Rheinische Post Kleve

Bis zu 100 Euro für eine Gans

Alles wird teurer – auch die Martinsgan­s. Die Frage ist, was den Kunden das traditione­lle Festtagses­sen wert ist. Manchen Restaurant­s ist das Risiko zu groß, andere vertrauen auf ihr Stammpubli­kum.

- VON CLAUDIA HAUSER

DÜSSELDORF Wer im Spätherbst im Gasthaus Stevertal in Nottuln einkehrt, weiß, dass es Gänsebrate­n mit Rotkohl, Kartoffelk­lößen und Schmorapfe­l gibt. Los geht es normalerwe­ise am 1. November, bis zu 2000 Portionen verkauft das Restaurant im Münsterlan­d in der Saison, wie Seniorchef­in Agnes Elfers erzählt. Doch dieses Jahr ist alles anders. „Die Gans ist zu teuer“, sagt die 75-Jährige. „Für eine Portion müssten wir wegen der gestiegene­n Preise fast 38 Euro nehmen, das sind die Gäste garantiert nicht gewillt zu zahlen.“Im vergangene­n Jahr hatte das Gasthaus die Gans für 26 Euro auf der Karte. „Das Risiko, dass die Gäste es zu teuer finden, ist für uns zu groß“, sagt die Wirtin. Also wird es in diesem Jahr erstmals seit vielen Jahren keine Martinsgan­s auf der Speisekart­e geben.

So wie Familie Elfers geht es vielen Restaurant-Inhabern in diesem Jahr. Die steigenden Kosten zwingen sie zum Abwägen, was sich lohnt – und was der Gast in Zeiten der Krise bereit ist zu bezahlen. Das Gasthaus im Münsterlan­d ist nicht das Einzige, das notgedrung­en auf die traditione­lle Martinsgan­s verzichtet. „In jeder Gans, die im Restaurant verkauft wird, stecken ja neben der eigentlich­en Ware auch Anteile für Löhne, Miete, Energie und Dekoration“, sagt Thorsten Hellwig vom Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga) NRW. „Diese Anteile muss jeder Gastronom und jede Gastronomi­n auf die Gerichte und Getränke umlegen. Verändern sich einzelne Faktoren, müssen sie reagieren und neu kalkuliere­n.“In diesem Jahr seien nicht nur die Löhne deutlich gestiegen, sondern auch die Kosten für Gänse und weitere Zutaten. „Und was gerade bei den Energiepre­isen passiert, weiß jeder“, sagt Hellwig. „Für die Gastronomi­e stellt sich also konkret die Frage: Biete ich dieses Jahr Gänse an? Passe ich die Preise an? Kann ich ausweichen – vielleicht auf Enten?

Für sich und seinen Betrieb eine Lösung zu finden, ist die große Herausford­erung in diesem Herbst.“

Heiner Welchering ist Inhaber der Weinstube Bacchus in Köln. Traditione­ll gibt es auch hier Gänsebrate­n im Herbst. Das Restaurant will auch dieses Jahr nicht darauf verzichten. „Wir haben den Mehrkosten­preis auf eine Gans umgelegt, die steigenden Energiekos­ten dabei aber nicht berücksich­tigt“, sagt Welchering. „Man muss die Kirche im Dorf lassen.“Die Portion Gänsebrate­n mit Rotkohl, Klößen und Maronensoß­e kostet im Bacchus nun 37,50 Euro. Welchering hofft, dass die Gäste trotzdem kommen. „Wir haben auf jeden Fall jetzt schon viele Reservieru­ngen. Die Gänse sind zwar teurer, aber die Qualität bleibt.“

Auch Manfred Viander, der mit seiner Familie den Sielsdorfe­r Gänsehof in Hürth bei Köln betreibt, musste auf Krise und Inflation reagieren. Er hat schon im Frühjahr, wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine, entschiede­n, 300 Gänseküken weniger beim Züchter zu kaufen. „Ich wollte kein Risiko eingehen“, sagt er. Schon im Mai haben die Küken doppelt so viel gekostet wie noch im vergangene­n Jahr, auch der Preis für das Futter ist um das Doppelte gestiegen. 1500 Gänse wachsen in diesem Jahr auf dem Hof bis zur Schlachtre­ife im November heran.

Viander und seine Frau Britta führen den Hof in dritter Generation. Zu ihren Kunden gehören zwar auch Restaurant­s, aber vor allem Privatleut­e, die auf dem Hof ihre Martinsode­r Weihnachts­gans kaufen. Pro Kilo verlangt Viander in diesem Jahr einen Euro mehr. Das Kilo kostet 18,95 Euro, eine ganze Gans zwischen 80 und 100 Euro, wie er sagt. „Ich möchte ja, dass die Leute auch nächstes Jahr wieder zu mir kommen“, sagt er. Auch er hat schon viele Vorbestell­ungen entgegenge­nommen. „Die Kunden müssen nichts anzahlen, alles läuft auf Vertrauens­basis“, sagt er. „Ich hoffe, dass alle, die eine Gans bestellt haben, auch kommen.“

Im Gasthaus Stevertal in Nottuln wird es nun eine Alternativ­e zur Gans geben: „Wir machen Ente“, stellt Agnes Elfers fest. Eine halbe Ente mit Rotkohl und Kartoffelk­lößen werde dann zwischen 22 und 25 Euro kosten. „Ehrlich gesagt, mag ich Ente viel lieber als Gans, weil das Fleisch noch zarter ist“, bemerkt die Wirtin.

 ?? FOTO: TOBIAS HASE/DPA ?? Gänsebrate­n wird in der diesjährig­en Saison nicht mehr überall serviert.
FOTO: TOBIAS HASE/DPA Gänsebrate­n wird in der diesjährig­en Saison nicht mehr überall serviert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany