Energiekrise versetzt Industrie in Panik
Steigende Gas- und Strompreise bedrohen den gesamten Wirtschaftszweig. Verlagerungen ins Ausland und eine Pleitewelle könnten folgen.
MÜNCHEN (dpa) In Teilen der deutschen Wirtschaft greift wegen des rapiden Anstiegs der Gas- und Strompreise Panikstimmung um sich. Angesichts der bis Anfang kommenden Jahres erwarteten weiteren Preiserhöhungsrunde, fürchten sowohl Betriebe als auch deren Branchenverbände, dass die Produktion in Deutschland dauerhaft unrentabel werden könnte. Das Münchner Ifo-Institut erwartet, dass die Entwicklung der Energiepreise zu vermehrten Investitionen im Ausland führen wird.
„Der Kostenanteil für Energie ist auf den ersten Blick gar nicht so hoch“, sagt Ifo-Ökonom Oliver Falck. Der Anteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert liegt in der Autobranche bei 0,5 Prozent, im Maschinenbau bei 0,8 Prozent und in der Chemie bei 3,1 Prozent. „Trotzdem kann ein starker Preisanstieg bei der Energie die Wettbewerbsfähigkeit gerade von denjenigen Branchen beeinträchtigen, die im harten internationalen Wettbewerb stehen und ohnehin schon wettbewerbsbedingt relativ geringe Umsatzmargen realisieren.“Falck erwartet „vorübergehende Produktionseinstellungen und die Verlagerung besonders energieintensiver Produktionsschritte ins Ausland.“
Eine energieintensive Fertigung ist nach Falcks Worten auch sehr kapitalintensiv – sprich teuer. Verlagerungen seien nicht ohne Weiteres möglich. „Wir werden aber bei Neuinvestitionen wahrscheinlich Verlagerungen ins Ausland sehen.“Beim Maschinenbau-Verband VDMA heißt es: „Allein wegen der
Energiepreise werden die Unternehmen eine solch wichtige Entscheidung nicht treffen, aber stark steigende Energiepreise können natürlich im Einzelfall das Zünglein an der Waage sein.“Wegen der hohen Energiepreise warnt auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, vor zahlreichen Insolvenzen in den kommenden Monaten: „Wenn die Energiepreise nicht deutlich sinken, gehen spätestens in sechs Monaten bei Zehntausenden Betrieben hierzulande die Lichter aus“, sagte er der Rheinischen Post. Damit drohe ein Wohlstandsverlust unbegreiflichen Ausmaßes.
Ein Folgeschaden der hohen Energiepreise: Längst sind die innerdeutschen Lieferketten gestört, Nachschubprobleme gibt es nicht mehr nur bei chinesischen
Importen. „Uns liegen zahlreiche Rückmeldungen von Mitgliedsverbänden vor, die von Produktionsdrosselungen der Mitgliedsbetriebe aufgrund der massiv gestiegenen Energiepreise berichten“, sagt Bertram Brossardt, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Der Verband der Automobilindustrie ( VDA) befragte im September 103 Zulieferer sowie Bus-, Anhänger- und Aufbautenhersteller – jeder zehnte meldeten Einschränkungen der Produktion.
Bedrängte Unternehmer sehen die Lage noch sehr viel dramatischer als Ökonomen. Größtes Kostenproblem für viele industrielle Mittelständler ist nicht das Erdgas, sondern der Strom. Manche Unternehmen kauften Strom jahrelang am Spotmarkt ein, weil die Preise dort günstiger waren als langfristige Lieferverträge mit Energieversorgern. Die Spot-Preise haben sich vervielfacht, aber auch vielen Unternehmen mit langfristigen Lieferverträgen stehen nun immense Strompreiserhöhungen bevor. Zum Jahresende werden vielerorts die Verträge auslaufen.
Viele Firmen zahlten bislang weniger als zehn Cent pro Kilowattstunde, nun stehen Preise um die 40 Cent ins Haus, wie Andrea Thoma-Böck berichtet, Geschäftsführerin des Familienunternehmens Thoma Metallveredelung in Heimertingen. „Nur noch sehr wenige Unternehmen werden in der glücklichen Lage sein, noch im Jahr 2023 abgedeckt zu sein“, stellt die Unternehmerin fest und ergänzt: „Der Rest wacht in dieser neuen Preiswelt auf, die für kein Unternehmen zu stemmen ist.“