Bis zu 100 Euro für eine Gans
Alles wird teurer – auch die Martinsgans. Die Frage ist, was den Kunden das traditionelle Festtagsessen wert ist. Manchen Restaurants ist das Risiko zu groß, andere vertrauen auf ihr Stammpublikum.
DÜSSELDORF Wer im Spätherbst im Gasthaus Stevertal in Nottuln einkehrt, weiß, dass es Gänsebraten mit Rotkohl, Kartoffelklößen und Schmorapfel gibt. Los geht es normalerweise am 1. November, bis zu 2000 Portionen verkauft das Restaurant im Münsterland in der Saison, wie Seniorchefin Agnes Elfers erzählt. Doch dieses Jahr ist alles anders. „Die Gans ist zu teuer“, sagt die 75-Jährige. „Für eine Portion müssten wir wegen der gestiegenen Preise fast 38 Euro nehmen, das sind die Gäste garantiert nicht gewillt zu zahlen.“Im vergangenen Jahr hatte das Gasthaus die Gans für 26 Euro auf der Karte. „Das Risiko, dass die Gäste es zu teuer finden, ist für uns zu groß“, sagt die Wirtin. Also wird es in diesem Jahr erstmals seit vielen Jahren keine Martinsgans auf der Speisekarte geben.
So wie Familie Elfers geht es vielen Restaurant-Inhabern in diesem Jahr. Die steigenden Kosten zwingen sie zum Abwägen, was sich lohnt – und was der Gast in Zeiten der Krise bereit ist zu bezahlen. Das Gasthaus im Münsterland ist nicht das Einzige, das notgedrungen auf die traditionelle Martinsgans verzichtet. „In jeder Gans, die im Restaurant verkauft wird, stecken ja neben der eigentlichen Ware auch Anteile für Löhne, Miete, Energie und Dekoration“, sagt Thorsten Hellwig vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) NRW. „Diese Anteile muss jeder Gastronom und jede Gastronomin auf die Gerichte und Getränke umlegen. Verändern sich einzelne Faktoren, müssen sie reagieren und neu kalkulieren.“In diesem Jahr seien nicht nur die Löhne deutlich gestiegen, sondern auch die Kosten für Gänse und weitere Zutaten. „Und was gerade bei den Energiepreisen passiert, weiß jeder“, sagt Hellwig. „Für die Gastronomie stellt sich also konkret die Frage: Biete ich dieses Jahr Gänse an? Passe ich die Preise an? Kann ich ausweichen – vielleicht auf Enten?
Für sich und seinen Betrieb eine Lösung zu finden, ist die große Herausforderung in diesem Herbst.“
Heiner Welchering ist Inhaber der Weinstube Bacchus in Köln. Traditionell gibt es auch hier Gänsebraten im Herbst. Das Restaurant will auch dieses Jahr nicht darauf verzichten. „Wir haben den Mehrkostenpreis auf eine Gans umgelegt, die steigenden Energiekosten dabei aber nicht berücksichtigt“, sagt Welchering. „Man muss die Kirche im Dorf lassen.“Die Portion Gänsebraten mit Rotkohl, Klößen und Maronensoße kostet im Bacchus nun 37,50 Euro. Welchering hofft, dass die Gäste trotzdem kommen. „Wir haben auf jeden Fall jetzt schon viele Reservierungen. Die Gänse sind zwar teurer, aber die Qualität bleibt.“
Auch Manfred Viander, der mit seiner Familie den Sielsdorfer Gänsehof in Hürth bei Köln betreibt, musste auf Krise und Inflation reagieren. Er hat schon im Frühjahr, wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, entschieden, 300 Gänseküken weniger beim Züchter zu kaufen. „Ich wollte kein Risiko eingehen“, sagt er. Schon im Mai haben die Küken doppelt so viel gekostet wie noch im vergangenen Jahr, auch der Preis für das Futter ist um das Doppelte gestiegen. 1500 Gänse wachsen in diesem Jahr auf dem Hof bis zur Schlachtreife im November heran.
Viander und seine Frau Britta führen den Hof in dritter Generation. Zu ihren Kunden gehören zwar auch Restaurants, aber vor allem Privatleute, die auf dem Hof ihre Martinsoder Weihnachtsgans kaufen. Pro Kilo verlangt Viander in diesem Jahr einen Euro mehr. Das Kilo kostet 18,95 Euro, eine ganze Gans zwischen 80 und 100 Euro, wie er sagt. „Ich möchte ja, dass die Leute auch nächstes Jahr wieder zu mir kommen“, sagt er. Auch er hat schon viele Vorbestellungen entgegengenommen. „Die Kunden müssen nichts anzahlen, alles läuft auf Vertrauensbasis“, sagt er. „Ich hoffe, dass alle, die eine Gans bestellt haben, auch kommen.“
Im Gasthaus Stevertal in Nottuln wird es nun eine Alternative zur Gans geben: „Wir machen Ente“, stellt Agnes Elfers fest. Eine halbe Ente mit Rotkohl und Kartoffelklößen werde dann zwischen 22 und 25 Euro kosten. „Ehrlich gesagt, mag ich Ente viel lieber als Gans, weil das Fleisch noch zarter ist“, bemerkt die Wirtin.