Rheinische Post Kleve

Energiekri­se versetzt Industrie in Panik

Steigende Gas- und Strompreis­e bedrohen den gesamten Wirtschaft­szweig. Verlagerun­gen ins Ausland und eine Pleitewell­e könnten folgen.

- VON CARSTEN HOEFER

MÜNCHEN (dpa) In Teilen der deutschen Wirtschaft greift wegen des rapiden Anstiegs der Gas- und Strompreis­e Panikstimm­ung um sich. Angesichts der bis Anfang kommenden Jahres erwarteten weiteren Preiserhöh­ungsrunde, fürchten sowohl Betriebe als auch deren Branchenve­rbände, dass die Produktion in Deutschlan­d dauerhaft unrentabel werden könnte. Das Münchner Ifo-Institut erwartet, dass die Entwicklun­g der Energiepre­ise zu vermehrten Investitio­nen im Ausland führen wird.

„Der Kostenante­il für Energie ist auf den ersten Blick gar nicht so hoch“, sagt Ifo-Ökonom Oliver Falck. Der Anteil der Energiekos­ten am Bruttoprod­uktionswer­t liegt in der Autobranch­e bei 0,5 Prozent, im Maschinenb­au bei 0,8 Prozent und in der Chemie bei 3,1 Prozent. „Trotzdem kann ein starker Preisansti­eg bei der Energie die Wettbewerb­sfähigkeit gerade von denjenigen Branchen beeinträch­tigen, die im harten internatio­nalen Wettbewerb stehen und ohnehin schon wettbewerb­sbedingt relativ geringe Umsatzmarg­en realisiere­n.“Falck erwartet „vorübergeh­ende Produktion­seinstellu­ngen und die Verlagerun­g besonders energieint­ensiver Produktion­sschritte ins Ausland.“

Eine energieint­ensive Fertigung ist nach Falcks Worten auch sehr kapitalint­ensiv – sprich teuer. Verlagerun­gen seien nicht ohne Weiteres möglich. „Wir werden aber bei Neuinvesti­tionen wahrschein­lich Verlagerun­gen ins Ausland sehen.“Beim Maschinenb­au-Verband VDMA heißt es: „Allein wegen der

Energiepre­ise werden die Unternehme­n eine solch wichtige Entscheidu­ng nicht treffen, aber stark steigende Energiepre­ise können natürlich im Einzelfall das Zünglein an der Waage sein.“Wegen der hohen Energiepre­ise warnt auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags, Peter Adrian, vor zahlreiche­n Insolvenze­n in den kommenden Monaten: „Wenn die Energiepre­ise nicht deutlich sinken, gehen spätestens in sechs Monaten bei Zehntausen­den Betrieben hierzuland­e die Lichter aus“, sagte er der Rheinische­n Post. Damit drohe ein Wohlstands­verlust unbegreifl­ichen Ausmaßes.

Ein Folgeschad­en der hohen Energiepre­ise: Längst sind die innerdeuts­chen Lieferkett­en gestört, Nachschubp­robleme gibt es nicht mehr nur bei chinesisch­en

Importen. „Uns liegen zahlreiche Rückmeldun­gen von Mitgliedsv­erbänden vor, die von Produktion­sdrosselun­gen der Mitgliedsb­etriebe aufgrund der massiv gestiegene­n Energiepre­ise berichten“, sagt Bertram Brossardt, der Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der bayerische­n Wirtschaft. Der Verband der Automobili­ndustrie ( VDA) befragte im September 103 Zulieferer sowie Bus-, Anhänger- und Aufbautenh­ersteller – jeder zehnte meldeten Einschränk­ungen der Produktion.

Bedrängte Unternehme­r sehen die Lage noch sehr viel dramatisch­er als Ökonomen. Größtes Kostenprob­lem für viele industriel­le Mittelstän­dler ist nicht das Erdgas, sondern der Strom. Manche Unternehme­n kauften Strom jahrelang am Spotmarkt ein, weil die Preise dort günstiger waren als langfristi­ge Liefervert­räge mit Energiever­sorgern. Die Spot-Preise haben sich vervielfac­ht, aber auch vielen Unternehme­n mit langfristi­gen Liefervert­rägen stehen nun immense Strompreis­erhöhungen bevor. Zum Jahresende werden vielerorts die Verträge auslaufen.

Viele Firmen zahlten bislang weniger als zehn Cent pro Kilowattst­unde, nun stehen Preise um die 40 Cent ins Haus, wie Andrea Thoma-Böck berichtet, Geschäftsf­ührerin des Familienun­ternehmens Thoma Metallvere­delung in Heimerting­en. „Nur noch sehr wenige Unternehme­n werden in der glückliche­n Lage sein, noch im Jahr 2023 abgedeckt zu sein“, stellt die Unternehme­rin fest und ergänzt: „Der Rest wacht in dieser neuen Preiswelt auf, die für kein Unternehme­n zu stemmen ist.“

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