Die Post kann von der Chemie lernen
Es ist zweifellos verständlich, dass die Belegschaft der Post auf eine deutliche Lohnerhöhung dringt – auch wegen der hohen Inflation. Trotzdem ist der von Verdi ausgerufene bundesweite Streik kritisch zu sehen. Erstens wäre es ein schlechtes Signal für alle Branchen, wenn ausgerechnet in einem massiv vom Staat beeinflussten Ex-Monopolkonzern nun Gehaltserhöhungen von 15 Prozent durchgesetzt werden. Andere Branchen waren viel zurückhaltender – in der Chemie etwa wurden dauerhafte Tariferhöhungen unter anderem dadurch abgewendet, dass die Verhandlungspartner sich auf steuerfreie Zusatzzahlungen von 3000 Euro einigten. Diesem Vorbild sollten die Tarifpartner bei der Post folgen. Falsch wäre dagegen, wenn eine Branche nach der anderen massive Lohnerhöhungen vereinbart, die dann wiederum zu höheren Preisen führen.
Zweitens ist Verdis Verweis auf den erwarteten Rekordgewinn der Post als Begründung für den Arbeitskampf zu hinterfragen. Im innerdeutschen Geschäft hat der Konzern in Wahrheit mit Ertragsproblemen zu kämpfen, weil die Kosten steigen. Die steigenden Gewinne kommen offenbar allein aus dem Auslandsgeschäft rund um die DHL-Logistiksparten. Deren tolle Zahlen sind aber keine gute Begründung für einen fetten Schluck aus der Pulle hierzulande. Drittens dürfte es Spielraum für Kompromisse geben: Der Vorstand der Post weiß, dass er ohne gute Löhne noch größere Probleme bekommen wird, genügend Kräfte für Verteilzentren und Zustellung zu finden.
Wenn der bundesweite Ausstand eher als Warnstreik verstanden wird, wäre das nachvollziehbar – auch um die Treue zur Gewerkschaft zu stärken und einen weitgehenden Inflationsausgleich (inklusive Sonderzahlung) durchzusetzen. Falls Verdi aber ernsthaft längere Streiks anpeilt, um ein dauerhaftes Plus von 15 Prozent durchzuprügeln, wäre das übertrieben.