Rheinische Post Kleve

Beim Wohngeld drohen große Probleme

Das Land rechnet mit einer Vervielfac­hung der Anträge und Mehrkosten von Hunderten Millionen Euro.

- VON SINA ZEHRFELD

DÜSSELDORF Dreimal so viele Menschen wie bisher sollen ab Januar in NRW ein Recht auf Wohngeld haben. Das könnte vielen über den Winter helfen – theoretisc­h. Praktisch könnte es aber leicht Sommer werden, bis die Berechtigt­en das Geld erhalten. Kommunen, der Sozialverb­and VdK und NRW-Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch (CDU) warnen einhellig.

„Wir haben in Nordrhein-Westfalen aktuell rund 150.000 bis 160.000 wohngeldbe­rechtigte Haushalte“, sagte Scharrenba­ch unserer Redaktion. „Ab 1. Januar 2023 steigt diese Anzahl auf geschätzte rund 450.000 bis 480.000 Haushalte.“Schon auf diese Verdreifac­hung der Fälle sind die Wohngeldst­ellen in den Städten nicht eingericht­et. Aber damit nicht genug, so Scharrenba­ch: „Wir rechnen mit einer Vervielfac­hung der Antragszah­len. Denn es werden auch Personen den Antrag stellen, die mit ihrem

Einkommen über den neuen Einkommens­grenzen liegen.“

Schon heute vergingen häufig drei bis vier Monate, bis die Anträge in den Kommunen bearbeitet seien, sagte der Landesvors­itzende des Sozialverb­ands VdK, Horst Vöge. Er warnte: „Die Menschen werden sich verschulde­n müssen, wenn das Geld erst im Juni kommt.“Der Städteund Gemeindebu­nd NRW wiederum spricht von einem „immensen Mehraufwan­d“durch die Reform, der die Bearbeitun­gszeiten verlängern werde. „Fehlendes Personal in den Wohngeldst­ellen kann so kurzfristi­g nicht aufgestock­t werden, und auch digitale Lösungen werden so schnell nicht flächendec­kend zur Verfügung stehen“, so der Beigeordne­te Rudolf Graaff.

„Eine digitale Antragstel­lung wird in Nordrhein-Westfalen voraussich­tlich erst im zweiten Quartal 2023 möglich sein“, bestätigte Ministerin Scharrenba­ch. „So lange dauert es, bis die geforderte­n Änderungen programmie­rt sein werden.“Sie wirft der Ampelkoali­tion in Berlin vor, Erwartunge­n zu wecken, die zwangsläuf­ig enttäuscht werden. Das führe zu Verdrossen­heit und schüre Unmut auf die staatliche­n Institutio­nen.

Der Städte- und Gemeindebu­nd fordert, dass die Reform nur gestaffelt inkraft tritt und die Wohngeldve­rfahren vereinfach­t werden, etwa mit simpleren Mechanisme­n zur Überprüfun­g von Einkommens­verhältnis­sen. Auch könnte man auf „Bagatellrü­ckforderun­gen“verzichten, wenn Empfängern versehentl­ich etwas zu viel bezahlt wurde.

Unbeantwor­tet sind zudem Finanzieru­ngsfragen. Derzeit tragen Bund und Land die Wohngeldko­sten jeweils zur Hälfte. Bleibt es dabei, dann müsste NRW nach Berechnung des Kommunalmi­nisteriums 2023 nach der Wohngeld-Novelle 418 Millionen Euro mehr bezahlen. Bis einschließ­lich 2026 ergäbe sich für das Land den Prognosen zufolge eine Mehrbelast­ung von insgesamt 1,6 Milliarden Euro. Die Bundesländ­er wünschen, dass der Bund die Wohngeldko­sten künftig komplett übernimmt. Bislang gibt es keine Einigung. VdK-Landeschef Horst Vöge stellte fest, dass das bei denen, die auf Hilfe hoffen, überhaupt nicht gut ankomme. „Es wird gepokert“, kritisiert­e er. „Die Menschen fühlen sich verlassen und veräppelt.“

Die grundsätzl­ichen Zielsetzun­gen der Wohngeldre­form begrüßen sowohl das Land als auch die Verbände.

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FOTO:BRETZ Ministerin Ina Scharrenba­ch.

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