eine ExpertenKommission eingesetzt haben.
Was spricht eigentlich dagegen, dass die Lohnverhandlungen in der akuten Krise im Kanzleramt stattfinden?
FAHIMI (lacht) Die Lohnfindung findet in Deutschland aus guten Gründen über Tarifpolitik in den Branchen statt. Nur so schaffen wir praktische und gerechte Lösungen. Die Sozialpartnerschaft entlastet die Politik von sozialen Konflikten. Ich kann nur davor warnen, dieses erfolgreiche Modell durch eine Art staatlichen Lohnzentralismus ersetzen zu wollen. Dann würde Deutschland keinen sozialen Frieden mehr finden. Wir Gewerkschaften sind Teil des ökonomischen Sachverstands, unsere Gestaltungsaufgaben gehen weit über die Lohnfindung hinaus, beispielsweise in der Transformation. Das steht für uns im Zentrum, nicht irgendwelche Fantasien von Staatsallmacht.
Die Inflation liegt bei annähernd zehn Prozent. Streben Sie einen Lohnausgleich in dieser Höhe an?
FAHIMI Die Lage in den Branchen und Betrieben ist extrem unterschiedlich. Die Tarifverhandlungen unserer Mitgliedsgewerkschaften sind stets von hoher Verantwortung geprägt – für die Betriebe und für die Beschäftigten. Klar ist: Der gerechte Anteil am gemeinsam erwirtschafteten Erfolg muss sich in den Tarifverträgen niederschlagen.
Steigt durch den erhöhten Mindestlohn der Druck, die Löhne in unteren Einkommensgruppen generell anzugleichen?
FAHIMI Ja, das ist auch gut so. Durch den Mindestlohn gibt es einen Fahrstuhleffekt gerade in den niedrigeren Entgeltgruppen. Denn der Mindestlohn ist kein Standardlohn. Gute Löhne entstehen durch gute Tarifverträge. Deswegen passen wir momentan in vielen Branchen die Tarifverträge an, damit die unteren Lohngruppen insgesamt steigen.
Ist das Bürgergeld für Sie ein rundum gelungenes Konzept?
FAHIMI Es gibt auf jeden Fall viele wichtige Korrekturen mit dem Bürgergeld, etwa in Fragen der Angemessenheit der Wohnung, beim Schonvermögen, bei der Unterstützung von Qualifizierungsmaßnahmen oder auch beim Wegfall vieler Sanktionen. Das alles halte ich für sehr richtig, ebenso wie die jetzt angekündigte Erhöhung der Regelbedarfssätze um voraussichtlich 53 Euro, also zwölf Prozent.
Wird die Solidarität der Erwerbstätigen und Steuerzahler damit nicht überstrapaziert?
FAHIMI Nein, ich finde die Spaltung zwischen Erwerbslosen und den Gruppen mit kleineren Einkommen, die von manchen vorangetrieben wird, brandgefährlich. Gerade diejenigen, die jetzt kritisieren, das Bürgergeld sei zu hoch und gebe keinen Anreiz mehr zum Arbeiten, handeln verantwortungslos. Zum einen, weil sie den Erwerbslosen einreden, es würde sich nicht lohnen zu arbeiten. Das stimmt de facto nicht. Gerade durch den höheren Mindestlohn bleiben die Abstände zwischen Leistungsbeziehern und unteren Einkommen bei mehreren Hundert Euro im Monat. Zum zweiten ist es verantwortungslos gegenüber denjenigen, die jeden Tag aufstehen und zur Arbeit gehen. Ihnen wird eingeredet, dass auf ihre Kosten Leute zu dem gleichen Einkommen faul zu Hause liegen bleiben. Das stimmt so nicht. Damit wird am gesellschaftlichen Zusammenhalt gezündelt.
Der vorgezogene Kohleausstieg im Rheinischen Revier soll für die Beschäftigten zu den gleichen Bedingungen ablaufen wie der eigentlich geplante Ausstieg 2038. Stellt Sie das zufrieden?
FAHIMI Die Entscheidung ist grundsätzlich nachvollziehbar. Es ist jetzt kurzfristig notwendig, die Kohlekraftwerke möglichst auf Volllast am Netz zu halten. Mit Blick auf die Klimaziele dann aber die gesamte Laufzeit zu verkürzen und 280 Millionen Tonnen Kohle in der Erde zu belassen, ist eine sehr kluge Entscheidung.
Und für die Beschäftigten?
FAHIMI Die Unterstützungsmaßnahmen müssen natürlich an die neuen Umstände angepasst werden. Denn durch den vorgezogenen Kohleausstieg werden die Anpassungsgelder für mehr Beschäftigte relevant, die dann noch zu jung sind, um in die Rente zu wechseln. Sie müssen noch einmal in neue Beschäftigung gebracht werden. Die sozialen Maßnahmen müssen so angepasst werden, dass niemand ins Bergfreie fällt. Und auch die Strukturentwicklung muss beschleunigt werden. Die Strukturhilfen des Bundes müssen deshalb stärker auf neue Wertschöpfung und Arbeitsplätze fokussiert werden.