„Die Bierbrauer müssen die Preise erhöhen“
Der Chef des Brauereiverbandes NRW über die Folgen der Energiekrise für die Branche und seine Forderungen an die Politik.
Herr Hollmann, es ist nach dem Treffen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten und vor der nächsten Zusammenkunft der Gaskommission – wie beurteilen Sie die Lage?
HOLLMANN Die Gaskommission arbeitet seit Wochen, und es passiert zumindest nach außen nichts. Wir haben überhaupt keine Planungssicherheit und werden ständig von neuen Entwicklungen überrascht. Bei den Brauern ist alles teurer geworden, wie beispielsweise Glas, Paletten, Kronkorken, Etiketten und, und, und. Zudem stehen 2023 bei uns Tarifverhandlungen an.
Und was erwarten Sie jetzt?
HOLLMANN 200 Milliarden Euro sollen zur Verfügung stehen, aber niemand weiß, wofür. Wir brauchen jetzt Planungssicherheit und Tempo bei der Festlegung der Energiekosten für Gas und Strom. Wir sind nach wie vor zu langsam. Es braucht jetzt rasch klare Zusagen, welche Hilfen in welcher Höhe fließen. Das gilt für den Mittelstand genauso wie für Bürgerinnen und Bürger. Versorger verschicken ja jetzt Rechnungen, die man bezahlen muss. Auch gibt es neue, deutlich höhere Abschläge für Strom und Gas. Der Gas- beziehungsweise Strompreisdeckel muss klar sein und muss eigentlich für das komplette Jahr gelten. Damit wäre uns schon sehr geholfen. Wenn man die Höhe der Energiekosten nicht kennt und wichtige Roh- und Hilfsstoffe fast täglich teurer werden, kann man nicht planen.
Was sagt das Land NordrheinWestfalen?
HOLLMANN Momentan gar nichts. Solange nicht auf Bundesebene klare Entscheidungen gefallen sind, kommen auch aus NRW keine Antworten.
Wenn nicht genug Gas da wäre – wäre die Bierproduktion dann systemrelevant?
HOLLMANN Während der Pandemie waren wir das. Wie das in der jetzigen Situation aussieht, kann ich leider nicht sagen, da mir dazu keine Informationen vorliegen. Bolten könnte zwar glücklicherweise auf Leichtöl statt Gas umsteigen, aber das können nicht alle Brauereien. Die müssten dann wahrscheinlich schließen. Wer neue Anträge zur Umstellung auf Leichtöl stellen müsste, hätte einen langen Weg nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu gehen. Da wäre auch mehr Tempo notwendig. Im Übrigen würde die Bierherstellung bei Verwendung von Leichtöl noch teurer werden.
Also überleben manche nicht?
HOLLMANN Wir werden das überleben, aber wohl auch deutliche Verluste machen. Da sind viele andere in ihrer Existenz gefährdet. Wie viele, kann ich auch nicht sagen. Am schwersten tun sich am Ende wohl die mittelgroßen und kleinen Betriebe.
Was ist mit der Kohlensäure? Die fehlt doch auch.
HOLLMANN An technischer Kohlensäure fehlt es überall, weil aufgrund der hohen Gaspreise so gut wie keine Düngemittelproduktion stattfindet, bei deren Produktion Kohlensäure als Nebenprodukt anfällt. Das trifft Mineralbrunnen, Brauereien und andere Unternehmen der Lebensmittelindustrie. Wir nutzen natürliche Kohlensäure, aber die wird dann natürlich auch knapp, weil die Nachfrage massiv gestiegen ist.
Sie haben jetzt, wie andere, gefordert, dass alle verfügbaren Energieträger ans Netz gehen sollen. HOLLMANN 13 Prozent des Gases wurden im Sommer für die Stromproduktion genutzt, und andererseits müssen Kraftwerke vom Netz. Das kann nicht sein. Alles Gas, das kommt, muss in die Speicher. Man muss Kraftwerke ja nicht für Jahre am Netz lassen – egal, ob Atom- oder Kohlekraftwerke –, aber möglichst bis zum Ende der Energiekrise.
Ist das politisch durchsetzbar? HOLLMANN Man muss für eine begrenzte Zeit in den sauren Apfel beißen. Wenn man das nicht tut und die Energiepreise nicht runtergehen, wird es Proteste geben, weil viele Menschen und Unternehmen an ihre Existenzgrenzen kommen.
Wenn beim Bierbrauen alles teurer geworden ist, muss das Bier dann auch teurer werden?
HOLLMANN Da muss was passieren. Aufgrund der jetzigen Preissteigerungssituation werden sich die Brauereien hierzu insgesamt gezwungen sehen. Die Preise sind aktuell so wie vor 20 Jahren, da hat sich nichts bewegt. Der Chef einer großen deutschen Brauerei hat jüngst gesagt, mehr als zehn bis zwölf Euro Aktionspreis auf einen Kasten seien derzeit nicht drin. Das sagt alles.
In der Gastronomie spürt man die Preissteigerung. Führt der Preisschub da zur mehr Zurückhaltung der Kunden?
HOLLMANN Das ist auch unsere große Sorge, dass die Menschen weniger einkaufen und weniger in die Gastronomie gehen. Die Menschen werden sparsamer werden, das ist keine Frage. Wir erleben jetzt das dritte Jahr mit einer Krise, alle werden langsam müde. Umso wichtiger wären deshalb klare und zeitnahe Aussagen der Politik.
Die Pandemie hat teils zu einem Gastro-Sterben geführt. Droht jetzt der zweite Schub?
HOLLMANN Es wird für die Gastronomie schwer – nicht nur wegen der zunehmenden Sparneigung, sondern auch wegen des Mangels an Arbeitskräften und insbesondere wegen der Energiepreise. Da haben Biergärten mitunter gar nicht mehr aufgemacht, oder Restaurants haben mehrere Tage pro Woche generell geschlossen. Die Gastronomie dürfte etwa 20 Prozent der Beschäftigten – hier vor allem die Fachkräfte – verloren haben. Viele sind zu Onlineunternehmen, Dienstleistern und vor allem Logistikern gegangen.